Das Turnier-buch Veste
von Claudia Lindenlaub-Sauer
Aspekte zum Turniergeschehen in Europa. Adelige und patrizische Teilnehmer. Am Beispiel des Turnierbuchs von Lukas Cranach dem Älteren für Johann Friedrich I. von Sachsen, genannt „der Großmütige“ (1503 – 1554) aus den Jahren 1534/35 in den Kunstsammlungen der Veste Coburg
Mutige Ritter in prächtigen Rüstungen auf starken Pferden, klirrende Lanzen, aufwendig dekorierte Stände und aufgeregte Zuschauer – ein mittelalterliches Turnier war ein großes Fest. Für die Teilnehmer der Turniere war es oft jedoch mehr, viele von ihnen erlangten durch die Beteiligung einen finanziellen Ausgleich. Darstellungen verschiedenster spätmittelalterlicher Turniere haben sich bis heute in unterschiedlichen Sammlungen erhalten, eine davon sind die Kunstsammlungen der Veste Coburg. Hier wird das besonders prächtige Turnierbuch Johann Friedrich I. von Sachsens aufbewahrt, welches als Memorialbuch von keinem geringeren als Lukas Cranach dem Älteren und seiner Werkstatt geschaffen wurde und Turniere zeigt, die der Kurfürst selbst bestritten hatte. Die Ritter maßen sich in Kämpfen, nicht immer ging der Auftraggeber als Sieger aus diesen hervor. Es werden verschiedene Kampftechniken des Tjostes gezeigt, das Rennen mit den spitzen und gefährlichen Lanzenenden und das Stechen mit den stumpfen Abschlüssen der Lanzen. Die Pferde sind in kostspielig verzierte Decken gekleidet, die teilweise von der Cranach Werkstatt selbst hergestellt wurden, sich heute jedoch nicht mehr erhalten haben. [1]
Eine digitalisierte Mitmach-Version des illustrierten Turnierbuchs von Johann Friedrich dem Großmütigen, befindet sich in der großen Hofstube der Veste in Coburg. Das Original ist im Kupferstichkabinett der Kunstsammlungen der Veste Coburg untergebracht, es trägt die Inventarnummer Ms.02 (Abb. 1). Eine Kopie des Turnierbuches wurde bis 1587 wohl vom Hofmaler des Kurfürsten August (1526 – 1586) Heinrich Göding dem Älteren (1531 – 1606) angefertigt, welche im 2. Weltkrieg jedoch vollkommen zerstört wurde und heute nur noch in einer schwarz-weiß Version des frühen 20. Jahrhunderts erhalten ist. [2] Weiter existieren Turnierbücher sowohl für den Vater Johann den Beständigen (1468 – 1532) als auch für seinen Onkel Friedrich den Weisen (1463 – 1525), wobei das Turnierbuch des Vaters wohl auch aus der Cranach Werkstatt stammt und heute als verschollen gilt und sich nur noch in Kopien erhalten hat. [3] Die Seiten wurden zum Teil stark beschnitten es fehlen Namen und Beschriftungen, vermutlich fand die Beschneidung vor 1587 statt, da die Kopie die gleichen Unvollkommenheiten wiedergibt. Der dazugehörende Einband wurde vermutlich nachträglich in Wittenberg geschaffen, dort finden sich Namen und Bildfelder mit Portraits von Kaiser Karl V., König Ferdinand I. und dem Auftraggeber selbst, was dessen Treue und Loyalität zu ihnen betonen sollte. [4] Das Buch ist wohl zeitnah nach dem letzten dokumentierten Turnier des Herzogs 1534 / 35 entstanden, jedoch gibt es aktuelle Forschungen, die zu einer Datierung zu einem späteren Zeitpunkt tendieren und sich vor allem auf die angegeben Todesverweise der Kontrahenten beziehen und die Schaffung des Buches zu einem ungefähren Zeitpunkt wie dem Einband 1543 vermuten. In diesem Jahr wurde der älteste Sohn des Kurfürsten, Johann Friedrich der Mittlere (1529 – 1595) 14 Jahre alt und erreichte somit das Alter, in welchem sein Vater sein erstes Turnier bestritten hatte. [5]
Das vorliegende illustrierte Turnierbuch in den Kunstsammlungen der Veste Coburg zählt zu den frühesten Büchern dieser Art in Mitteldeutschland und steht in der Tradition persönlicher Turnierbücher mit hohem Erinnerungsfaktor. Illustrierte Turnierbücher sind seit dem 15. Jahrhundert bekannt, das wohl berühmteste ist das „Freydal“ des Kaisers Maximilian I. (1459 – 1519), welches in ähnlicher Weise verschiedene höfische Gegebenheiten aus dem Leben des jungen Kaisers veranschaulicht. [6] Das gesamte Turnierwesen erfuhr durch die Bemühungen des Kaisers neue Belebung: ritterliche Tugenden wurden hervorgehoben, aber auch die eigene Herrschaft ließ sich durch die Wettkampftauglichkeit und die siegreichen Turniere besser legitimieren.
Auf Graphitvorzeichnungen folgten mit Tusche, Feder und Pinsel in Wasser- und Deckfarben, die zum Teil mit Weiß, Gold oder Silber gehöht sind, über 100 Darstellungen von Rittern beim Turnierkampf. In einem Ausstellungskatalog von 2010 wird das Buch zusammen mit anderen Kampfdarstellungen des 15. Jahrhunderts aufgelistet, jedoch auf den aktuellen Forschungsbedarf hingewiesen. [7] 2021 fand eine eingehendere Untersuchung im Rahmen der neuen Bestandskataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg statt. [8]
Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, gab das Buch wohl im Alter von ungefähr 30 Jahren in Auftrag, es wird aufgrund der Fülle, der Homogenität der Darstellungen und der knappen Entstehungszeit in der neueren Literatur als Werk der Cranach Werkstatt gehandelt. Sich rückblickend erinnernd soll Herzog Johann Friedrich seine Erlebnisse auf zahlreichen Turnieren geschildert haben, wobei nicht immer korrekte Bezeichnungen angebracht wurden und sich manchmal leere Spruchbänder und fehlende Devisen finden lassen. Gezeigt werden 146 Waffengänge verschiedener Turniere aus den Jahren 1521 und 1534. Es finden sich 38 Darstellungen des sogenannten Rennens, erkennbar an der scharfen Lanze und dem Rennzeug, wie Rennhut (spezielle Helmform) und Dilgen (Beinpanzer, der in den Sattel integriert war), aber auch Illustrationen des Krönl-Rennens werden abgebildet, dies war eine Kombination der beiden Techniken und ist am Stech- und Rennzeug identifizierbar. Die Kontrahenten werden jeweils auf einer gesamten Seite dargestellt, so dass die Anschaulichkeit und die Dramatik der Kämpfe verdeutlicht werden. Der Auftraggeber findet sich in der Regel auf der linken Bildseite, diese ist heraldisch gesehen die bedeutendere und betont die Stellung des Kurfürsten.
Im Rahmen größerer Feierlichkeiten traten mehrere Ritter in Wettkämpfen gegeneinander an. Der Zugang zu Turnieren war jedoch beschränkt. Teilnehmen durften nur diejenigen, die vorweisen konnten, dass bereits ihre Vorfahren an Turnieren teilgenommen hatten. Nachgewiesen werden konnte die sogenannte „Turnierfähigkeit“ durch schriftliche Aufzeichnungen und Listen als „Ahnenprobe“. Aber auch Turnierbücher waren hierfür eine gute Quelle. [9] Der Herold überprüfte die Turnierfähigkeit weiter auch durch die sogenannte „Helmschau“, hier wurde die standesgemäße Abstammung kontrolliert. Im besten Fall konnten die Ritter auf diese Weise sowohl die eigene als auch die Turniererfahrung des Vaters und Großvaters vorweisen.
In dem Turnierbuch Herzog Friedrichs sind die Darstellungen in bunten Farben sehr detailreich geschildert. Die Garnituren der Reiter sind phantasievoll, die Pferde sind prächtig geschmückt, tragen Decken mit heraldischen Zeichen und Devisen. Für das Verständnis der Künstler und Auftraggeber dieser Zeit kam ohne Frage dem Herzog eine beachtenswertere Rolle zu als seinen Kontrahenten im Wettkampf, was an der prunkvolleren Kleidung und der feineren Ausgestaltung der Details deutlich wird. Daneben sind die Namen der Gegner teilweise bereits verblasst. Auch wenn sich Herzog Johann der Großmütige in den Darstellungen ab und an als Verlierer des Zweikampfes zeigen lässt, so gebührt ihm auch deshalb oder gerade wegen, eine besondere Ehre. Er siegt nicht nur ehrenhaft, sondern kann auch mit Anstand verlieren. Das Buch zeigt Facetten seines Lebens, nicht nur positive Momente blieben in Erinnerung, auch traurige Aspekte wie der Tod, wurden in den Kanon aufgenommen. Die Reiter nehmen den Großteil der Seite ein, wogegen der Turnierplatz lediglich angedeutet wird und in bräunlichen Farben gehalten ist, wohingegen hintergründige Darstellungen vollkommen fehlen, was jedoch dem Zeitgeist ähnlicher Turnierbücher entspricht und auf diese Weise mehr Raum für die jeweiligen Beischriften bot. Die Namen der Kontrahenten stehen über den gezeigten Rittern, Angaben zu Ort, Datum und Anlass der Turniere finden sich in der Regel auf der linken Seite. Als Austragungsorte werden Worms, Torgau, Weimar und Dresden genannt, die dargestellten Turniere fanden dort in den Jahren von 1521 bis 1534 statt. Das Ende der Turniersaison geht für den Auftraggeber sowohl mit der Hochzeit 1527 mit Sibylle von Jülich-Kleve-Berg (1512 – 1554), als auch mit dem Erreichen des 30. Lebensjahres des Kurfürsten einher. [10] Das Illustrationen selbst sind in chronologischer Reihenfolge gehalten, es findet sich eine zeitgemäße Zweiteilung in Renn- und Stech-Darstellungen. Von den Seiten 1 bis 99 werden Turniere aus den Jahren 1521 bis 1527 gezeigt, ab Seite 100 sind die Wettkämpfe aus den Jahren 1522 – 1534 abgebildet. Bemerkenswert ist ein Einschnitt auf den Seiten 51 bis 58, denn hier finden sich keine farbigen Darstellungen, sondern schwarze Trauerkleidung und eine gedeckte
Stimmung (Abb. 3).
Die Seiten weichen stark von den anderen Illustrationen ab und zeigen vermutlich die Trauerzeit des Herzogs aufgrund des Todes seines Vaters im Jahr 1532. Auf der linken Seite wird ein Ritter zu Pferd gezeigt, dessen Gegner liegt bereits auf dem Boden neben ihm. Auf der rechten Seite sitzen drei zum Kampf gerüstete Ritter in schwarzem Trauerflor auf einer Bank, die womöglich auf ihren Wettkampfeinsatz warten. [11] Diese Episode aus dem Leben des Auftraggebers zeigt den memorialen Charakter des Turnierbuchs, welches nicht nur die tatsächlichen Wettkämpfe, sondern eben auch einschneidende Begebenheiten aus dem Leben des Kurfürsten wiedergeben. Da weiter hintergründige Schilderungen und Beiwerk fehlen, beschränkte sich der Künstler für die figürlichen Darstellungen auf die Pferdedecken. Hier werden neben Devisen, Wappen und floralen Ornamenten auch Frauen in spätmittelalterlicher Gewandung und Liebesmotive gezeigt, was vermutlich auf die Hochzeit des Herzogs im Jahr 1527 hinweist (Abb. 2). [12] Weiter sind die verschiedenen Jahreszeiten zum Teil zu erahnen, diese werden unter anderem durch närrische Elemente, Schellen an den Köpfen der Pferde und Eselsohren veranschaulicht. Auch hier findet sich eine Parallele zum kaiserlichen „Freydal“, denn die Zeit der Fastnacht und sonstige Mummereyen fanden auch hier Einzug. [13]
Diese Saalmummereyen, Maskenspiele und Verkleidungsturniere waren um 1500 nicht nur am sächsischen Hof beliebt. [14]
Lucas Cranach fertigte als Hofkünstler zusammen mit seiner Werkstatt zahlreiche Gemälde und Radierungen an, die sich mit der höfischen und ritterlichen Thematik befassten und dem Zeitgeist entsprachen. [15] Bis heute geben diese Darstellungen einen guten Eindruck, wie es bei solchen Turnieren und höfischen Festen oft zuging und sie sind neben den Turnierbüchern eine anschauliche Quelle mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lebens
Quellenangabe
1 ….. Barber, Richard / Barker, Juliet: Die Geschichte des Turniers, Düsseldorf und Zürich 2001.
Knöll, Stefanie / Leyde, Meike / Overdick, Michael (Herausgeber): Cranach in Coburg
Graphik von Lucas Cranach d.Ä., Lucas Cranach d.J. und der Werkstatt im Kupferstichkabinett der Kunstsammlungen der Veste Coburg, Regensburg 2020.
2 ….. Haenel, Erich: Der sächsische Kurfürsten Turnierbücher, Frankfurt am Main 1910.
Gehrt, Daniel: Turnier-, Fecht- und Ringbücher in den Bibliotheken der Ernestiner, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschun. Zeitschrift des Mediävistenverbandes 19 (2014) 2, S.326- 349.
3 …. Abbildungen finden sich auch hier bei Haenel, Erich: Der sächsische Kurfürsten Turnierbücher, Frankfurt am Main 1910.
Erwähnung in Inventaren: Weimar, Thüringisches Hauptstaatsarchiv, EGA, Reg. D 174b, Bl.33r – 44v.
Gehrt, Daniel: Turnier-, Fecht- und Ringbücher in den Bibliotheken der Ernestiner, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschun. Zeitschrift des Mediävistenverbandes 19 (2014) 2, S.334.
Bloh, Jutta Charlotte von: Rennen, Stechen, Turniere und Mummereien. Die sächsischen Kurfürsten III. (1463 – 1525) und Johann (1468 – 1532) in Interaktion mit Kaiser Maximilian I., in: Krause, Stefan / Pfaffenbichler, Mathias (Hrsg.): Turnier. 1000 Jahre Ritterspiele, Wien / München 2017, S.253 – 283.
4 ….. Knöll, Cranach in Coburg, 2020 (wie Anm.1)
5 …. Gehrt, Turnierbücher, 2014 (wie Anm.2), S.334.
6 …. Krause, Stefan: „die ritterspiel als ritter Freydalb hat gethon aus ritterlichem gmute“ – Das Turnierbuch Freydal Kaiser Maximilians I. Der letzte Ritter und das höfische Turnier. Ausstellungskatalog, Regensburg 2014, S. 172 – 186.
7 ….. Müller, Matthias / Weschenfelder, Klaus / Böcken, Beate / Hansmann, Ruth: Apelles am Fürstenhof. Facetten der Hofkunst um 1500 im Alten Reich. Ausstellungskatalog zur Ausstellung „Apelles am Fürstenhof. Facetten der Hofkunst um 1500 im Alten Reich“ in den Kunstsammlungen der Veste Coburg, Berlin 2010, S.225f.
8 …. Bestandskatalog der Kunstsammlungen der Veste Coburg, Bd. 1 Malerei, Bd.2 Graphik, 2021, Knöll, Stephanie.
9 ….. Keen, Maurice: Das Rittertum. Düsseldorf 2002.
10 ….. Üblich war, dass eine Turnierteilnahme bis zum 30. Lebensjahr stattfand.
11 ….. Knöll, Cranach in Coburg, 2020 (wie Anm.1)
12 ….. Meyer, Werner: Ritterturniere im Mittelalter. Lanzenstechen, Prunkgewänder, Festgelage, Mainz 2017.
13 ….. Von Leitner, Quirin: „Freydal!“ Des Kaisers Maximilian I. Turniere und Mummereien. Mit einer geschichtlichen Einleitung, einem facsimilirten Namensverzeichnis und 255 Heliogravuren, Holzhausen / Wien 1880 – 1882.
Krause, Stefan (Hg.): Freydal. Medieval Games. Turnierbuch des Kaisers Maximilian I., Köln 2019.
14 …. Schnitzer, Claudia: Höfische Maskeraden: Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999.
15 ….. Spieß, Karl-Heinz: Fürsten und Höfe im Mittelalter, Darmstadt 2008.