Charles Bukowski
von Stefan Havlik
Amerika, ganz unten – zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski
Paris, 1978: Ein vom Leben gezeichneter 58jähriger US-amerikanischer Autor ist Gast der renommierten Literatur-Sendung „Apostrophes“ im französischen Fernsehen. Nach wenigen Minuten des Gesprächs wird auch den Zuschauern an den Fernsehgeräten zuhause deutlich: Dieser Autor sitzt dort stockbetrunken. Die Fragen an ihn beantwortet er kaum verständlich, mehr interessiert ihn die neben ihm sitzende Schriftstellerin Catherine Paysan, an deren Rock er sich schließlich zu schaffen macht, bis sie empört aufspringt.
Zwei Flaschen Wein, so hatte er hinter den Kulissen gefordert, brauche er für die Sendung – er hat sie bereits zu Beginn der Sendung intus. Als er selbst einsieht, dass ein Verbleiben im Studio wenig zielführend ist, verabschiedet er sich vom Moderator mit einem das Französisch wohl imitieren Wollende „Orro, orro!“. Sein Wunsch, nun im Anschluss „noch einige Cancan-Tänzerinnen“ zu sehen, wird ihm von seinen Begleitern verwehrt und man begleitet ihn nach einer kurzen Schlägerei mit dem Sicherheitspersonal in sein Hotel.
Charles Bukowski hat seinem Ruf entsprochen – „es war an der Zeit, dass man mal was Ehrliches im französischen Fernsehen sehen konnte“ schreibt ein Kritiker von „Le Monde“ am nächsten Tag.
Ungern hatte sich der als „Dirty Old Man“ zu dieser Zeit schon zur Legende gewordene Bukowski von seinen Verlegern zur Reise nach Europa überreden lassen. Als am 16. August 1920 als Sohn eines amerikanischen Besatzungssoldaten in Andernach im Rheinland Geborener, war er mit drei Jahren mit seinen Eltern in die USA übersiedelt, die er seither nicht mehr verlassen hatte – im Gegensatz zu Vielen seiner Generation hatte ihn auch der Zweite Weltkrieg nicht nach Europa geführt: Die Army beurteilte ihn als untauglich, schon als 21jähriger hatte der Alkohol seinen Körper zu sehr beschädigt.
Seine Kindheit ist dominiert von Gewalt, ja Sadismus des Vaters: „Die Wände, das Waschbecken, ja sogar die Kloschüssel strahlten mich plötzlich an“, sagt er später über das Badezimmer seines Elternhauses, „der Vater war weg.“
Stundenlang wird er dort mit dem Lederriemen geschlagen, vor allem dann, wenn er sich schützend vor die Mutter gestellt hat. „Wenn man dir immer wieder die Scheiße aus dem Leib prügelt, fängt man irgendwann an zu sagen, was man wirklich denkt.“
Fast absurd klingt es: In den Gewaltorgien des Vaters, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und das wenige Geld häufig für Prostituierte ausgibt, wird Charles` unabhängiger Geist geweckt.

© fogbird, despositphotos
Als „das einzige Paradies, das ich je erlebt habe“ bezeichnet Bukowski Jahrzehnte später sein nächtliches, heimliches Lesen unter der Bettdecke: Es sind die großen Werke der Weltliteratur – Schopenhauer, Dostojewski, Lawrence -, in denen der Junge Fluchtorte findet, heraus aus dem tristen und hoffnungslosen Daheim in Los Angeles. „Das Wort ist der Zaubertrank, der uns davor bewahrt, uns umzubringen,“ formuliert er einmal.
Sein Körper voller Akne, schafft er den College-Abschluss nicht: Sein Weg in den schweren Alkoholismus hatte bereits begonnen. Gelegenheitsjobs sind nun für Jahrzehnte das, was ihm das wirtschaftliche Überleben sichert; er ist Postbote, Leichenwäscher, Hilfsarbeiter.
Inmitten dieses Elends schreibt er: Gedichte und Kurzgeschichten. Seine Hoffnung, dafür einen Verleger zu finden, wird lange nicht erfüllt. Bis er 46 Jahre alt ist, hat er gerade einmal 80 Dollar mit dem Schreiben verdient. Immer wieder lehnen die Verlage seine Texte ab.
Es ist Whitt Burnett, Herausgeber des Magazins „Story“, der ihm eine Perspektive zu geben scheint: Ausgerechnet durch Absagen. „Diese hier hätten wir fast genommen, schicken Sie bitte mehr“ lässt er Bukowski wieder und wieder wissen. „Jede getippte Ablehnung war wie ein kleines Wunder für mich“, schreibt der in armseligen Wohnungen Hausende, „Ich denke, ich habe nur wegen dieser getippten Ablehnungen weitergeschrieben.“ Für lange Zeit sind es auch weiterhin „kleine Buden voller Kakerlaken und Mäuse“, die seine Unterkünfte sind, Gelegenheitsjobs und Unmengen von Alkohol: Sein Alltag.
Für einige Zeit zieht Bukowski nach New York, in der Hoffnung, dort beruflichen Erfolg als Schriftsteller zu finden, in der Stadt der Medien und Verlage. Tatsächlich wird „Big Apple“ für ihn zu einem furchtbaren Ort.
Seine Wohnung, direkt an der Hochbahn gelegen, treibt ihn an den Rand des Wahnsinns: „Ein Zug hatte gerade gehalten. Ich sah in eine Reihe von New Yorker Gesichtern, die zu mir hereinstarrten. Der Zug stand noch eine Weile, dann fuhr er weiter. Es war wieder dunkel. Dann wurde es wieder hell im Zimmer. Wieder dieser Blick in die Gesichter. Es war wie eine immer wiederkehrende Vision der Hölle.“
Bald verlässt er New York wieder und kehrt nach einer kurzen Zwischenstation in Philadelphia nach Los Angeles zurück. Die kurze Zeit im Gefängnis lässt ihn für die Zukunft wissen: „Ich mag den Knast nicht. Dort gibt es keine Bars.“
Ende der 50er Jahre darf er nun erleben, dass kleinere Magazine immer wieder seine Texte drucken. Die Jahre des Elends, der Ungewissheit und Perspektivlosigkeit haben sein Schreiben wohl im Eindruck und Urteil der Verleger stärker werden lassen.
Seine Gedichte und Geschichten aus den Hinterhöfen und Bordellen, den Bars und Fabriken, die Erzählungen von Gewalt und Kriminalität dokumentieren nicht das Amerika des Erfolgs, der Sicherheit und des Aufschwungs – aber sie finden immer mehr Leser, auch in den Reihen der Mittel- und Oberschicht. Millionen von Amerikanern sind Tellerwäscher und werden es bleiben.

© Melpomene, despositphotos
Als schließlich Bukowskis Werke, mittlerweile sind auch Romane darunter – „Der Mann mit der Ledertasche“ beschreibt seine Zeit als Postarbeiter -, Europa erreichen, treffen sie hier auf große Begeisterung. Der gesellschaftliche Umbruch hat die alte Welt erreicht, in Charles Bukowski sehen viele den Berichterstatter, ja Propheten einer neuen Zeit, die sich mit den elenden Verhältnissen, die der Kapitalismus geschaffen hat, nicht abfinden will.
Der Autor selbst aber sieht sich grundsätzlich als ungeeignet an, Teil einer politischen Bewegung zu werden. „Das ewige Love-Love-Love-Geschrei hört sich nach einem Befehl an“, schreibt er über die Hippie-Bewegung, „und Befehle mag ich nicht.“ Er bleibt zeitlebens ein Einzelgänger.
Überhaupt sind ihm Begegnungen mit Menschen unangenehm. Seine Verleger können ihn für einige Jahre zu Lesungen überreden, die im Geist der Zeit auch seitens des Publikums öfter chaotische Züge haben. Den „Literaturstrich“, wie er die Veranstaltungen selbst bezeichnet, hält er nur betrunken aus, er lässt den Scotch in der Thermoskanne am Tisch des Autors deponieren. „Ich habe nicht bezahlt, um euch zu sehen“ ruft er denen zu, die ihn in einer Mischung aus Enthusiasmus und Unhöflichkeit beschimpfen.
1977 lernt Bukowski Linda Beighle kennen, die er 1985 heiratet. Es scheint aufgrund seines Lebensstils fast ironisch, dass sie ein Ladengeschäft für Biowaren führt. Sie wird ihm zur Stütze seiner letzten Jahre, die ihm auch aufgrund bisheriger Erfolge am Buchmarkt eine gewisse Zurückgezogenheit ermöglichen. Der Film „Barfly“, dessen Drehbuch aus seiner Feder stammt, zeigt noch einmal die typische Szenerie seiner Werke: Zum Teil autobiographisch folgt der Zuschauer der Spur eines Mannes inmitten von Besäufnissen, Gewalt und Kriminalität.
Der Autor stirbt 1994 in San Pedro, einem Stadtteil von Los Angeles. Obwohl er die Beschäftigung mit seinen Texten nach seinem Tod schon zu Lebzeiten im typischen Bukowski-Stil beschimpfte („Man macht mich viel mutiger und begabter als ich es gewesen bin. Es wird übertrieben. Sogar den Göttern kommt das große Kotzen.“), lässt sich heute feststellen: Sein Werk in harter, oft vulgärer Sprache hat dazu beigetragen, dass in- und außerhalb der USA die dunkle, dreckige Seite der „Neuen Welt“ offenbar wurde.
„Der Tod ist wie der Punkt am Ende eines Satzes – dann beginnt ein neues Kapitel“ formulierte er in seinen letzten Lebensjahren in einem Fernsehinterview.
Man darf gespannt sein, in welcher Bar wir Charles Bukowski einst treffen werden – in einem neuen Kapitel.
(Text von 2020)
Die Zitate stammen aus folgenden Büchern:
Charles Bukowski:
„Stories und Romane“ (Zweitausendeins Verlag, Übersetzung Carl Weissner)
„Den Göttern kommt das große Kotzen“ (Kiepenheuer&Witsch, Übersetzung Carl Weissner)
„Der Mann mit der Ledertasche“ (Kiepenheuer&Witsch, Übersetzung Hans Hermann)
Frank Schäfer:
„Notes of a Dirty Old Man“ (Zweitausendeins Verlag)
Bildrechte: ©depositphotos.com

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