Einführung in den Hellenismus
von Christian Schaller
Das klassische Griechenland erfand die Philosophie und Demokratie, während das Römische Reich bis heute die Grundfesten unserer westlichen Kultur und Zivilisation bildet. Tatsächlich liegen zwischen den Blütezeiten dieser beiden Kulturen jedoch mehrere hundert Jahre. Das ist die Zeit des Hellenismus, also die Epoche zwischen den Eroberungszügen Alexanders des Großen und dem Beginn der Alleinherrschaft des ersten römischen Kaisers Augustus. In Jahreszahlen umfasst es die Zeit von 336 vor Christus, dem Regierungsantritt Alexanders, bis 30 vor Christus, das Jahr in dem das Römische Reich mit dem ptolemäischen Ägypten das letzte verbliebene hellenistische Reich annektierte.
Diese Epochengrenzen sind schwammig. Bereits vor Alexander hatte sich die griechische Kultur weit ausgebreitet, es gab Kolonien an den Küsten des Schwarzen Meeres und des gesamten Mittelmeeres, bis nach Frankreich und Spanien. Festlandgriechenland wurde dagegen schon mitten im Hellenismus ein Teil des Imperiums. Und auch nach dem Ende des ägyptischen Ptolemäerreiches spielte das Griechentum eine herausgehobene Rolle in der nun führenden Kultur des neuen Weltreiches. Die Römer liebten die griechische Lebensart und sie verehrten und rezipierten die Philosophen bis in die Spätantike hinein, wo nicht zuletzt der Neuplatonismus das frühe Christentum und damit wiederum das europäische Mittelalter prägen sollte.
Der Hellenismus ist im heutigen Bewusstsein nicht so tief verankert wie das Weltreich der Römer oder die großen Leistungen des klassischen Griechenlands. Doch gerade diese Epoche überrascht durch ihr überreiches kulturelles Leben. Im Mittelmeerraum waren die drei vorchristlichen Jahrhunderte überaus multikulturell und pluralistisch. Es war eine Hochzeit von Kunst, Musik und Dichtung, aber auch Wissenschaft und Technik.
Bereits Alexander der Große wurde von Geographen begleitet, die das Land vermaßen. Mathematik, Medizin, aber auch Philosophie knüpften an die Errungenschaften des klassischen Griechenlands an und entfalteten sich weiter. Gleichzeitig waren die Völker und Reiche im ständigen Wandel, es gab Kriege und Spannungen, aber auch fruchtbare kulturelle Verschmelzungen. Der mediterrane Raum wurde zwar zunehmend „hellenisiert“, letztendlich gab es aber noch eine Vielzahl an weiteren antiken Völkern – Ägypter und Perser, Punier und Etrusker, Berber und Kelten. Sie alle prägten die bunte Epoche des Hellenismus ganz maßgeblich mit.
Doch zurück zum Anfang: Im Peleponnesischen Krieg von 431-404 vor Christus hatten sich die Stadtstaaten der Ägäis, aber auch Siziliens und Kleinasiens fast eine Generation lang bekriegt. Sparta ging letztendlich siegreich hervor und brach die ehemalige Vormachtstellung Athens. Im vierten Jahrhundert vor Christus war die Blütezeit der Attischen Demokratie und das goldene Zeitalter des klassischen Griechenlands damit endgültig vorüber. Auch Spartas Vormacht schwand wieder und die Hoffnung der griechischen Welt auf allgemeinen Frieden und Freiheit sollte über Jahrzehnte unerfüllt bleiben. In diesem Chaos und Machtvakuum konnte König Philipp II. (382-336 v. Chr.) sein Heimatland Makedonien zur neuen Vormacht in Griechenland führen. Er reformierte sein Heer, bestand gegen die Illyrer und Thraker im Norden und einte die griechischen Staaten und Städte zum Korinthischen Bund, zu dessen Hegemon er sich wählen ließ. Er plante bereits einen Feldzug gegen den alten Feind Persien im Osten, wurde jedoch im Sommer 336 vor Christus von seinem Leibwächter ermordet. Sein junger und ehrgeiziger Sohn Alexander bestieg nun den makedonischen Thron.
Bis zu diesem Zeitpunkt war die griechische Kultur im mediterranen Raum zwar weit verbreitet, die dominierende Macht – vor allem im östlichen Mittelmeerraum – war jedoch weiterhin das Großreich der Perser. Das Riesenreich im Osten zeigte jedoch erste Schwächen: Aufstände und Thronstreitigkeiten erschütterten die Innenpolitik, die Könige horteten Reichtümer und schwächten damit die Ökonomie, während die Satrapen, also die Statthalter der vielen Provinzen, eigenmächtig agierten und ebenfalls nur ihren Wohlstand mehrten.
Nachdem Alexander Rebellionsversuche in Griechenland niedergeschlagen hatte, zog er mit 35.000 Soldaten nach Kleinasien und schlug dort ein ähnlich großes, aber ungeschickt agierendes Perserheer. Ein Jahr später kommt es 333 vor Christus zur berühmten Schlacht bei Issos an der anatolisch-syrischen Grenze. Wieder verloren die Perser, diesmal von Großkönig Dareios III. angeführt. Alexander verfolgte den Herrscher zunächst nicht, sondern wandte sich nach Süden, wo er die Levante und schließlich Ägypten eroberte. Im Jahr 331 vor Christus schlug er in der Schlacht bei Gaugamela die Perser endgültig. In den folgenden zwei Jahren brachte er den gesamten Osten des Perserreiches unter sich, zog in Babylon und Persepolis ein und auch der erneut geflohene Dareios wurde schließlich ermordet.
Alexander zog mit seinem Heer bis nach Indien, doch meuternde Soldaten zwangen ihn schließlich zur Umkehr. Im Jahr 323 vor Christus starb Alexander nach einem rauschenden Fest in Babylon. Seine Ambitionen können nur kosmopolitisch genannt werden. Durch Stadtgründungen und die Massenhochzeit von Susa wollte er die griechische mit den östlichen Kulturen verschmelzen und die alten Gegensätze überwinden. Doch seine Gefolgsleute teilten seine Ideen nicht und schon bald nach seinem Tod zerfällt das riesige Reich in mehrere sogenannte Diadochenreiche (griechisch für Nachfolger), jeweils regiert von ehemaligen Generälen Alexanders.
In Makedonien übernahm die Dynastie der Antigoniden (nach dem General Antigonos „dem Einäugigen“). In Syrien entstand das Seleukidenreich (nach dem Feldherren Seleukos „dem Siegreichen“), das während seiner größten Ausdehnung im späten dritten Jahrhundert vor Christus weite Teile Kleinasiens, der Levante und des Vorderen Orients umfasste. In Ägypten kam die Dynastie der Ptolemäer (nach dem General Ptolemäus Soter) an die Macht, deren letzte Herrscherin 300 Jahre später die berühmte Kleopatra (VII. Philopator) sein sollte.
In den Diadochenreichen herrschte ein starker Gegensatz zwischen den eingewanderten Griechen, welche meist nur ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, und den einheimischen „Orientalen“. Griechen wurden bei Vergehen nicht so hart bestraft und wurden bei der Besetzung politischer und militärischer Ämter bevorzugt. Die Einwanderung von Griechen wurde von den verschiedenen Herrschern massiv gefördert ebenso wie die griechische Kultur als Ganzes.
Dies umfasste nicht nur Lebensart und Kultausübung, sondern auch die Sprache. Es entstand rasch eine gesamtgriechische Verkehrssprache, die sogenannte Koine (griechisch für „allgemein, allgemeiner Dialekt“). Als eine Sprache, die man von Süditalien bis Baktrien verstand, war sie bis in die Spätantike von großer Bedeutung für alle Gesellschaften des östlichen Mittelmeers und des Vorderen Orients. Beispielsweise wurde auch das Neue Testament der Bibel in der Koine verfasst. Es galt bald als erstrebsam, ein Grieche zu sein oder sich zumindest griechisch zu verhalten. Sogar die Römer führten die Herkunft ihrer Stadt auf den legendären Trojaner und damit Griechen Aeneas zurück. Trotz der ethnischen Trennung wuchsen Griechen und Nicht-Griechen zunehmend zusammen – die Hellenen wurden dabei orientalisiert und die Orientalen hellenisiert.
Eine große Rolle spielten dabei Religion und Kult. Die Diadochen neigten dazu, ihre Götter mit den einheimischen zu verschmelzen – beispielsweise wurde die griechische Fruchtbarkeitsgöttin Demeter mit der ägyptischen Muttergöttin Isis gleichgesetzt. Zudem gab es auch einige aus heutiger Sicht positive gesellschaftliche Strukturen. Im Großen und Ganzen war die Stellung der Frau besser als zuvor im klassischen Griechenland oder danach im Römischen Reich. Frauen durften Ämter bekleiden, Unternehmen führen, sich schulisch bilden und sie waren gerichtsbar. Auch die Sklaverei war in vielen Gebieten nicht so stark ausgeprägt, wie man das für antike Gesellschaften erwarten würde. Und auch einen Adel im engeren Sinne gab es kaum. Ämter waren nicht erblich und wurden in der Regel durch Können verliehen.
Obwohl die Diadochenherrscher große Autorität besaßen und politische, steuerliche und militärische Gewalt an sich rissen, konnten zahlreiche Städte weiterhin wachsen und erblühen. Neben florierenden Metropolen wie Pergamon, Antiochia oder Kyrene sticht aber vor allem Alexandria, die Hauptstadt des Ptolemäerreiches hervor. Die von Alexander dem Großen gegründete Hafenmetropole wurde durch die neuen Herrscher Ägyptens planmäßig und monumental ausgebaut. Durch ihre politische und wirtschaftliche Bedeutung angefacht, entwickelte sich Alexandria rasch zu einer der größten Städte der Antike, in der die Wissenschaften in unvergleichlichem Maß erblühten. Noch heute sind die berühmte Bibliothek von Alexandria oder der zu den Sieben Weltwundern zählende Leuchtturm von Pharos vielen ein Begriff. Auch das Grabmal Alexanders des Großen befand sich schließlich in der Stadt.
Neben den Diadochenreichen gab es jedoch noch zahlreiche andere Herrschaftsgebiete im Mittelmeerraum. Am Hindukusch löste sich das Griechisch-Baktrische Königreich von den Seleukiden, in Kleinasien entwickelten sich mehrere kleine Territorialstaaten wie Bithynien, Pergamon oder Pontos und auf Sizilien etablierten sich Monarchien wie das Königreich von Syrakus. Italien war von den andauernden Eroberungskriegen der Regionalmacht Rom geprägt, die nach und nach die Halbinsel in Abhängigkeit brachten. Im dritten Jahrhundert vor Christus wurde die punische bzw. phönizische Handelsstadt Karthago im heutigen Libyen zur reichsten Metropole des Mittelmeers. Ihr Machtbereich umfasste viele Küsten Nordafrikas, Südspaniens, der Balearen, Korsikas, Sardiniens und Siziliens.
Die Römer errangen während des Hellenismus zunächst die Oberherrschaft über Italien, besiegten den großen Konkurrenten Karthago dann in den drei Punischen Kriegen und beanspruchten zunehmend außeritalische Gebiete. Bald fiel ihr Blick auch nach Osten: Nach und nach brachten sie die Diadochenreiche in ihre Abhängigkeit, eroberten sie wenn nötig und annektierten die Regionen nach und nach als römische Provinzen in ihr ständig wachsendes Reich. Als nach langen Bürgerkriegen und Kämpfen schließlich Oktavian, besser bekannt als Augustus, der erste Kaiser des römischen Reiches, im Jahr 30 vor Christus das ptolemäische Ägypten eroberte – das letzte bestehende Diadochenreich – endete das Zeitalter des Hellenismus.
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Verwendete Literatur
- Chaniotis, Angelos: Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus. Darmstadt 2019.
- Lotze, Detlef: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Hellenismus. München 2017.
- Meißner, Burkhard: Hellenismus. Darmstadt 2007.
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