Der Orden der Guttempler
von Christian Schaller
Der Orden der Guttempler im Deutschen Kaiserreich und ihr „Kreuzzug gegen die Trunkenheit“
Vor über 700 Jahren nahm der legendäre Orden der Tempelritter mit dem Feuertod seines letzten Großmeisters im Jahr 1314 ein jähes Ende. Die mittelalterlichen Templer und ihre Kreuzzüge erfreuen sich jedoch bis heute einer unglaublichen Popularität. Die Kriege und Eroberungen im Heiligen Land wurden ihrerzeit als etwas Tapferes und Heiliges, aber auch Notwendiges angesehen. Unzählige Gruppierungen mit einem Hang zu dieser Ritterromantik haben sich deshalb seit Beginn der frühen Neuzeit auf diese bedeutungsschweren Begriffe berufen.
Berühmtestes Exempel sind wohl die zu den fiktiven Nachfahren der Templer verklärten Freimaurer, doch auch andere Organisationen und Vereine stellten sich in die Tradition dieser alten Namen. Ein wunderbares Beispiel bildet dabei der Orden der Guttempler. Die Mitglieder dieser internationalen Vereinigung führten auch einen bedeutsamen Kreuzzug – den gegen die Trunkenheit und den Alkoholismus. Um 1900 waren sie der mitgliederstärkste Verein dieser Art im Deutschen Kaiserreich.
Doch welche neuen Ideen und Erkenntnisse brachten sie mit sich, was kritisierten und verbesserten sie? Welchen Idealen folgte der Orden und was erreichte er schlussendlich? Die vorliegende Arbeit geht diesen Fragen nach und versucht darüber hinaus aufzuzeigen, warum gerade die Guttempler so „gut”, so erfolgreich waren und einen derart großen Zustrom fanden.
Der Alkohol besaß seit jeher eine tiefe Verankerung in vielen Kulturkreisen, sei sie nun religiöser oder medizinischer Natur, im Alltag oder an Festtagen sowie innerhalb sämtlicher Gesellschaftskreise. Im 16. Jahrhundert setzte sich der Alkohol, im eigentlichen Sinne der Branntwein, dann auch bei breiten Bevölkerungsschichten durch. Er war nun preiswert und durchgehend verfügbar.
Bereits in dieser Zeit wurden die historischen Wurzeln für die zukünftige Alkoholkritik gelegt – durch die Reformation. Die Lehren und Ansichten der Lutheraner und Calvinisten gelten als geistige Grundlage, von ihnen lässt sich gewissermaßen ein roter Faden zur temperenten Lebensweise ziehen. Erst ab dem 18. Jahrhundert begann man, Alkohol als Konfliktbereich wahrzunehmen. Kritik kam vor allem von kirchlicher Seite, zum Beispiel von Puritanern und Quäkern, aber auch von Ärzten. Die in Nordamerika aufkommende Temperance-Bewegung sorgte für eine weitreichende Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft und diente schließlich auch als Vorbild für den europäischen Kampf gegen den Alkohol.
Als ihr Gründer gilt Benjamin Rush. Er erkannte das Trinken als Krankheit und folgerte, dass für eine vollständige Heilung absolute Abstinenz nötig sei. Denn Alkohol galt immer noch als Standardgetränk und dessen Vertrieb unterlag so gut wie keinen strengeren Kontrollen. Ab 1830 breitete sich die Reformbewegung langsam nach Großbritannien und dann über Skandinavien aus, bis 1870 blieb sie aber weitgehend amerikanisch geprägt. Obwohl bereits wissenschaftlich erwiesen, wurde bis in diese Zeit der Krankheitswert der Trunksucht faktisch nicht anerkannt. Sie galt dagegen als moralisches Scheitern und als Ursache für Armut, Kriminalität und Entartung. Weite Teile der amerikanischen Bevölkerung sprach weit mehr auf die moralisch-religiöse Seite der Alkoholbekämpfung an als auf die sachliche. Dennoch reiften die meisten Ideen und Erkenntnisse der Antialkoholbewegung zunächst in den USA. Sie wurden dort entwickelt und später von Europa aufgenommen, erweitert und verbessert.
Alkohol und Alkoholismus im deutschsprachigen Raum
Der Kampf gegen den Alkohol war den deutschen Ländern nicht absolut neu. Bereits in der Zeit des Vormärz, während der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts, bildete sich beispielsweise das Kolonisationswerk „Kreuzzug wider den Branntwein”. Vorangetrieben wurde diese frühe deutsche Bewegung von Gelehrten, hauptsächlich Klerikern, teilweise wurde sie sogar schon vom Staat unterstützt. Dennoch waren viele Handwerker Mitglied, die sich von der branntweinsüchtigen Unterschicht abzugrenzen versuchten. Sie wollten ihrerseits eine Tradition begründen, in der das Handwerk und der Konsum von Schnaps unvereinbar waren. Damit spaltete der Branntwein die Gesellschaft, die Mäßigkeitsbewegung war nicht mehr nur eine Reform von unten, sondern auch eine Volkserhebung.
Den Alkoholgegnern war dabei eines gemeinsam: die Angst. Die deutschen Länder nahmen die tiefgreifenden Änderungen wahr – die Industrialisierung und den aufkommenden Pauperismus, die Soziale Frage sowie die aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich. An Allem gaben sie dem Alkohol die Schuld. Diese frühe Bewegung, die noch in die Jahrzehnte vor der eigentlichen deutschen Reichsgründung fällt, scheiterte letztendlich jedoch aufgrund der fehlgeschlagenen Revolution der Jahre 1848 und 1849 – das „Flackerfeuer war verraucht”.
Einige Vereine konnten sich bis zur Reichsgründung 1871 halten, diese waren jedoch unbedeutend. Zusammenfassend kann man den „Kreuzzug wider den Branntwein” als bedeutsamen Schritt der Deutschen im Kampf gegen den Alkohol ansehen, als eine Art erste Mäßigkeitsbewegung. Schon in den vierziger Jahren verbanden sie den Branntwein mit der Sozialen Frage, und erkannten die Problematik des Alkohols, allerdings glaubten sie auch an eine einfache Lösung des Konflikts. Trunksucht galt noch nicht als Sucht, sondern als Sünde. Erst im Kaiserreich sollten die wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder für neuen Aufwind sorgen.

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Die internationale Antialkoholbewegung erreichte Deutschland relativ spät, deutliche Einflüsse lassen sich erst nach der Reichsgründung 1871 nachweisen. Die Industrialisierung war seit dem Vormärz noch weiter vorangeschritten, es kam zu immer schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen und zu einer grundlegenden Änderung in der Gesellschaft. Der Alkohol wurde nun noch mehr als Ursache für Kriminalität, Armut und Amoralität gesehen.
Die Höhepunkte des Alkoholmissbrauchs lagen in den Gründerjahren des Deutschen Kaiserreiches, aber auch um die Jahrhundertwende herum. Der Prokopfverbrauch an Bier lag 1871 bei 79, 4 Litern, im Jahr 1900 bei 108 Liter. Der Konsum durchzog sämtliche Bevölkerungs- und Berufsgruppen. Der Pöbel und seine Branntweinpest des Vormärzes wandelten sich zum Industrieproletariat und seiner Alkoholfrage des Kaiserreichs. Der Alkohol wurde als Feind wahrgenommen.
Zusammenfassend ergeben sich für die Zeit der Jahrhundertwende mehrere bedeutende Sachverhalte: In fast allen Schichten war das Trinkverhalten im Wandel. Dies ließ sich einerseits auf ein enorm gestiegenes Angebot an billigem Kartoffelschnaps zurückführen, aber auch auf eine enorm gestiegene Nachfrage. Ein möglicher Grund hierfür bildete der ausufernde Pauperismus.
Alkohol galt als enthemmender und gleichzeitig betäubender Luxus für die hungernden Armen. Des Weiteren scheiterte der bis dahin religiös-moralische Weg der Alkoholbekämpfung, wie er beispielsweise im Vormärz oder auch in Nordamerika vertreten wurde, zusehends. Die meisten Armen waren für diese Ideologie nicht oder nicht mehr empfänglich. Was nun nötig wurde, waren neue Ideen und Erkenntnisse, eine Verwissenschaftlichung der Alkoholfrage und auch prohibitive Gesetze – in Deutschland und international.
In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzte die sogenannte zweite Mäßigkeitsbewegung ein. Sie spaltete sich schnell in einen abstinenten und in einen mäßigen Flügel – diese Aufteilung sollte für große und langwierige Konflikte sorgen. Neben dem Engagement der Arbeiterbewegung waren es vor allem neugegründete Vereine – sowohl gemäßigt als auch abstinent –, die auf Selbsthilfe und Aufklärung pochten. Die Bühne für die Guttempler war bereitet.
Der Orden der Guttempler
Im Jahr 1851 gründete Daniel Cody den Verein „The Knights of Jericho” in Utica, einer Stadt im US-amerikanischen Staat New York. Noch im gleichen Jahr trat Leverett E. Coon bei, der bis heute als eigentlicher Gründer der Guttempler gilt. Er schlug die Namensänderung zu „The Good Templars” vor und setzte im folgenden Jahr auch die rege Werbetätigkeit für den neuen Orden fort. Ein weiteres Mitglied, der Doktor D.W. Bristol, ersann schließlich noch das typische Ritual, also die stimmungsvollen Leitworte für die Treffen, die noch bis heute in Gebrauch sind.
In den folgenden Jahren breitete sich der Orden erfolgreich in anderen Staaten sowie nach Kanada aus. Sein Blick richtete sich dabei immer mehr auf europäische Einwanderer und schließlich auch nach Europa selbst. Joseph Malins gründete im Jahr 1868 die erste europäische Loge der Guttempler in Großbritannien. Malins war es auch, der sich 1877 in einem der größten Zerwürfnisse des Ordens, der sogenannten „Schwarzenfrage”, für die vorbehaltlose Aufnahme der farbigen Bevölkerung in den Orden aussprach. Der in den amerikanischen Sezessionskriegen aufgekommene Streit führte sogar zum Auseinanderbrechen des Ordens.
Zehn Jahre lang waren die Guttempler aufgespalten in einen amerikanischen und einen englischen Teil, bevor im Jahr 1887 die Wiedervereinigung beschlossen wurde. Erst jetzt war die seit der Gründung intendierte allumfassende Gleichberechtigung aller Menschen auch fest beschlossene Ordensregel. 1875 besaßen die Guttempler bereits 735.000 Mitglieder in 11.850 Logen. In der Folgezeit kam es zu einer Stagnation der Mitgliederzahlen in Amerika, seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts sanken die Zahlen sogar, was auf diverse ordensinterne Streitigkeiten zurückzuführen ist. Zeitgleich konnte jedoch auch ein großer Zustrom in Europa verzeichnet werden, der bis zum ersten Weltkrieg anhalten sollte.
1877 begann der Orden bereits seine Tätigkeit in Norwegen, 1879 in Schweden und 1880 in Dänemark. Abschließend lässt sich konstatieren, dass sich bis zum ersten Weltkrieg auf allen Kontinenten der Welt Logen etablieren konnten, außerhalb von Amerika und Europa waren diese jedoch weitgehend erfolglos. Wo der Orden jedoch Fuß fasste, stieg er in den meisten Fällen zum führenden Enthaltsamkeitsverein auf. Darüber hinaus bildeten sich zahlreiche mit den Guttemplern verwandte und verknüpfte Vereine. Die Grundsätze des Ordens waren selbstverständlich dessen angestrebte Ausweitung und damit verbunden eine Verbesserung der Gesellschaft. Eine Aufnahme war ab 17 Jahren möglich. Alkohol war ein absolutes Tabu, auch der Kauf und Vertrieb desselben. Ausnahmen bildeten die christliche Eucharistie sowie die ärztliche Verschreibung alkoholhaltiger Medizin.
Der Orden verfügte über eine eigene Verfassung, eine Art Gesetzbuch mit Richtlinien, Rechten, Pflichten und Ehren der Guttempler. Es gab länderspezifische Verfassungen, in der späteren Zeit des Ordens auch zahlreiche Abspaltungen, jede mit abgewandelten Satzungen. Einige Grundlagen der Guttempler blieben jedoch immer dieselben. Die 1907 herausgegebene Verfassung des schweizerisch-süddeutschen Neutralen Guttemplerordens legt beispielsweise in Artikel 6 fest: „Die Glaubens- und Gewissens-Freiheit ist unverletzlich. Der Orden steht Bekennern jedes Glaubens und jeder philosophischen und politischen Anschauung offen. Nationalität und Rasse dürfen kein Hindernis für die Ordensmitgliedschaft bilden.”
In Artikel 10 wird das noch vertieft: „Die männlichen und weiblichen Mitglieder sind gleichberechtigt. Der Orden anerkennt keine Vorrechte der Geburt oder des Standes.” Gleichberechtigung und Abstinenz blieben die konstant feststehenden Grundsätze aller Ordensgruppen – in jedem Land und innerhalb jeder Abspaltung. Eine Mitgliedschaft konnte natürlich auch erlöschen, einerseits durch Austritt, Suspendierung und Ausschluss, aber eben in erster Linie durch die „Verletzung der den Alkohol und die Narcotica betreffenden Guttemplerverpflichtungen”.
Wirken des Guttemplerordens im Deutschen Kaiserreich
Am 9. Oktober 1887 wurde in Flensburg die erste offizielle deutsche Loge der Guttempler gegründet, der man den Namen Digynia gab. Man sah die Alkoholabhängigen im Deutschen Kaiserreich immer noch weitgehend als minderwertige, lasterhafte Menschen. Die Guttempler vertraten dagegen die Aussage, dass Alkoholismus eine Krankheit sei. Diese Ansicht ließ die Ausweitung des Ordens zunächst schleppend, später dafür jedoch umso schneller vonstatten gehen.
Im Jahr 1891 gründete die gebürtige Schottin Charlotte Gray die Loge Berolina in Berlin, die erste deutsche Loge außerhalb Schleswig-Holsteins. Von Berlin aus knüpfte sie Fäden in die Schweiz, wo sie den berühmten und bereits abstinent lebenden Psychiater Auguste Forel vom Eintritt in den Orden überzeugen und ebenfalls 1891 die erste schweizerische Loge, die Helvetia, gründen konnte. Auf Auguste Forel soll im folgenden Kapitel noch näher eingegangen werden.
1896 überschritt die Mitgliederzahl des Ordens die Tausendergrenze, im Jahr darauf verdoppelte sie sich bereits. Auf der großen Hamburger Tagung 1899 erfolgte dann ein Wechsel in der Ordensleitung. Hermann Blume war nun Oberhaupt des Guttemplerordens und löste damit Georg Asmussen ab. Das ist in sofern erwähnenswert, da Blume die Politik des Ordens fast 25 Jahre lang bestimmte. Er besaß große organisatorische Fähigkeiten, rednerische Begabung und eine ausgeprägte Kontaktfreudigkeit.
Er organisierte den Orden in eigenständige Distrikte mit eigenem Stimmrecht auf den Tagungen der Guttempler. Er setzte sich außerdem sehr für die Einrichtung von neuen, festen Ordenshäusern ein. Im Jahr 1903 fand die Ordenstagung zum ersten Mal in der Reichshauptstadt Berlin statt. Die Guttempler hatten in diesem Jahr 26.000 Mitglieder in 553 verschiedenen Logen. In den Folgejahren wuchs der Orden weiterhin beträchtlich, in Süddeutschland und Bayern allerdings nur sehr langsam und schleppend. Langsam kam es auch zu Spannungen zwischen der deutschen Loge und der Weltloge. Hermann Blume war der Meinung, dass die Guttemplerarbeit in jedem Land ihr eigenes Gesicht haben sollte und dass die noch immer sehr zentralistische Weltloge sich zu reformieren hatte.
Im Jahr 1905 verfasste Georg Asmussen, der von 1894 bis 1899 deutsches Ordensoberhaupt war, die Schrift „Der Guttempler-Orden und sein Wirken in Deutschland”. Gleich im ersten Kapitel erklärte Asmussen, warum seiner Meinung nach die Mäßigkeitsbewegung und der „Kreuzzug wider den Branntwein“ 60 Jahre zuvor scheiterten. „Sie waren bekehrt aber nicht belehrt. Die auflodernde Begeisterung hielt nicht stand, weil die innere Überzeugung fehlte“ , schrieb er. Gleichzeitig sah er es auch als Chauvinismus an, Erfahrungen aus dem Ausland nicht anerkennen und übernehmen zu wollen, in diesem Fall den Grundsatz: Enthaltsamkeit statt Mäßigung. Den Erfolg der Guttempler begründete er dadurch, dass ihnen diese Vorurteile fehlten und sie „für die Wahrheit und die rechte Freiheit“ kämpften. Er beschrieb außerdem, dass eine Vielzahl an verschiedenen Berufen und damit so gut wie alle gesellschaftlichen Schichten im Orden vertreten gewesen seien.
Im Kapitel „Etwas von der Organisation des I.O.G.T.“ erklärte Asmussen, dass die Guttempler in ihrer Organisationsstruktur durchaus den Freimaurern ähnlich seien – jedoch nur in dieser Hinsicht. Er schrieb, der Orden sei „aufgebaut auf dem Grundsatz der praktischen Menschenliebe und der Gerechtigkeit. Er will für sein Teil mitarbeiten an der sittlichen und intellektuellen Fortentwicklung des Menschengeschlechts.” Er betonte auch noch einmal die Gleichberechtigung aller Rassen, Klassen, Konfessionen und der Geschlechter.
Den Erfolg und Zusammenhalt der Guttempler begründete er durch die vorbildliche Organisationsstruktur des Ordens – auch im Vergleich mit dem gescheiterten „Kreuzzug wider den Branntwein”. Er griff hier die Metapher des tapferen Tempelritters auf, der mit seinem Schwert den Alkohol bekämpft, mit seinem Schild aber auch die schützt, die dem Alkohol bereits verfallen sind. Die möglichen Rangaufstiege und die feststehenden, kontinuierlichen Pflichten schürten seiner Meinung nach die Leidenschaft der Ordensmitglieder.
In den letzten vier Kapiteln der Schrift glorifzierte Asmussen die Zielsetzungen und Leistungen der Guttempler fast schon. Er schrieb vom Kampf gegen die weitverbreiteten Trinksitten und von den positiven Auswirkungen der Abstinenz auf die Gesellschaft, die Familien und die Individuen. Die Arbeit seines Ordens sah Asmussen abschließend als „ein Kampf gegen Vorurteile und Aberglauben, gegen Angewöhnung und Egoismus, oft aber auch gegen Dummheit und Bosheit” . Er schloss die Schrift mit den Worten: „Die Wahrheit aber wird siegen, sie wird uns und unser Volk frei machen!”
Der Orden zeichnete sich also international wie deutschlandintern durch eine straffe Organisation und Bürokratie aus, die an die Freimaurer angelehnt war. Darüber hinaus war er überkonfessionell und bot durch seinen Ordensritus ein Gruppenerlebnis, das vor allem zur Selbsthilfe aufrief – ein Guttempler wollte abstinent sein und bleiben und wurde dabei von seinen Ordensschwestern und -brüdern unterstützt. Doch abseits von solchen Propagandaschriften gab es sehr wohl Differenzen.
Zwei Hauptkämpfe musste der deutsche Orden austragen, infolge deren es zu diversen Abspaltungen kam. Der erste große Streit ging um die sogenannte „Bierfrage”, also um die Zulassung des traditionellen schlesischen Hausbieres. Viele der entsprechenden Gebiete waren unzureichend mit Trinkwasser versorgt, weshalb man Dünnbier trank. Ein völliger Verzicht auf Alkohol, wie ihn die Guttempler forderten, war in diesen Gebieten nur schwer möglich. Auch der religiöse Gehalt des guttemplerischen Rituals erweckte Anstoß. Der Orden vereinte unglaublich tolerante Grundsätze mit einer teilweise sehr starren christlichen Haltung.
Die Schweizer Guttempler unter Auguste Forel spalteten sich deshalb 1906 ab und nannten sich nun I.O.G.T.N.. also Neutraler Guttemplerorden. Die deutschen Stammlande des Ordens waren davon nicht betroffen, aber in Süddeutschland waren viele Logen von Schweizern gegründet worden und so verloren sie im ohnehin schlecht erschlossenen Süden des Reiches eine gewisse Anzahl an Mitgliedern. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges im Jahr 1914 wurden zahllose Veranstaltungen, Treffen und Tagungen abgehalten.
Der Orden wuchs ständig an, wenn auch nicht mehr ganz so rapide wie in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende. Er wurde deutschlandweit immer einflussreicher. Ein Kritikpunkt an den deutschen Guttemplern war allerdings, dass sie sich sehr auf das Element der Abstinenz bezogen und immer weniger auf die ursprünglich intendierte Gleichberechtigung. Doch auch bei der Enthaltsamkeitsideologie vertiefte man sich immer weniger auf die Trinkerrettung, sondern auf eine grundsätzliche Lebensreform und die Schaffung einer neuen, alkoholfreien Kultur.
Seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts traten auch immer mehr Akademiker dem Orden bei, die bald die Hauptbeamtenpositionen bezogen. So auch der bereits erwähnte Georg Asmussen, der in seinem Amt als deutsches Ordensoberhaupt die Gewalt des Ordens zentralisierte und damit das schlesische Braunbier schlussendlich aus dem Orden verbannen konnte, welches bis dahin für Bigotterievorwürfe gesorgt hatte. Parallel dazu entwickelte der Orden einen Zweig für Kinder und Jugend, der ebenfalls sehr schnell wuchs. Bis 1914 betätigte sich der Guttemplerorden sehr erfolgreich für sein Jugendwerk und die Jugendarbeit.
Im Juli 1914 feierte der Guttemplerorden mit seinem fünfundzwanzigjährigen Bestehen in Deutschland einen Höhe- aber auch Wendepunkt. Er zählte mittlerweile 60.000 Mitglieder in über 1.500 Logen, mit Kindern und Jugendlichen waren es über 90.000. Wenige Tage nach dem Jubiläumsfest begann der erste Weltkrieg. Damit endete ein wichtiger Abschnitt in der Geschichte der Guttemplerarbeit. Nach dem Krieg hatten sich Welt und Gesellschaft grundlegend gewandelt. Seine unglaublich hohe Mitgliederzahl erreichte der deutsche Guttemplerorden niemals wieder.
Fazit
Die Zeit der Jahrhundertwende war im Deutschen Kaiserreich also nicht nur eine Ära des Aufbruchs und des Fortschritts, sondern auch ein Höhepunkt der Trunksucht. Die Guttempler kritisierten den hemmungslosen Alkoholkonsum, waren dabei zunächst jedoch nur ein Verein von vielen. Ihren außerordentlichen Erfolg verdankten sie einerseits der Tatsache, dass sie wissenschaftlich an die Problematik herangingen und den Alkohol als Krankheit und Sucht wahrnahmen. Eine Heilung war nur durch Abstinenz, nicht aber durch bloße Mäßigung möglich.
Das an die Freimaurer angelehnte Konzept der Ordensorganisation unterstützte die Mitglieder zusätzlich bei der Einhaltung der Abstinenz, es wurde eine fast schon verschworene und stabile Gemeinschaft geschaffen. Darüber hinaus begründen sich die hohen Mitgliederzahlen in der einfachen Tatsache, dass der Akoholmissbrauch ein Problem geworden war, das man immer flächendeckender wahrnahm und darum auch bekämpfen wollte.
Die internationalen Guttempler, aber auch speziell die deutsch-schweizerischen Logen, konnten darüber hinaus einen Kreis an Gelehrten um sich scharen, so wie beispielsweise Georg Asmussen und Auguste Forel. Die Publikationstätigkeit an Schriften, Broschüren und Ähnlichem sowie das bloße Engagement der Mitglieder waren ungeheuer hoch – die Öffentlichkeitswirkung war enorm und man war stets versucht, weiter für sich zu werben und die eigenen Anschauungen zu verbreiten.
Abstinente galten vielerorts noch als provokant, doch die zahlreichen inneren und äußeren Streitigkeiten verhalfen dem Orden zu einer ständigen Selbsterneuerung, dank der er sich behaupten und florieren konnte. Ideologisch lassen sich die Guttempler deshalb als humanistisch, sozial und auch pazifistisch einordnen. Ihr Ziel war stets eine Eindämmung der Trinksitten und ein Ende der Trunksucht. Dies geschah zum Wohle der Gesellschaft, es sollte eine bessere, sittlichere Menschheit geschaffen werden.
Diese idealistischen Vorstellungen sind jedoch auch verwandt mit der Eugenik, die später während der NS-Zeit in die Rassenhygiene münden sollte. Um 1900 bildeten Vereine wie die Guttempler eine wichtige Bewegung. Seitdem haben sich die sozialen Normen jedoch aufgelöst, die Welt und die Gesellschaft wandelten sich im 20. Jahrhundert grundlegend. Der Alkoholismus wurde immer mehr zur – durch Gesetze geregelten – Privatsache und auch die Abstinenzvereine waren schließlich keine Volksvereine mehr.
Organisationen wie die Guttempler existieren bis heute, sie betätigen sich zumeist als Beratungs- und Präventionsstellen – ihr Kampf gegen den Alkohol ist also noch nicht vorbei. Denn im 21. Jahrhundert ist die Problematik um den Alkohol immer noch nicht verschwunden. Was sich jedoch geändert hat, ist das Wegfallen des Trinkzwangs, die Akzeptanz der Abstinenz als weitverbreitetes Trinkverhalten und die Tatsache, dass man Alkohol heutzutage mehr als Droge denn als Genussmittel sieht. Diese Gegebenheiten sind nicht zuletzt der Pionierarbeit der Antialkoholvereine der Jahrhundertwende zu verdanken – und damit allen voran den Guttemplern und ihrem sinnbildlichen Kreuzzug gegen die Trunkenheit.
Verwendete Literatur
- Baumgartner, Judith, Antialkoholbewegung, in: Handbuch der deutschen Reformbewegungen. 1880-1933, hrsg. von Kerbs, Diethart, Wuppertal 1998, S.141-154.
- Bergman, Johan, Geschichte der Nüchternheitsbestrebungen. ein Überblick über die alkoholgegnerischen Bestrebungen aller Kulturländer seit den ältesten Tagen bis auf die Gegenwart. Aus dem Schwedischen übersetzt und in 2. veränderter Auflage unter Mitwirkung von Bergman und [Christian] Stubbe neu bearbeitet und herausgegeben von R[einhard] Kraut, Hamburg 1923.
- Bimmer, Andreas C., Alkohol im Volksleben, Marburg 1987.
- Brändle, Fabian, Zum Wohl!. 100 Jahre Engagement für eine alkoholfreie Lebensweise, Basel 2010.
- Dinzelbacher, Peter, Die Templer. wissen, was stimmt, Freiburg im Br. 2010.
- Gläß, Theo, Der Guttempler-Orden in Deutschland. 1889-1945, Hamburg 1979.
- Hölzer, Cordula, Die Antialkoholbewegung in den deutschsprachigen Ländern. (1860-1930), in: Europäische Hochschulschriften / 03 ; 376. Frankfurt am Main 1988.
- Spode, Hasso, Die Macht der Trunkenheit. Kultur- und Sozialgeschichte des Alkohols in Deutschland, Opladen 1993.
- Wassenberg, Karl (Hg.), Der Geist der deutschen Mäßigkeitsbewegung. Debatten um Alkohol und Trinken in Vergangheit und Gegenwart, Halle 2010.
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