Anna Amalie – Kunst als Lebensinhalt

von Anja Weinberger

Anna Amalie, die nach damaliger Sitte meist Amélie genannt wurde, muss ein recht willensstarker Mensch gewesen sein. Der von ihren Eltern in langer Planung vorgesehene Ehemann fand nicht ihre Zustimmung und so sprang die ältere Schwester ein, wurde prompt nach Schweden verheiratet.

So ungewöhnlich klingt das nicht, jedoch versäumte ich noch zu erwähnen, dass Anna Amalie die jüngste Schwester Friedrichs des Großen war, letzte Tochter König Friedrich Wilhelms I. von Preußen und Sophie Dorotheas von Hannover. Der Heiratskandidat, dem sie verbunden werden sollte, war niemand geringeres als der schwedische Thronfolger Adolph Friedrich, Herzog von Holstein-Gottorp.

Amélie wollte keinesfalls vom Calvinismus zum Luthertum übertreten. Da das jedoch die Voraussetzung für eine Heirat war, gab die Familie nach und schickte die drei Jahre ältere Schwester Ulrike an den schwedischen Hof. [1]

Anna Amalie wurde als 12. Kind und sechste Tochter des Königspaares geboren. Das war am 9.11.1723 und die Mutter hatte bis zu diesem Tag nichts von der Schwangerschaft bemerkt. Die damals 14jährige Schwester Wilhelmine beschreibt in ihren Memoiren recht bildhaft, wie überrascht Mutter und Vater nebst Kammerfrau über die Geburt der Prinzessin waren. Das kleine Mädchen wurde noch am selben Tage auf den Namen Amalie getauft – nach der englischen Prinzessin, die ihrem älteren Bruder Friedrich zu dieser Zeit versprochen war. [2]

Antoine Pesne (Werkstattkopie), Prinzessin Anna Amalia von Preußen, nach 1744, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/gR4kNnOGEe (Zuletzt aktualisiert am 24.02.2021)

Amalies Vater wird man später »Soldatenkönig« nennen und dementsprechend sah auch das Familienleben aus. Man lebte spartanisch am preußischen Hofe und Amélie und ihren Geschwistern wurde wesentlich weniger Zuwendung geschenkt, als zum Beispiel den »Langen Kerls«, die von König Wilhelm I. für sein Regiment in Potsdam rekrutiert worden waren. Musikerziehung im Allgemeinen und die musikalische Bildung seiner Töchter im Besonderen spielten für den Soldatenkönig eine äußerst untergeordnete Rolle.

Amélies Bruder, dem Flötisten, Komponisten und späteren König Friedrich II. von Preußen (Friedrich der Große /1712−1786), wurde als Kind trotzdem eine gründliche musikalische Ausbildung zuteil, während die Schwestern Amalie und Ulrike erst nach dem Tod des Vaters einen geregelten Musikunterricht aufnehmen konnten; da war Amélie bereits 17 Jahre alt. Wichtige erste musikalische Anregungen erhielt sie dementsprechend von ihrem wesentlich älteren Bruder und vermutlich auch von der ebenfalls älteren Schwester Wilhelmine, die jedoch 1731 nach Bayreuth verheiratet wurde, [3] als Anna Amalie gerade einmal acht Jahre alt war.

Amélie versuchte sich auf den unterschiedlichsten Instrumenten, doch galt ihr Hauptinteresse dem Klavier und später der Orgel. Die Briefe [4], die sie mit ihrem Bruder Friedrich ein Leben lang wechselte, verraten, wie viel ihr die Musik und das Musizieren bedeutete. Sie übte mehrere Stunden am Tag und brachte damit ihre Geschwister, mit denen sie auf recht engem Raum untergebracht war, oftmals zur Verzweiflung. Dieser Fleiß zahlte sich jedoch schnell aus und ihre pianistischen Fähigkeiten waren am preußischen Hof bald in aller Munde.

1732 heiratete der große Bruder Friedrich die Bevern-Prinzessin Elisabeth Christine. Nach dem Tode des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1740 wird diese neben Friedrich dem Großen Königin von Preußen. Und da trat ein sehr unangenehmer Wesenszug Amalies zutage. Mit Mutter und Schwestern wetteiferte sie in der neuen Lieblingsbeschäftigung: wie kann man der schüchternen, unsicheren Elisabeth am besten das Leben zur Hölle machen. Amélie scheint einige unschöne Charakterzüge gehabt zu haben. Nicht wenige ihrer Mitmenschen beschreiben sie als recht unberechenbar, unhöflich und eigensinnig.

Mit der Heirat Ulrikes im Jahre 1744 endete der Musikunterricht der musikbegeisterten Prinzessin Amélie schon wieder. Und auf eben dieser Hochzeit fand vermutlich auch eine Begegnung statt, die der Nachwelt lange in Erinnerung bleiben sollte.

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Denn Amélie trifft auf den gutaussehenden, wohlerzogenen und äußerst redegewandten Fähnrich Friedrich von der Trenck. Dieser war beim königlichen Fest als Inspektor eingeteilt. Wie und ob sich aus dieser Begegnung tatsächlich eine Affäre entwickelt hatte, ist bis heute nicht klar. Das jedoch hinderte die interessierten Untertanen nicht, eine Liebesgeschichte zu ersinnen, die alles enthält, was man sich nur wünschen kann. Beiderseitige Liebe auf den ersten Blick, Standesunterschiede, die diese Verbindung unmöglich machen, heimliche Korrespondenzen, politische Intrigen, Trennung der Liebenden, eine Prinzessin im Kloster und ein Liebhaber auf dem Schafott.

Nun beinhaltete das Leben Trenks all das tatsächlich, in seinen Memoiren berichtet er blumig und ausschweifend. Dort jedoch hat die Dame seines Herzens keinen Namen. Trenks Lebenserinnerungen sind heute noch spannend zu lesen, auch wenn er eher selbstverliebt und äußerst tendenziell schreibt.  Zumindest im eingeweihten Kreise glaubte der kundige und royal interessierte Leser immer zu wissen, von wem da die Rede ist.

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Aber wirkliche Beweise gab und gibt es nicht. Möchte man der Geschichte Glauben schenken, so passt möglicherweise die Tatsache ins Bild, dass Amélie nie heiratete und 1755 Äbtissin des Klosters Quedlinburg wurde. Normalerweise geschieht so etwas, um unattraktive (also zu arme oder zu alte oder zu hässliche) Prinzessinnen zu versorgen, die keinen standesgemäßen Bräutigam finden konnten. Jedoch traf auf Amélie nichts davon zu. Sie wird übereinstimmend als die hübscheste der Königstöchter beschrieben, gut erzogen und mit einer Apanage versorgt.

Ist sie also aus Liebeskummer ins Kloster eingetreten? Auch diese Version der Geschichte kann man durchaus hinterfragen. Denn wäre nicht Folgendes möglich: Durch das Amt der Äbtissin in Quedlinburg war Amélies Unterhalt gesichert und ihre gesellschaftliche Stellung wird auf diesem Wege gewahrt. Mit anderen Worten: sie erlangte Unabhängigkeit ohne heiraten zu müssen. Nicht alle Prinzessinnen wünschen sich unbedingt einen Märchenprinzen, dem sie Kinder schenken und der über ihr Leben bestimmt.

Trotz des Eintrittes ins Kloster verbrachte sie den Großteil ihrer Zeit in Berlin, wo sie sich intensiv den Künsten und vor allem der Musik widmete. [5]

Wie sehr oft, so ist es auch hier beinahe unmöglich, über diesen langen zeitlichen Abstand hinweg eine genaue Einschätzung der Situation vorzunehmen, die allen und allem gerecht wird. Man kann sämtliche schriftliche Überlieferungen bemühen, alle amtlichen Eintragungen – was tatsächlich in den Köpfen und Herzen vorging, wird man nicht mehr erfahren und einordnen können.

Seit 1740 also regierte nun schon Friedrich der Große. Durch ihn änderte sich das Leben am preußischen Hofe gründlich. Er holte Johann Joachim Quantz als seinen privaten Flöten – und Musiklehrer nach Potsdam und Carl Philipp Emanuel Bach als persönlichen Kammermusikus. Es wurde musiziert, komponiert, geübt und philosophiert. Amélie war dabei.

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Im Jahre 1755 ließ sie nach ihren Vorstellungen für den Lustgartenflügel des Berliner Schlosses eine zweimanualige Orgel bauen. Unüblich war das für die damalige Zeit, denn hauptsächlich wurde zum Hausgebrauch unterdessen am Cembalo oder gar am modernen Hammerklavier musiziert. Doch passt diese Episode zu der immer wieder aufgestellten These, Anna Amalies Musik – und Kompositionsgeschmack sei eher konservativ und rückwärtsgewandt gewesen. Als sie in ein Palais unter den Linden umzog, ließ sie auch die Orgel umsetzen. Bis heute wird auf Amélies Orgel gespielt, denn sie steht nach recht langer Wanderschaft in der Kirche zur Frohen Botschaft in Berlin-Karlshorst.

Noch während des Siebenjährigen Krieges, 1758, engagiert sie den Musiker und Musiktheoretiker Johann Philipp Kirnberger als ihren Hofmusiker und Musiklehrer. Schon in der Planungsphase der Amalienorgel hatte sie erstmals zu ihm Kontakt aufgenommen und um Hilfe bezüglich der Orgeldisposition gebeten. Kirnberger verehrt die Musik Johann Sebastian Bachs, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon durch die Musik der Generation seiner eigenen Söhne zum alten Eisen gelegt worden war. Amélie blieb durch Kirnbergers Einfluss größtenteils der alten Schule zugewandt, war jedoch durchaus auch empfänglich für die neuen Strömungen.[6] 1767 machte sie Carl Philipp Emanuel Bach noch für kurze Zeit zu ihrem privaten Kapellmeister, ehe dieser nach Hamburg zog, um dort die Nachfolge Telemanns anzutreten. Der junge Bach schätzte Amélie sehr und zog sie im Musikalischen dem königlichen Bruder vor.

Amélie wird in den Folgejahren eine Notensammlung anlegen, die von unschätzbarem musikgeschichtlichem Wert ist. U.a. bewahrte sie Manuskripte von Johann Sebastian Bach auf, die eine zentrale Rolle bei der Bach-Renaissance zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielten.[7] Sie sammelte auch Traktate und Bücher über Musik, die jedoch leider seit dem 2. Weltkrieg unauffindbar sind.

Ihre hauptsächliche musikhistorische Bedeutung liegt in der ständigen Förderung und Unterstützung anderer Musiker. Carl Heinrich Graun wurde von ihr mit dem Text Karl Wilhelm Ramlers Der Tod Jesu zur Komposition einer Passions-Kantate angeregt [8], Carl Philipp Emanuel Bach schrieb seine Orgelsonaten WQ 70 aufgrund Amélies Orgel-Begeisterung, obwohl er selbst dem Lieblingsinstrument seines Vaters Johann Sebastian längst untreu geworden war. Und Kirnberger wurde von Amélie ermuntert und unterstützt bei der Verbreitung seiner theoretischen Schriften.

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Wir FlötistInnen kennen Anna Amalie nicht erst durch die Komponistinnen-Renaissance der letzten Jahre. Denn sie hat eine sehr hübsche Sonate in F-Dur für Flöte und Basso continuo geschrieben, die sich im Notenschrank vieler MusikerInnen befindet. Meiner Ansicht nach zeigt dieses kleine Juwel deutlich, dass sie Gefallen gefunden hatte am empfindsamen Stil und durchaus auch zukunftsorientiert komponierte.

Schon um ihr vierzigstes Lebensjahr herum musste sich Amélie immer mehr mit äußerst lästigen Krankheiten herumschlagen. Heute meint die Wissenschaft erkennen zu können, dass sie an multifokaler Dystonie litt. Und man weiß unterdessen, dass Dystonien besonders häufig bei Musikern auftreten. Möglicherweise war Amélies Leidenschaft also in dieser Hinsicht ihr Verderben. Damals jedoch war diese Krankheit noch völlig unbekannt und Amélie versuchte, sich mit den üblichen Badekuren Linderung zu verschaffen. Sie reiste nach Aachen und nach Spa – nichts konnte ihr helfen. Ihr körperlicher Zustand scheint sich schnell verschlechtert zu haben. Die Gliedmaßen gehorchten ihr nicht mehr, ihre Augen schmerzten und ihre Stimme wurde rauer und tiefer. Gleichzeitig entwickelte sie immer seltsamere Verhaltensweisen und verlor den Kontakt zu ihren Nächsten.

1787 schließlich starb sie, immerhin dreiundsechzigjährig, fast erblindet und mit gelähmten Händen, nur sieben Monate nach ihrem Bruder Friedrich. König war nun ihr Neffe Friedrich Wilhelm II. Auch Friedrich Wilhelm III. war schon ein junger Mann und es wird nicht mehr lange dauern, bis er seine Luise kennenlernt.

Sogar Anna Amalies Testament sorgte noch einmal für Unmut. Denn ihre wertvolle Bücher-und Notensammlung vermachte sie dem Joachimsthaler Gymnasium. Beigesetzt wurde die vormalige preußische Prinzessin und Äbtissin von Quedlinburg in der Hohenzollerngruft des Berliner Domes.

(Dieser Text ist dem Buch von Anja Weinberger FRAUENGESCHICHTEN – KULTURGESCHICHTEN AUS KUNST UND MUSIK  entnommen, das im Leiermann-Verlag erschienen ist.)

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