Die Geschichte der Fraueninsel
von Stefan Havlik
Kloster, Kriege, Künstler: Die Geschichte der Fraueninsel
„Das Kloster hieß seitdem ein königliches, ward vielfach von Jungfrauen aus vornehmen Geschlechtern als Stätte ersehnter Weltabgeschiedenheit ausgewählt, und die Äbtissinnen, die nur dem Adel entstammen durften, trugen bei hohen Feieranlässen eine Königskrone auf dem Schleier“, so beschreibt Wilhelm Jensen in seiner Erzählung „Hunnenblut“ das Kloster Frauenwörth auf der Fraueninsel im Chiemsee.
„Hunnenblut“: Der brachiale Name legt bereits eine erste Spur zur bewegten Geschichte dieser kleinen Insel. Eine Insel, von der aus die Äbtissinnen des Klosters einst Bayerns größte Klosterherrschaft regierten, mit Ländereien und Ortschaften von Niederbayern bis nach Süd-Tirol.
Drei Inseln finden sich in Bayerns größtem Gewässer, dem Chiemsee: Die Herreninsel, einst Sitz eines Augustinerklosters und berühmt durch sein prächtiges Schloss des „Märchenkönigs“ Ludwigs II., die Krautinsel, die bis heute unbewohnt blieb und immer als Gemüsegarten und Viehweide diente – und die Fraueninsel, geprägt durch das älteste Benediktinerinnenkloster der Welt. Wer sich abgesehen von der Freude an der schönen Natur des Chiemsees und seiner voralpinen Umgebung auf der immer noch von einigen Ordensschwestern bewohnten Insel auf die Spuren der Geschichte begibt, trifft auf tiefe Prägungen durch bedeutsame Epochen europäischer Historie und einen Ort, der durch die Jahrhunderte sehr unterschiedliche Menschen inspiriert hat.
Das Chiemgau im Jahr 782: Tassilo III., Sohn des Baiernherzogs Odilo, verheiratet mit Liutpirc, einer Tochter eines Langobardenkönigs: Herrscher in bewegter Zeit und geradezu beseelt davon, gemeinsam mit seiner Frau Klöster zu gründen. Auf der Halbinsel Sirmione im Gardasee stiftete einige Jahre zuvor Tassilos Schwiegermutter ein Damenstift: Das wurde dem letzten freien Stammesfürsten Tassilo zum Vorbild für die Gründung eines entsprechenden geistlichen Hauses auf dem Chiemsee.

Die drei Gotteshäuser des Salvatorklosters im Gardasee sind den Heiligen Martin, Michael und Nikolaus geweiht – dieselben Patrone wählte auch Odilos Sohn für die Martinskirche auf dem höchsten Punkt der Insel sowie für die Kapellen in der heute noch erhaltenen Torhalle. Tassilo war es allerdings nicht beschieden, sich lange an den von ihm gegründeten Klöstern zu erfreuen: Der Franke Karl der Große unterwarf als Machtpolitiker den letzten unabhängigen Stammesherrscher auf seinem Gebiet. im Jahre 788 wurde Tassilo wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, die Strafe schließlich zu lebenslanger Klosterhaft umgewandelt.
Es ist eine Urenkelin Karls des Großen, die um das Jahr 860 mit dem Auftrag die Fraueninsel erreicht, das Kloster in ein zuverlässig reichstreues „Königskloster“ umzuwandeln: Irmengard wird aber schon bald nach ihrem frühen Tode (historische Quellen schätzen ihr Ableben auf das 36. Lebensjahr ein) als 2. Stifterin des Klosters verehrt. Dass ihr Leichnam in einem Fundament der Klosterkirche bestattet wird, zeigt deutliche Symbolik: Auf diese Irmengard und ihr heiligmäßiges Leben sollte sich von nun an das Kloster stützen. Das Lobgedicht in lateinischer Sprache, um das Jahr 1000 vom Abt von Seeon verfasst, zeigt eine starke Verehrung der früh verstorbenen Äbtissin: „…sie war überreich mit vortrefflichen Gaben ausgestattet…Ihrer soll sich als Mutterland stets das Frankenreich erfreuen und auch Bayern mag stolz sein auf eine solche Frau.“

Nach vielen Jahrhunderten im heute noch erhaltenen Hochgrab wurde der Leichnam der mittlerweile kanonisch Seliggesprochenen 1929 im Altarunterbau des barocken Pfingstaltars bestattet, wo er noch heute von zahlreichen Gläubigen verehrt wird und mittlerweile von einer großen Zahl von Votivtafeln als Dank für erhörte Gebetsbitten umgeben ist.
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entscheiden sich die Nonnen der Insel, sich dem Benediktinerorden anzuschließen. Dies war bei allem wirtschaftlichen Erfolg sicher auch der Tatsache geschuldet, dass die Region um den Chiemsee in den Jahrhunderten zuvor immer wieder in politische Interessenskonflikte zwischen den bayerischen, salzburgischen und fränkischen Herrschern geraten war – und sogar Plünderungen durch Hunnen bzw. ungarische Stämme zu überstehen hatte.
Ursula Pfäffinger gilt zweifellos als eine der großen Führungsgestalten des Klosters und damit der Insel: Nur ein Jahr nach ihrem Amtsantritt an der Spitze des Konvents bricht 1495 die Pest auf der Klosterinsel aus und fordert zahlreiche Opfer unter Schwestern und Gesinde. Der Landshuter Erbfolgekrieg verwüstet 1503 große Teile des Chiemgaus und damit weite Besitzungen des Klosters, das Kloster nun wirtschaftlich zu erhalten wird zur großen Herausforderung. Durch eine unermüdliche Reisetätigkeit und sich als kluge Verhandlerin beweisend kann die Äbtissin Ursula Pfäffinger auf dem Sterbebett ihrer Nachfolgerin ein wieder solide abgesichertes Monasterium übergeben.
Türkenkriege, Reformation und 30jähriger Krieg führen in den Jahrhunderten darauf immer wieder zu starken Begehrlichkeiten der politischen Herrscher nach den Besitzungen der Klöster. Gerettet wird das Kloster Frauenwörth ein um das andere Mal durch starke Persönlichkeiten in seiner Spitze: „Reif, klug, diskret, treu ergeben, sie liebt ihren Konvent“ so beschreibt ein apostolischer Visitator 1628 etwa die Äbtissin Maria Magdalena Haidenbucher, die über 40 Jahre dieses Amt ausübt – vierzig Jahre, die den gesamten 30jährigen Krieg umfassen und daher sicher immer wieder existentielle Fragen stellen und große Herausforderungen mit sich bringen.
Die Gier der Staaten und ihrer Politiker findet 1803 indes im ganzen Reich zu ihrem Höhepunkt: Die Säkularisation erlaubt den Herrschern in deutschen Landen den Zugriff auf kirchlichen Besitz, als Ausgleich für Napoleons Beutezüge jenseits des Rheins. Am 22. März dieses Jahres verkündet der Aufhebungskommissar im herrschaftlichen Auftrag die Auflösung des Klosters. 23 von 30 Klosterschwestern verbleiben dennoch auf der Insel, der Staat gewährt ihnen eine Pension bis zu ihrem Tod. Als Spiritual und Beichtvater wird Pater Norbert Hauner eingesetzt, der zuvor die Auflösung des Klosters Herrenchiemsee erleben musste.
Die Person Norbert Hauner erwies sich für die in ihrer bisherigen Heimat heimatlos gewordenen Schwestern als Glücksfall, wofür auch die den Verstorbenen sehr ehrende Gedenktafel auf dem Inselfriedhof spricht. Das bekannte Kirchenlied „Tauet, Himmel, den Gerechten“, von Hauner auf Frauenchiemsee komponiert und getextet, ist nicht nur ein beliebtes Lied der Advents- und Weihnachtszeit bis heute, sondern auch ein Lied der Hoffnung: „Sünder! Wacht vom Schlummer auf, denn es naht das Heil uns allen, hemmet euren Sündenlauf“ heißt es in der Urfassung.
Unter der Bedingung, ein Mädcheninternat zu errichten, durfte das Kloster ab 1838 wieder existieren. Pater Norbert Hauners Geist und seine Kreativität fanden indes später Nachfahren weltlicher Art: 1828 wurde die „Künstlerkolonie Frauenchiemsee“ gegründet, die zwischenzeitlich weltweite Bekanntheit erlangte.

Die Maler Karl Raupp, Hermann Kaulbach und Wilhelm Leibl, die Schriftsteller Felix Dahn, Ludwig Steub, Victor von Scheffel, Wilhelm Jensen und Ludwig Thoma siedelten sich auf dem beschaulichen Eiland an und bildeten neben den Klosterfrauen und den traditionellen Fischerfamilien über viele Jahrzehnte die dritte „Großfamilie“ der Insel. Einige von ihnen sind auch auf dem Friedhof vor der Klosterkirche beerdigt worden. Auch die lyrischen Werke des großen Dichters Joseph von Eichendorff haben in gewisser Weise ihren Weg nach Frauenchiemsee gefunden: Placida von Eichendorff, Enkelin des Schriftstellers, regierte in der schwierigen Zeit des ersten Weltkriegs das Kloster und ist ebenso auf der Insel begraben wie ihre leiblichen Geschwister.
Das Internat und die Schule schlossen 1985 ihre Pforten und heute sind es nur noch wenige Ordensschwestern, die das Kloster bewohnen, das zwischen sommerlichen Touristenströmen und winterlicher Einsamkeit lebt. Die Geschichte der Kirche wie auch die Historie deutscher Stämme und ihrer Kriege und Frieden durch rund 1300 Jahre lässt sich auf der kleinen Fläche der Insel, zwischen prächtig ausgestatter Klosterkirche, dem kleinen Ortskern und dem sehenswerten Klosterfriedhof nachspüren. „Vom ersten Kuss bis in den Tod nichts als wie von Liebe sagen“ lautet die Inschrift auf einem gusseisernen Kreuz des Gottesackers neben der Kirche – die Jahrhunderte, die auf der Fraueninsel vergangen sind, erzählen von der Liebe der Menschen zu ihrem Gott und zu ihrer Insel, in Zeiten wirtschaftlicher und spiritueller Blüte wie in manchen Zeiten des Niedergangs.
Sr. Hanna Fahle OSB: „Geschichte der Abtei Frauenwörth ab 782“ (Kunstverlag Josef Fink)
Hermann Dannheimer: „Frauenwörth – Herzog Tassilos Kloster im Chiemsee“ (Anton H. Konrad Verlag)
Wilhelm Jensen: „Hunnenblut“ (Verlag Philipp Reclam jun.)