Der Tod des Marat
von Stefan Havlik
Vom Hetzer zum Helden – „Der Tod des Marat“
„Bürger, das Volk fordert seinen Freund zurück…es rief nach meiner Kunst…: David! Nimm deinen Pinsel, rief es, räche unseren Freund, räche Marat!“
Am 14. November 1793 spricht Jacques-Louis David diese Worte als Abgeordneter im französischen Nationalkonvent – und als der Maler des Gemäldes, das seinen ermordeten Freund zeigt: Jean Paul Marat, Arzt, Physiker und während der französischen Revolution zum Journalisten geworden.
Es ist bereits das zweite Mal, dass Jacques-Louis David einen Ermordeten malt – und erneut verfolgt er damit nicht nur künstlerische Ziele. Als Louis-Michel Le Peletier de Saint-Fargeau am 20. Januar 1793 von einem ehemaligen Soldaten der Leibgarde des Königs in Paris erstochen wird – drei Tage zuvor hatte Le Peletier, obwohl bis dahin Gegner der Todesstrafe, der Hinrichtung Ludwigs XVI. im Nationalkonvent zugestimmt -, greift David zum Pinsel. Wenige Wochen später ruft der Maler nach Fertigstellung dieses Gemäldes im Parlament aus: „Der wahre Patriot muss begierig alle Mittel ergreifen, um seine Mitbürger aufzuklären!“: Das Gemälde als Teil politischer Agitation, die Kunst als Werkzeug der Ideologie – diese Überzeugung hatte David ganz und gar erfasst.
Jacques-Louis David, 1748 in Paris geboren, stellte in seiner ersten Schaffensperiode – die ihm auch einen mehrjährigen Aufenthalt als Stipendiat in Rom ermöglichte – als königlicher Hofmaler Motive der Antike und christlicher Heiliger dar. „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ schrieb Victor Hugo einmal – auch der Künstler David ließ sich mitreißen von den Idealen der Revolution in Frankreich, wurde zum glühenden Anhänger der Idee, dass das Alte, die Macht des Königs, des Adels, der Kirche, ein für alle Mal beendet und die neue Zeit nun gestaltet werden müsse. Als Jakobiner und Mitglied des „Sicherheitsausschusses“ gehörte er zu den Entscheidern der revolutionären Jahre; der Sturz seines Verbündeten Robespierre indes bedeutete auch für ihn das Ende seiner politischen Aktivitäten.
„Der Tod des Marat“ – von David selbst als sein wichtigstes Werk bezeichnet – zeigt den sterbenden Herausgeber des „Ami du peuple“, eines überzeugten Fanatikers der Idee eines neuen Frankreichs. Charlotte Corday hatte ihn mit einem eigens dafür erworbenen Messer erstochen, in dem festen Entschluss, dem Leben dieses Propagandisten der Revolution ein Ende zu setzen. Dabei war Corday selbst der Revolution gegen Ludwig XVI. nicht abgeneigt – sie setzte ihre Hoffnung in den ersten Jahren auf die Partei der Girondisten, die als gemäßigt galten und das Ziel einer konstitutionellen Monarchie verfolgten: Im Oktober 1792 erklärte einer der Anführer der Girondisten, nun sei nur noch der Kampf gegen die Anarchie in Frankreich zu führen. Das Ziel, dem Land nun wieder Sicherheit und Ruhe zu geben, stand aber dem Willen der Jakobiner und Radikalen entgegen, die Girondisten wurden von ihnen von nun an zu den Gegnern der Revolution gezählt.
Ob es die alttestamentliche Judit war, die mit ihrer Ermordung des assyrischen Oberbefehlshabers Holofernes das Gottesvolk Israel rettete, die zum Vorbild der Charlotte Corday wurde? Dieses biblische Buch war ihr zweifellos vertraut, nachdem sie als Jugendliche die Mutter verloren hatte und von ihrem Vater in die Obhut einer Abtei in Caen gegeben worden war. Viele Wochen lang plante sie die Reise nach Paris und das Attentat auf Marat, selbst das ursprünglich geplante Datum (der dritte Jahrestag der Erstürmung der Bastille) sollte ein deutliches Zeichen sein gegen die Herrschaft der Radikalen in Frankreich. „An Frankreichs Freunde von Recht und Frieden“ lautete die Überschrift ihres Abschiedsbriefs, den sie in ihrem Zimmer im „Hotel de la Providence“ zurückließ.
Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelangte Corday zu Marat, den sie zunächst im Nationalkonvent vermutet hatte. An einer schweren Hautkrankheit leidend, die Marat selbst seinen längeren Aufenthalten in der Pariser Kanalisation während des Kampfes gegen das alte System zuschrieb, zog sich der Journalist der Revolution aber seit geraumer Zeit stundenlang in die Badewanne seiner Wohnung zurück. Dort traf Corday auf ihn: Zunächst, so berichtete sie selbst während ihres Prozesses, nannte sie ihm einige Namen von Girondisten, die sie zum Schein des Hochverrats bezichtigte.
Als Marat alle Namen eifrig notiert und ihr umgehend zugesagt hatte, alle Genannten würden in Kürze hingerichtet werden, stach Corday zu, so tief und heftig, dass nur noch der Holzgriff des Messers aus dem Brustkorb ragte. Marat erlag nach wenigen Minuten seinen Verletzungen. „Fünf- oder sechshundert adlige Köpfe wurden abgehackt und haben euch Ruhe und Glück geschenkt“, ermahnte er einst das Volk in seiner eigenen Zeitung, „eine falsche Menschlichkeit haben euren Arm gelähmt und euer Schlagen zurückgehalten, das wird uns das Leben von Millionen eurer Brüder kosten.“ Statt durch die Guillotine – wie bei zahlreichen seiner Mitstreiter – hatte Marats Leben nun durch den Messerstich einer Dame sein Ende gefunden.
Nur vier Tage später wird Charlotte Corday verurteilt und am Abend des gleichen Tages durch die Guillotine hingerichtet. Gefasst, so berichten Augenzeugen, geht sie ihrer Hinrichtung entgegen – der Hass auf die Attentäterin, die dem Revolutionstribunal gegenüber mutig äußerte, sie habe „einen Mann getötet, um hunderttausende zu retten“, zeigt sich in wüsten Beschimpfungen durch die Volksmenge auf ihrem Weg zum Schafott. Selbst der abgetrennte Kopf wird noch Opfer von Schlägen eines Henkers. Der Legende nach fand der Leib der Corday seine letzte Ruhe in einem Massengrab, ihr Haupt aber wechselte wie eine Trophäe öfters den Besitzer und soll in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Besitz der Familie Bonaparte gewesen sein.
Jacques-Louis David ist es, der von nun an die Inszenierung des Todes eines der – aus seiner Sicht – unzweifelhaften Helden der Revolution übernimmt: Marat wird in der Klosterkirche der Cordelières (das Kloster wurde 1790 aufgelöst) aufgebahrt, neben dem Leichnam wird die Badewanne und die Handtücher des Ermordeten ausgestellt; der allzu offensichtlich voranschreitenden Verwesung des toten Körpers in der Sommerhitze wird mit ständiger Befeuchtung entgegengewirkt. 1794 wird der Verstorbene – zunächst im Kreuzgang des ehemaligen Klosters beerdigt – exhumiert und im Pantheon ehrenvoll bestattet, wo er bereits im darauffolgenden Jahr wieder entfernt wird, vordergründig aus formalen Gründen, tatsächlich aber, weil sich weniger radikale Kräfte der Revolution durchgesetzt hatten: Marat als Vordenker einer radikalen Ideologie bleibt auch nach seinem Tod Spielball politischen Handelns.
Am 16. Oktober in Marats Todesjahr ist es aber zunächst eine große Prozession, die das für das Andenken des Revolutionärs geschaffene Gemälde in den Louvre begleitet, von wo aus es nach wenigen Wochen in den Sitzungssaal des Nationalkonvents überführt wird. Marat, in den letzten Momenten seines Lebens dargestellt, zeigt im Werk seines Freundes deutliche Ähnlichkeit mit den Abbildungen Jesu bei der Kreuzesabnahme bzw. mit der Pietà – kein Zufall, sondern der erkennbare Wille des Künstlers, den Tod eines der radikalsten Hetzer der Revolution zum Werkzeug der Propaganda zu machen. Das revolutionäre Frankreich hatte sich gegen Gegner von außen – in Form zahlreicher Nachbarstaaten -, aber auch gegen die im Inneren zu wehren und ein solcher Tod konnte aus Sicht des politischen Malers nur zur Stärkung und Radikalisierung der nun herrschenden Ideologie verwendet werden.
Mit dem Prozess und der Hinrichtung von Maximilien de Robespierre endet eine besonders radikale Phase revolutionärer Herrschaft. 1795 kann Robespierres Freund und Unterstützer David die Kerkerhaft durch den Einsatz einiger seiner Schüler verlassen und einige Jahre später beginnt mit Napoleons Herrschaft seine dritte künstlerische Phase, von der heute etwa seine Darstellung des französischen Kaisers auf dem großen St. Bernhard nach wie vor große Bekanntheit genießt. Wiederum bedeutet aber der politische Wechsel auch Veränderung für den Künstler: 1816 muss er das Land verlassen, verweigert sowohl den Weg des Gnadengesuchs an Frankreichs König wie auch das Angebot des preußischen Hofes, dort tätig zu werden.

Er stirbt 1825 in Brüssel, das Gemälde „Der Tod des Marat“, das er mit in sein Exil nahm, verwahrte er bis zum Schluss bei sich. 1893 wird das Werk an das königliche Museum in Brüssel übergeben, Versuche französischer Regierungen, es käuflich zu erwerben, hatte sich die Familie des Künstlers stets verweigert.
Nach zeitgenössischen Berichten hatte Marat von seiner Badewanne aus den Blick auf eine große Karte Frankreichs an der gegenüberliegenden Wand: Der Drang der Revolutionäre, dieses Land radikal umzugestalten, wandelte sich mehr und mehr in eine Herrschaft des Terrors, der sich schließlich selbst vernichtete. „Dass ich sehr unglücklich bin, reicht aus, ein Recht auf Ihr Wohlwollen zu haben“ – diese Worte hatte Charlotte Corday aufgeschrieben und Marat wenige Augenblicke vor der Ermordung als Brief übergeben. Wörtlich hatte David diese Formulierung in seinem Gemälde übernommen. Der Suche nach dem Glück für die Vielen des Volkes war in der brutalen Terrorherrschaft der Jakobiner tatsächlich das Unglück Tausender und nur ein zeitlich sehr begrenztes Wohlwollen für Wenige gefolgt.