Der Friedensplan des Heinrich
Rantzau

 

von Ulrich Vogel

Der Friedens-plan des Heinrich
Rantzau

 

von Ulrich Vogel

Bekannt ist Heinrich Rantzau als Humanist und Mäzen, als Politiker und als einer der reichsten Männer des Nordens. Weniger bekannt ist, dass er einen Friedensplan entwarf, der seiner Zeit weit voraus war. Der Plan basierte auf dem Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit und verfolgte das Ziel, einen dauerhaften Frieden in ganz Europa zu stiften. Er gilt als einer der kühnsten politischen Entwürfe der frühen Neuzeit. Am 11. März 1526 wurde Heinrich Rantzau auf der Steinburg bei Itzehoe in Holstein geboren.

Ein Brief für den Frieden

Herzog Ulrich von Mecklenburg traute seinen Augen nicht, als er den Brief seines Freundes las. Heinrich Rantzau, der Statthalter des dänischen Königs in den Herzogtümern Schleswig und Holstein eröffnete ihm darin seinen Plan eines „Generalfriedens“, bei dem Glauben und Gewissen „ungezwungen gelassen“ sein sollten. Ein Frieden zwischen allen verfeindeten europäischen Mächten auf der Grundlage von Religions- und Gewissensfreiheit – war das nicht völlig utopisch?

Seit Herzog Alba die niederländischen Provinzen mit Terror und Gewalt überzogen hatte, war die spanische Herrschaft bei der Bevölkerung abgrundtief verhasst, ein Ende der Auseinandersetzungen, in dem die calvinistischen Niederlande für ihre Unabhängigkeit kämpften, nicht absehbar.

Rantzaukapelle innen; CC3.0 Quoth; Link zum Bild

Das galt auch für den Konflikt zwischen dem katholischen Spanien und dem protestantischen England. Der Untergang der Armada hatte gezeigt, dass der spanischen Weltmacht in dem Inselreich ein mächtiger Gegenspieler erwachsen war.

Frankreich schließlich bot ein Bild der konfessionellen Zerrissenheit und hatte in der Bartholomäusnacht ganz Europa vor Augen geführt, wohin religiöser Fanatismus führte. Von Frieden und Toleranz war die Welt weiter entfernt denn je.

Der Herzog, so schwebte es Rantzau vor, solle bei den Reichsfürsten für seinen Plan werben. Er habe auch Graf Karl von Arenberg, den Ratgeber Philipps II., ins Bild gesetzt und hoffe, dass auch Spanien ihn unterstützen werde. Er meinte es also ernst. War er auf seine alten Tage zum hoffnungslosen Idealisten geworden?

Der heimliche Herrscher

In den vielen Jahren, in denen sie freundschaftlich verbunden waren, hatte Ulrich die steile Karriere seines ehrgeizigen Freundes begleitet. Als holsteinischer Adliger hatte Rantzau erreicht, was man überhaupt erreichen konnte. Vom Rat des dänischen Königs war er zum Statthalter in den Herzogtümern Schleswig und Holstein aufgestiegen. Dank seiner vielen Kontakte in ganz Europa war er über die nahen und fernen Weltläufte stets gut informiert. Er genoss das Vertrauen des dänischen Königs und vertrat ihn in Verhandlungen mit fremden Mächten; manchen galt der „vicarius regis“ als der heimliche Herrscher des Königreiches. Diese beispiellose Erfolgsgeschichte, so sehr sie auch sein eigenes Verdienst war, wäre ohne seine illustre Herkunft allerdings kaum möglich gewesen.

Heinrich Rantzau stammte aus einer der reichsten und vornehmsten Familien der holsteinischen Ritterschaft. Sein Vater Johann stand loyal an der Seite seines Königs, und als erfolgreicher Heerführer war er mit Ländereien aus dem Fundus der nach der Reformation säkularisierten Klöster fürstlich belohnt worden. Seinen Sohn schickte er zum Studium nach Wittenberg. Der junge Rantzau saß am Tisch Luthers und wurde wohl auch von Philipp Melanchthon, dem großen Star unter den Humanisten, unterwiesen. Seine gediegenen Lateinkenntnisse, die er dort erwarb, nutzte er zeitlebens, um gelehrte Korrespondenz mit den Geistesgrößen seiner Zeit zu pflegen. Danach zog er im Gefolge Herzog Adolfs von Gottorf für sechs Jahre an den Hof Kaiser Karls V. und damit in die Welt der hohen Politik und des höfischen Lebens. Als er in den Dienst des dänischen Königs trat, war er bereits ein gebildeter und weltläufiger junger Mann.

Anders als sein Vater wurde Heinrich Rantzau kein Soldat, sondern Beamter; er führte die Feder, nicht das Schwert. Den Krieg kannte er vor allem aus Büchern. Er selbst verfasste Werke über den Krieg, darunter eine Schrift über den Dithmarscher Bauernkrieg. Als Johann Rantzau 1559 den Krieg gegen die Dithmarscher, die ihre Unabhängigkeit über Generationen verteidigt hatten, militärisch für den dänischen König entschied, war Heinrich an der Aufteilung der Beute und der Neuorganisation des Landes maßgeblich beteiligt.

Dieser Krieg war nach seiner Auffassung die gerechte Strafe für die unbotmäßigen und aufsässigen Bauern, „damit sie endlich lernten, sich einer wahren und rechtschaffenen Obrigkeit zu unterwerfen“. Für Heinrich Rantzau war er das Musterbeispiel eines gerechten Krieges.

Doch anders als der Autor entwickelte sich der Politiker Rantzau zu einem Mann des Friedens. 1585, nach über dreißig Jahren im Dienste des Königs und sechs Jahre vor seiner Friedensinitiative, bekannte er in einem Brief an Herzog Ulrich: „Ein beschwerlicher Fried ist alle Zeit besser als ein gerechter Krieg.“ Anlässe zum Umdenken hatte es genug gegeben: Einer war wahrscheinlich der als „Dreikronenkrieg“ in die Geschichte eingegangene Nordische Siebenjährige Krieg.

Schloss Rantzau, ehemaliger Stammsitz der Familie; CC3.0 PodracerHH; Link zum Bild

Ausgelöst wurde er unter anderem wegen der Frage, ob Dänemark weiterhin die drei schwedischen Kronen im Wappen führen durfte, obwohl Schweden aus der Union mit Dänemark ausgeschieden war. Als die Ressourcen beider Kriegsparteien erschöpft waren und keine Seite die Oberhand gewinnen konnte, fand man sich zum Frieden bereit. An den Verhandlungen 1570 in Stettin nahm Rantzau als Vertreter Kopenhagens teil. Den Streit um die drei Kronen konnte man allerdings auch dort nicht beilegen.

Die Ein-Mann-Renaissance

Frieden zu bewahren war für Heinrich Rantzau nicht nur ein Gebot der Staatsräson; es lag auch in seinem eigenen Interesse. Abgesehen von dem Dreikronenkrieg und dem kurzen Dithmarscher Feldzug waren die Länder zwischen Nord- und Ostsee eine Oase des Friedens. Doch in der unübersichtlichen Gemengelage politisch-konfessioneller Spannungen bedurfte es nicht viel, und die Furie des Krieges würde auch die Herzogtümer heimsuchen. In einem solchen Fall hätte Rantzau viel zu verlieren gehabt. Als Besitzer von 71 Schlössern und Herrenhäusern war er einer der reichsten Männer des Landes. Lukrative Einkünfte verschaffte ihm darüber hinaus seine Stellung als Amtmann von Segeberg. Die Gewinne, die aus dem Abbau von Gips am Kalkberg erzielt wurden, flossen zu einem Gutteil in seine eigene Tasche.

Rantzau war nicht nur Großgrundbesitzer und Unternehmer, sondern auch leidenschaftlicher Sammler, Baumeister und Mäzen. Durch die enormen Mittel, die er zur Verfügung hatte, ist die kulturelle Entwicklung des Landes vor allem mit seinem Namen verbunden. In der Geschichtsschreibung Schleswig-Holsteins gilt das 16. Jahrhundert als das Rantzausche Zeitalter; die Epoche von Renaissance und Humanismus im hohen Norden war gewissermaßen ein Ein-Mann-Unternehmen. Auf Schloss Breitenburg, seinem Hauptsitz nahe dem holsteinischen Itzehoe, entstand die größte und für lange Zeit einzig nennenswerte Bibliothek zwischen Nord- und Ostsee.

Portret van Heinrich von Rantzau, Hendrick Goltzius, 1587 – 1591; CC0 Rijksmuseum

Bei aller Weltläufigkeit war er seiner Heimat, der „Kimbrischen Halbinsel“, eng verbunden und widmete sich intensiv ihrer Geschichte. Ihm ist zu verdanken, dass wir heute viele künstlerisch und historisch wertvolle Ansichten schleswig-holsteinischer Städte besitzen, von Tondern über Kiel bis Ratzeburg – in vielen Fällen die ersten und für lange Zeit einzigen.

„Dulce bellum inexpertis“ – den Krieg liebt nur, wer ihn nicht kennt. Rantzau hätte diese Sentenz des Erasmus von Rotterdam, der antike Autoren gern als Kronzeugen seiner Friedensappelle bemühte, sicher unterschrieben. Mit seinem Wunsch nach Frieden als Grundlage jeder zivilisierten Lebensform stand er keineswegs allein. Der Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts, der sich die geistige Erneuerung Europas auf die Fahne geschrieben hatte, war auch eine Friedensbewegung. Die eigentlich knifflige Frage dabei war: Wie konnte man aus der Spirale der Gewalt herausfinden und einen dauerhaften Frieden schaffen?

Konturen einer neuen Weltordnung

Nach Auffassung Karls V. hatte allein der Kaiser die Aufgabe, den Frieden zu sichern und die Einheit der Christenheit zu bewahren. Der Habsburger versuchte ein letztes Mal, die Idee eines universalen katholischen Kaisertums mit aller Macht in Europa durchzusetzen. Doch auf spektakuläre Siege folgten immer wieder Rückschläge. Heinrich Rantzau erlebte die Höhen und Tiefen der kaiserlichen Politik mit. Er war dabei, als Karl das von den Franzosen besetzte Metz vergeblich belagerte. Dass der mächtigste Herrscher der Welt, in dessen Reich die Sonne nie unterging, schmachvoll abziehen musste, muss für den jungen Ritter aus Holstein ein Schlüsselerlebnis gewesen sein.

Der Kaiser konnte das Ausbreiten der „verfluchten Ketzerei“ nicht verhindern. Die Fliehkräfte, die die Reformation ausgelöst hatte, erwiesen sich als stärker. Aus eigener Überzeugung zum Glauben zu finden statt durch kirchliche Autorität, war für die Menschen des 16. Jahrhunderts eine unwiderstehliche Erfahrung von Mündigkeit und Freiheit. Als Luther auf dem Reichstag zu Worms vor dem Kaiser nicht widerrief, waren Johann Rantzau und der dänische Thronfolger, der spätere Christian III., unter den Anwesenden. Beide waren tief beeindruckt.

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Die Reformation war nicht nur eine Sache des Glaubens, sie entwickelte auch eine gewaltige politische Sprengkraft. Spätestens seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, in dem das protestantische Glaubensbekenntnis im Reich anerkannt wurde, war Karl klar, dass seine Politik gescheitert war. Auf der europäischen Bühne schwelten die Konflikte zwischen Habsburg und Frankreich, Spanien und den Niederlanden auch nach seiner Abdankung weiter. Am Ende des Jahrhunderts hatte sich ein europäisches Staatensystem herausgebildet, das auf den Grundsätzen der Souveränität und der Gleichrangigkeit beruhte. Kein Hegemon, sondern ein Konzert der Mächte sollte die Geschicke des Kontinents für die nächsten Jahrhunderte bestimmen.

Rantzau beobachtete diese Entwicklung sehr genau und zog seine Schlüsse daraus: Die konfessionelle Spaltung war unumkehrbar; Glaube und Gewissen ließen sich nicht „zwingen“.

Ein allgemeiner Friede war daher nur möglich auf der Grundlage religiöser Toleranz. Von Dauer würde er nur dann sein, wenn alle Parteien auf Augenhöhe verhandelten und die vertraglichen Bestimmungen wechselseitig garantieren. Dass Rantzau die Konturen der heraufdämmernden neuen Weltordnung erkannte und zum Angelpunkt seines Friedensplans machte, zeigt, dass er ein weitsichtiger Realpolitiker war. Dessen Verwirklichung hingegen musste in seiner Zeit Utopie bleiben.

„Der Friede von Münster“, Gerard ter Borch; Rijksmuseum – On loan from the National Gallery, London. Presented by Sir Richard Wallace, 1871; CC0 1.0 Universal (CC0 1.0)

Das Ende vor dem Anfang

So endete der Vorstoß, noch bevor er begonnen hatte. Herzog Ulrich hatte sich von Anfang an gefragt, wie „solch groß Werk mit Bestand anzufangen und zu vollführen“ sein solle. Die spanische Seite ging auf den Vorschlag erst gar nicht ein; Arenberg forderte von Dänemark stattdessen die Schließung des Öresunds, um den Handel der Niederländer zu treffen. Eine ernsthafte Friedensabsicht ließ sich darin nicht erkennen. Rantzau hat das Projekt danach nicht mehr weiter verfolgt.

Erst zwei Generationen später sollten seine Ideen Wirklichkeit werden, zumindest teilweise. Der Westfälische Friede von 1648 war das Ergebnis eines internationalen Friedenskongresses, an dem alle kriegführenden Mächte beteiligt waren. Das Lehrgeld war immens: Nach dreißig Jahren Krieg hatte Mitteleuropa ein Drittel seiner Bevölkerung verloren, viele Regionen waren verwüstet. Von der Verwirklichung der Glaubens- und Gewissensfreiheit war man dagegen noch Jahrhunderte entfernt. Die individuellen Menschenrechte, so wie wir sie heute kennen, wurden erst in der Aufklärung formuliert und, anders als in der Zeit Rantzaus, nicht mehr aus dem Geist des Protestantismus, sondern naturrechtlich begründet. Und doch führt von seinen Gedanken ein Weg, auch wenn er weit und verschlungen ist, bis zum Artikel 4 unseres Grundgesetzes.

Mehr von Ulrich Vogel: Im 17. Jahrhundert galt die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel als ein Weltwunder. Der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing zählte zu ihren berühmten Bibliothekaren. Heute gehört sie zu den führenden Forschungsbibliotheken für das Mittelalter und die frühe Neuzeit. Geschaffen hat sie Herzog August der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg, ein kleiner Fürst und großer Mäzen, ein leidenschaftlicher Sammler und anerkannter Gelehrter. Mitten im Dreißigjährigen Krieg machte er sie zur größten Bibliothek auf dem europäischen Kontinent. Wer war dieser Bücherfürst, und wie hat er diese erstaunliche Leistung vollbracht? – Der Autor ist dieser Frage nachgegangen und zeichnet ein anschauliches Bild des Herzogs vor dem Hintergrund seiner Zeit.

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