Die Gesichter der Natur

von Andrea Strobl

Denke ich an die Jahreszeiten, kommen mir spontan jene so ungewöhnlichen Porträts in den Sinn, die aus Obst, Gemüse, Getreide oder Blumen komponiert wurden.

Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind fasziniert von diesen Bildern war. Ich hatte sie zufällig beim Stöbern in einem dicken Buch gefunden, das bei meinen Großeltern im Bücherregal stand. Damals fand ich die Idee einfach lustig, menschliche Gesichter mithilfe eines Apfels, einer Karotte oder einzelner Blumen darzustellen, und ich konnte mich nicht sattsehen an diesen bizarren Porträts: So herrlich konnte ich doch in ihnen herum suchen, um all die einzelnen Komponenten auszumachen, aus denen diese seltsamen Gesichter zusammengesetzt waren. Dabei lernte ich auch so manches über die Natur, wenn ich Eltern und Großeltern mit meinen Fragen bestürmte, wie denn der Name dieser Blume, dieser Frucht oder dieses Getreides sei – und oftmals waren auch sie überfragt …

Die Rede ist natürlich von dem bekannten Vier-Jahreszeiten-Zyklus des Giuseppe Arcimboldo! Seien wir doch ehrlich: Fast jeder von uns kennt diese Bilder, fast jedem von uns liegt der Name des Künstlers »auf der Zunge«, aber nur wenige von uns könnten tatsächlich den Künstler benennen und etwas über ihn und seine sogenannten Kompositköpfe erzählen. Wer war Giuseppe Arcimboldo? Wann hat er diese Bilder eigentlich gemalt? Und was hat es mit der Idee auf sich, Gesichter aus dem zusammenzusetzen, was uns die Natur zu bieten hat?

Obwohl er zu Lebzeiten äußerst populär war, schien Giuseppe Arcimboldo lange Zeit vollkommen vergessen zu sein.  Seine bekanntesten Werke reihten sich in der Spätrenaissance in die künstlerische Strömung des Manierismus ein: Die in der Renaissance erreichte hohe Kunstfertigkeit der harmonischen und vollkommenen Darstellung der Natur wurde durch ein neues Selbstverständnis des Künstlers ergänzt, der seinen ganz eigenen Stil finden sollte und sich darum bemühte, eigenständige künstlerische Wege zu gehen – genau dies tat Arcimboldo.

Giuseppe Arcimboldo, Allegorie des Frühlings, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/k2xn0oNGPd (Zuletzt aktualisiert am 30.06.2022)

Doch wie wirkten Arcimboldos Porträts auf die späteren Betrachter? Nur kapriziös, also »manieriert«, oder doch eher skurril und verstörend? Jahrhundertelang betrachtete man Arcimboldos Bilder – zumindest seine Kompositköpfe – eher als belanglose Spielereien neben der »hohen Kunst«. Vielleicht erachtete man diese Malerei als zu kurios und daher kaum wert, um sich im Rahmen einer »ernsthaften« Kunstgeschichte näher mit ihr zu beschäftigen. Seine, selbst für den Manierismus des 16. Jahrhunderts, ganz außergewöhnliche Bilderwelt kam erst wieder zu Ehren, als ihn die Avantgarde-Künstler des Surrealismus, allen voran Salvador Dalí, zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu entdeckten, was Arcimboldo den heutigen Beinamen »Urvater des Paradoxen« oder auch »Urvater des Surrealismus« einbrachte.

Aber zunächst zu Arcimboldo selbst: Er kommt 1526 in Mailand zur Welt, das zu jener Zeit durch den  Bau des Mailänder Doms ein großer Anziehungspunkt für Handwerker, Künstler und auch Kunsthandwerker war. Dem kleinen Giuseppe ist das künstlerische Talent schon in die Wiege gelegt, denn sein Vater ist ein anerkannter Maler und betreibt eine angesehene Werkstatt in der Stadt. Dort geht auch der junge Giuseppe in die Lehre.

Giuseppe Arcimboldo, Allegorie: Der Sommer, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/ZKGPQ3J4gA (Zuletzt aktualisiert am 30.06.2022)

Mit nicht einmal 23 Jahren erwirbt er seinen Meister und bekommt eine Anstellung in der Dombauhütte. Seine Talente sind breit gefächert: Er malt, fertigt Buntglasfenster, Vorlagen für Tapisserien und beherrscht sogar die Freskomalerei. Seine vielfältigen Fähigkeiten führen ihn in den kommenden Jahren auch an die Dombauhütten von Monza und Como. Bald jedoch zieht es ihn in die Ferne: 1562 verlässt er Mailand in Richtung Wien, um als Porträtmaler am Hofe Kaisers Ferdinand I. und seines Sohnes und Nachfolgers Maximilian II. (der Arcimboldo bereits 1564 zum Hofmaler ernennt) zu wirken.

Erst 1587 sollte er wieder nach Mailand zurückkehren. Diese langen Jahre als Hofmaler, zunächst unter Kaiser Maximilian II., dann unter dessen Nachfolger Rudolf II., sind eine Zeit der allgemeinen künstlerischen Anerkennung und bescheren Arcimboldo ein finanziell sorgloses Dasein. Es ist fraglich, ob er beides in diesem Maße erlangt hätte, wäre er in Mailand geblieben.

Trotz seiner Bekanntheit sind aus diesen Jahren nur recht wenige Bilder erhalten, darunter allerdings die Jahreszeiten-Porträts, die schon in den ersten Jahren am Wiener Hofe entstehen. Sogar Maximilian II. und später auch Rudolf II. porträtiert er in dieser Manier. Wie sehr der Kaiser seinen »Hauskonterfetter« schätzt, bezeugt die Tatsache, dass Maximilian Kopien und Varianten der Jahreszeiten-Porträts gern an Adlige und Herrscher anderer europäischer Höfe verschenkt – sicherlich ist das auch ein Grund, warum es mehrere Versionen und Serien dieser Bilder gibt. Aber Arcimboldo betätigt sich nicht nur als Maler, sondern ist künstlerisch auch anderweitig am Kaiserhof beschäftigt: So entwirft er Kostüme für Maskeraden und richtet originell gestaltete Feste, Hochzeiten und Umzüge aus.

Unter der Maßgabe, weiterhin dem kaiserlichen Hofe zu Diensten zu stehen, entlässt ihn Rudolf II. schließlich im Jahre 1587 nach Mailand (ob das auf Arcimboldos eigenen Wunsch geschah, ist nicht bekannt). Nach weiteren künstlerisch fruchtbaren Jahren verstirbt Arcimboldo schließlich am 11. Juli 1593 im Alter von 67 Jahren nach einem künstlerisch erfüllten Leben.

Die Jahreszeiten-Porträts des Arcimboldo sind in ihrer Profilansicht streng aufgebaut und orientieren sich an der Porträtmalerei der Frührenaissance und ihrer idealisierenden Wirkung. Erst im Laufe des 15. Jahrhunderts werden Mensch und Natur nicht mehr nur typisiert abgebildet, sondern mehr und mehr wird das Individuelle des Sujets bestimmend. Immer öfter zeigen sich die Porträtierten in der lebensnäheren Dreiviertelansicht oder frontal, wobei ihr Blick oft in die Ferne schweift oder sich auf den Betrachter selbst richtet. Im Jahreszeiten-Zyklus jedoch erzeugt diese noch formale Strenge zusammen mit der avantgardistischen Ikonographie eine interessante Spannung, die den heutigen Betrachter faszinieren kann.

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Giuseppe Arcimboldo, Allegorie: Der Winter, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/A0GOM9oxdp (Zuletzt aktualisiert am 30.06.2022)

Die erste Jahreszeiten-Serie stammt aus dem Jahre 1563 und ist wohl die erste, die Arcimboldo für Maximilian II. gemalt hat,  wobei das Herbst-Porträt heute fehlt. Die Sommer- und Winterporträts dieser Serie befinden sich heute im Wiener Kunsthistorischen Museum, das Frühlingsporträt in Madrid. Erst in der zweiten Serie aus dem Jahre 1572 taucht dann das Herbstporträt auf, wobei nun allerdings das Frühlingsporträt der Serie fehlt. Bemerkenswert ist, dass die Bilder dieser zweiten Serie um einiges größer sind als die der ersten Serie; sie erreichen mit 92 x 71 cm eine beachtliche Größe und erleichtern dem Betrachter dadurch das Eintauchen in die dargestellten Details.

Die drei Bilder dieser Serie befinden sich heute in Privatbesitz bzw. in amerikanischen Museen. Nur im Louvre kann man heute alle vier Jahreszeiten zusammen sehen: Sie entstammen der dritten Serie aus dem Jahre 1573, sind wieder in kleinerem Format und zudem mit Blumenranken umrahmt, die wohl von einem anderen Künstler später hinzugefügt wurden.

All dies ist genial erdacht und kunstvoll ausgeführt, und so wird jedes Antlitz dieses saisonalen Reigens zur reich ausgeschmückten Allegorie einer Jahreszeit. Kurioses am Rande: Einige ganz »findige« Kunsthistoriker haben sich die Porträts ganz genau angesehen und konnten im Frühlingsporträt sage und schreibe 80 Pflanzenarten ausmachen! Könnten Sie alle benennen?

Aber Arcimboldo machte bei diesen Jahreszeiten-Porträts noch lang nicht halt, sondern trieb es sozusagen noch auf die Spitze: Von seinem immensen malerischen Können, von seiner ungeheuren Fantasiewelt, vom genialen Spiel mit der Illusion – und dadurch auch mit dem Betrachter –  zeugen auch seine berühmten »Umkehrbilder«: Einfache Stillleben, bei denen zum Beispiel eine unscheinbare Schale mit Gemüse ein menschliches Porträt ergibt, dreht man das Bild um 180 Grad. Ebenso witzig wie genial sind auch sein berühmtes Porträt des Bibliothekars, das nur aus Büchern besteht, sowie das Porträt des Juristen, dessen Gesicht aus Geflügel und Fischen besteht.

Habe ich Sie jetzt hoffentlich etwas neugierig gemacht auf diesen Künstler? Die Vorstellungskraft des Giuseppe Arcimboldo war einfach unerschöpflich – entdecken Sie doch diesen Künstler und seine Welt!

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Dieser Text stammt aus dem Sammelband im Verlag DER LEIERMANN. Mehr Geschichten aus der Welt der Kunst und Kultur gibt es in unserem neuen Buch – Altweibersommer:  Herbstliche Kulturgeschichten.

Quellen

ARTE-Doku: Arcimboldo – Malergenie des Manierismus. https://www.youtube.com/watch?v=4Q33K-xKoX8 [aufgerufen 25.6.2022]

https://de.wikipedia.org/wiki/Giuseppe_Arcimboldo

https://it.wikipedia.org/wiki/Giuseppe_Arcimboldo

https://de.wikipedia.org/wiki/Vier_Jahreszeiten_(Arcimboldo)#Erste_Serie_(1563)

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