Das Kletzenbrot
von Thomas Stiegler
Das Kletzen-brot
von Thomas Stiegler
Kulturgeschichtlich ist das Kletzenbrot sicher eine der interessantesten Backwaren, die mit der Weihnachtszeit zu tun haben.
Das nicht nur, weil es rund um dieses Brot so viele regionale Bräuche gibt, so dass ich nur eine kleine Auswahl davon in das Buch aufnehmen konnte, sondern auch, weil es scheinbar an unzähligen Orten unabhängig voneinander entstanden ist und sich trotzdem überall gleicht, nicht nur in der Art der Zubereitung, sondern auch in seiner Bedeutung für die regionalen Traditionen. Außerdem ist es eines der wenigen Weihnachtsgebäcke, das nicht in Zusammenhang mit der Kirche oder dem gehobenen Bürgertum steht, sondern es ist ein richtiges Bauerngewächs aus der Mitte dieses urtümlichen Standes. Bekannt war es vor allem in Österreich und im süddeutschen Raum und wer damit nicht aufgewachsen ist, der wird ihm auf den ersten Blick nicht viel abgewinnen können. Denn im Prinzip ist es ein einfaches Roggenbrot, in das verschiedene Trockenfrüchte eingebacken wurden, um es ein wenig süßer zu machen. Traditionell waren es sogar nur getrocknete Birnen, Nüsse und bei besonders wohlhabenden Bauern etwas Honig, die dieses Brot auszeichneten. Erst in neuester Zeit kamen weitere Zutaten in den Teig, die das Kletzenbrot noch schmackhafter machen sollten.
Von der Verwendung der Birnen her stammt übrigens auch sein Name, denn »Kletzen« sind nichts anderes als getrocknete Birnen. Womit sich auch erklärt, wieso sich der Name für das Brot von Region zu Region so stark unterscheiden kann, denn auch für die Birnen gab es die unterschiedlichsten Namen. So kennen wir etwa die Bezeichnungen »Hutzelbrot« (Hutzeln sind etwas feinere Dörrbirnen), Hutzenbrot, Birnenbrot und weitere, die nur noch von fern an das Wort »Kletzenbrot« erinnern wie etwa Klabernbrot, Klazenbrot, Kletzenstöri, Anglöckler, Rauwutzl, Hidlbua oder Fochanze. Diese Namen sind nicht nur deshalb so interessant, weil sie in unseren Ohren so schön klingen und deshalb verdienen, bewahrt zu werden, sondern weil sie auch ein Hinweis darauf sind, wie tief dieses Gebäck in der regionalen bäuerlichen Tradition verwurzelt war. Was mich auch gar nicht wundert, denn in einer Zeit, als bei der einfachen Landbevölkerung Süßspeisen eine Seltenheit waren, muss ein Früchtebrot ein besonderes Erlebnis gewesen sein.
Traditionell wurde das Kletzenbrot rund um den Andreastag am 30. November gebacken, wobei besondere Sorgfalt nötig war, denn ein Misslingen sollte Unglück für das ganze Jahr bedeuten. Angeschnitten und verteilt wurde es dann am Heiligen Abend (in manchen Regionen auch erst am Stephanitag) und jedes Mitglied des Hauses erhielt seinen gerechten Anteil. Es war sogar so, dass das Kletzenbrot bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein ein fester Bestandteil der Löhnung der Knechte und Mägde war, und es war auch weithin bekannt, wo es denn »besten Kletzenstöri« und die größten Stücke gab.
Auch für die Tiere wurde aus Teigresten und den Überbleibseln der Kletzen eine »Maulgabe« zubereitet, damit sie gesund blieben und im neuen Jahr reichlich Milch gaben. Und sogar an die Armen Seelen dachte man und verbrannte für sie einige Reste in der Glut des Backofens. [1]
Die meisten der überlieferten Bräuche hingen allerdings mit der Bedeutung des Kletzenbrotes als Fruchtbarkeitssymbol zusammen. So liefen etwa am Backabend die Frauen mit ihren noch teigigen Händen auf die Wiesen und umarmten die Obstbäume, um etwas von der lebensspendenden Kraft des Kletzenbrotes auf sie zu übertragen. In dieser Nacht begannen in einigen Region auch die »Klöpfelnächte«, bei denen junge Männer von Hof zu Hof zogen, um mit Gedichten und lustigen Sprüchen um Gaben zu bitten, die meist aus einem kleinen Laib Kletzenbrot bestanden. Bei diesen Zusammentreffen konnten die Frauen mit dem Kletzenbrot auch eindeutige Zeichen an ihre Verehrer senden – war die Schnittkante des überreichten Stückes glatt, dann zeigte das ihre Zuneigung, bei einer rauen Kannte allerdings war die Beziehung zu Ende. Wurde jedoch einem Mädchen von einem Burschen vor der gemeinsamen Verwandtschaft ein Kletzenbrot nachgetragen, dann galt das als offizielles Verlöbnis!
Daneben gab es noch viele regionale Bräuche, die weit weniger bekannt sind. In Teilen Oberösterreichs etwa zogen junge Burschen von Hof zu Hof und baten die Mädchen zum »Kletzenbrotanschneiden«. Dabei muss es recht lustig zugegangen sein, denn den Eltern waren diese Besuche sehr willkommen und es war ein gutes Zeichen, wenn sich recht viele Burschen einfanden (wenn neun von ihnen zum Anschneiden kamen, dann stand eine Hochzeit ins Haus!). Die Mädchen wollten es den Burschen allerdings auch nicht zu leicht machen und gaben Holzstücke, Stricknadeln oder sogar ganze Drahtringe mit in den Teig – denn wer ein Stück Brot nicht mit einem Schnitt vom Laib trennen konnte, der galt als unreif und wurde beim obligaten »Fensterln« nicht eingelassen.
Rezept
Für die Früchtemischung
250 g Kletzen (getrocknete Birnen)
200 g Feigen
100 g Dörrpflaumen
80 g Rosinen
50 g Walnüsse (grob gehackt)
30 g Orangeat
20 g Zitronat
50 ml Rum
Für den Teig
250 g Roggenmehl
½ Pkg. Hefe
30 g Zucker
1 Msp. Anis
1 Msp. Zimt
Die Kletzen über Nacht in kaltem Wasser einweichen, am nächsten Tag abgießen und in frischem Wasser bei geringer Hitze weichkochen. Auskühlen lassen.
Kletzen, Feigen, Dörrpflaumen, Rosinen, Orangeat und Zitronat mit ein wenig Mehl abmischen und klein schneiden. Den Rum zugeben, umrühren und eine Nacht gut durchziehen lassen.
Roggenmehl mit Hefe, Zucker, Anis und Zimt gut vermischen und dann die Früchtemasse einarbeiten. Zu einem festen Teig verarbeiten und etwa 1 Stunde rasten lassen. Je nach gewünschter Größe den Teig teilen und Brotlaibe formen. Bei 180°C etwa 70 bis 80 Min. backen. Aus dem Backrohr nehmen und mit heißem Wasser bestreichen.
Etwas rustikaler ging es beim »Kletzenbrotfahren« zu, das bis in die 1930er Jahre hinein in Teilen Oberösterreichs verbreitet war. Dabei fuhren die Burschen in der Nacht zum Stephanitag mit Ross und Wagen solange gegen die Tore der Bauernhöfe, bis ihnen geöffnet wurde und von den ledigen Mädchen als zukünftiger Braut ein süßes Kletzenbrot gereicht wurde.
Lustig anzusehen war sicher auch, wenn ein Mädchen mit einem Laib Kletzenbrot, in dem ein Messer stecken musste, im Dunkeln um das Haus lief. Denn wer es dreimal ohne Sturz durch die Nacht schaffte, der sollte zum Schluss der zukünftige Geliebte erscheinen.
Aber dem Gebäck wurden noch viele weitere Eigenschaften zugeschrieben. So galt es als ausgemacht, dass derjenige, der von sieben (in manchen Regionen auch neun oder zwölf) verschiedenen Kletzenbroten aß, nicht nur kräftig, mutig und schlau wurde, sondern auch das ganze Jahr über vor Krankheiten gefeit war. Außerdem galt es als gesichert, dass sich die Zahl seiner Lebensjahre um die Anzahl der gegessenen Brote verlängerte. Allerdings musste man dabei ziemlich aufpassen, denn wenn man bis in die Thomasnacht hinein nicht auf die sieben Stück gekommen war, dann konnte es einem geschehen, von einem Gespenst oder gar dem Teufel selbst geholt wurde.
Nicht ganz so gefährlich (aber doch sehr gespenstisch) ging es in Eferding in Oberösterreich zu. Denn dort wurden bis spät ins 20. Jahrhundert hinein an besonderen Wegkreuzungen Zauberkreise aus Kletzenbrot gelegt, in der sogenannte »Kreissteher« zur Mitternacht die Zukunft voraussagen konnten.

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Es konnte natürlich nicht ausbleiben, dass ein so wichtiges Gebäck seinen Weg auch in die Literatur fand. Aufmerksamen Lesern wird sicher schon der Name »Hutzelbrot« ins Auge gesprungen sein und natürlich war es der Dichter Eduard Mörike, der es literarisch verwendete. Als Pfarrerssohn vom Lande mit dem Kletzenbrot bestens vertraut, hat er es in einer seiner Geschichten verewigt: »Das Hutzelmännchen also gibt dem Schustergesell Seppe, seines Meisters müde geworden, für seine Reise zwei Paare Glücksschuhe und einen besonderen Laib Hutzelbrot mit. Damit jener auf seinem Fußweg von Stuttgart über die Alb nach Ulm – und noch weiter – gut gerüstet sei […]« [2]. Der besondere Witz an der Geschichte ist, dass das Hutzelmännchen selbst wie eine »Hutzel« aussah, nämlich klein und schrumpelig, und es daher wunderbar zu dieser Stelle passt.
Auch in Thomas Manns Roman »Der Zauberberg« finden wir eine Anspielung auf das Kletzenbrot: »Die Ausflügler bestellten einen Imbiß bei der dienstwilligen Wirtin: Kaffee, Honig, Weißbrot und Birnenbrot, die Spezialität des Ortes.« [3]
Aber jetzt habe ich euch wahrscheinlich schon viel zu lange auf die Folter gespannt. Ich hoffe, dass ich euch damit ein wenig Lust auf dieses Brot machen konnte, denn wenn man es unvorbereitet das erste Mal sieht, dann ist man wahrscheinlich nicht allzu begeistert davon. Daher teile ich hier auch eine etwas modernere Version des Rezeptes, denn unsere verwöhnten Gaumen wären mit dem traditionellen Kletzenbrot ohne Honig und Zucker und ohne die vielen, teils exotischen Früchte und Nüsse nicht zufrieden.
Verwendete Zitate
1 … In Teilen Kärntens wurde etwas Kletzenbrot auch unter den Herrgottswinkel gelegt, damit die »Saligen« ihre »Abspein« hatten.
2 … »Das Stuttgarter Hutzelmännlein«, Eduard Mörike; online Quelle: Projekt Gutenberg
3 … »Der Zauberberg«, Thomas Mann; Fischer Taschenbuch 1991
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