Coco Chanel und ihre Normandie
von Anja Weinberger
Deauville in der Normandie ist schon seit Ende des 19. Jahrhunderts ein begehrtes Urlaubsziel, vor allem für die Pariser Stadtbevölkerung. Coco Chanel entdeckte das Seebad 1912, als sie hier Urlaub mit ihrem reichen Geliebten Arthur »Boy« Capel machte. Schon kurz zuvor hatte sie in Paris ein Atelier für Hüte eröffnet, das mit seinen modernen, eher schlichten und bequem zu tragenden Kreationen einige Beliebtheit erlangt hatte.
In Deauville schöpft sie nun neue Kraft und lässt sich vom Licht, der Luft und den vielen sportlich und bequem gekleideten Männern inspirieren.
Frauen waren bis zu diesem Zeitpunkt eher in ihrer Kleidung gefangen, als von ihr umhüllt. Coco wollte den weiblichen Körper befreien und gleichzeitig eine Mode schaffen, die auch dem Auge schmeichelt.
Hier in Deauville, an der Côte Fleurie, traute sie sich erstmals, mit den modischen Gegebenheiten des vergangenen Jahrhunderts zu brechen. Sie sagte Korsett, Unterrock und Schnürstiefeletten den Kampf an. Ihr Ziel war es, sich als Frau genauso ungezwungen bewegen zu können, wie Männer das tun.
Und hier am Meer fand sie ihre Lieb-lingsfarbe, die bis heute ein wichtiges Standbein im Mode-haus Chanel darstellt: Beige wie der Sand am Strand von Deauville.
Sie beobachtete die Fischerboote, sah den Männern beim Arbeiten zu und ließ sich von ihrer Kleidung inspirieren, die einfach, praktisch und wärmend war. So entstand ein wichtiger Klassiker der Damengarderobe – der berühmte blau-weiß geringelte Matrosenpulli.
Coco leiht sich versuchsweise die Hosen und Hemden ihres Liebhabers. Seine Kleidung ist ihr natürlich zu groß und sie muss sich mit Gürteln behelfen. Schnell bemerkt sie, wie angenehm es ist, weitere Kleidung zu tragen.
Auf der Rennbahn von Deauville konnte sie ihr bürgerliches, auch adliges und auf jeden Fall sehr kosmopolitisches Umfeld gut beobachten. Die Stallburschen der damaligen Zeit waren sehr sorgfältig gekleidet und auch hier fand sie Inspiration. Ein besonders wichtiger Moment stellte sich jedoch ein, als die immer aufmerksame Coco bei einem Polospiel das Material der Trikots entdeckte: Jersey. Der Stoff von der Ärmelkanal-Insel war zur damaligen Zeit nicht salonfähig. Er wurde hauptsächlich für Unterwäsche und Sportbekleidung verwendet, war sehr anschmiegsam, jedoch schwer zu verarbeiten.
Coco Chanel versuchte es und entwarf die erste Jersey-Damengarderobe, mit der nun viele Frauen sehr gern in ein neues, bequemeres und trotzdem elegantes Leben starten konnten.
Schließlich mietete die Unermüdliche einen kleinen Laden in Deauville, ganz in der Nähe eines großen Hotels und des Casinos. So war ihr Laufkundschaft sicher und sie begann, ihre Hut-Kreationen, aber auch erste Kleidungsstücke zu verkaufen.
Die Erfolgsgeschichte »Chanel« beginnt 1913, hier in Deauville.
Dieser Text stammt aus dem Buch Meine französischen Kulturgeschichten von Anja Weinberger, das beim Leiermann erschienen ist.
Anja Weinberger im Leiermann-Verlag
Drei Bücher zu Musik und Kunst, voller Geschichte und Geschichten. Lesen Sie mehr über Coco Chanel, Marc Chagall, Friedrich den Großen, Misia Sert und so manch andere.



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