Die Guitaromanie
von Thomas Siemens
Die Guitaro-manie
von Thomas Siemens
In einem Stich von 1825 zeigt sich ein verwirrendes, oder vielleicht sogar verstörendes Bild. Zu sehen ist eine Gruppe von Leuten in einem Saal, die miteinander streiten und sich prügeln. Auffallend ist, dass einige von ihnen mit Gitarren bewaffnet sind und damit aufeinander losgehen, wobei sie die Gitarren halten, als wären es Baseballschläger. Ein wahrhaft verstörendes Bild. Unterschrieben ist der Stich mit “Diskussion zwischen Carulliisten und Molinisten”.
Tatsächlich soll das Bild eine historische Begebenheit darstellen, als Anhänger des Gitarristen Ferdinando Carullis und Francesco Molinos so sehr im Streit darüber waren, ob man Gitarre besser mit Fingernägeln oder mit der Fingerkuppe anschlagen sollte, dass sie aufeinander losgingen und handgreiflich wurden. Das Bild entstammt einer Zeit, die heute auch “guitaromanie” genannt wurde. Wir sprechen von einer Phase am Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Gitarre wie nie zuvor und nie danach im Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit stand. Man spricht auch von der goldenen Zeit der Gitarre. Was war aber passiert, dass die Gitarre auf einmal im Rampenlicht stand und nicht mehr ein Nischendasein fristen musste, wie noch im Barock?
Zu verdanken hat die Gitarre das vor allem dem erstarken des Bürgertums. Sie wollten ihren Wohlstand und ihre Macht ausdrücken, unter anderem in dem sie sich ein reiches Kulturleben gönnten und so ihrer Überlegenheit gegenüber dem Adel Ausdruck verliehen. Es war die Zeit der Salonmusik und der Gitarristen, die durch die europäische Metropolen zogen um das neue und spendable Publikum durch seine Musik zu beeindrucken. bekannte Virtuosen dieser Zeit waren Ferdinando Carulli, Matteo Carcassi, Fernando Sor, Luigi Legnani, Dionisio Aguado und Francesco Molino.
Von ihnen ist uns ein gewaltiger Schatz an unterhaltsamer und angenehmer Musik erhalten, mit denen sie das Publikum unterhalten haben. Manche ihrer Werke sind eher virtuos mit dem Ziel, die Menschen durch seine technischen Fähigkeiten zu beeindrucken. Werke wie diese sind zum Beispiel die “Grande overture op. 61” von Mauro Giuliani oder das “Gran Solo Op. 14” von Fernando Sor. Andere Werke bestanden aus Variationssätzen über dem Publikum bekannte Themen, wie zum Beispiel die Variationen über die “Marseillaise” op. 330. Oder aus Opernparaphrasen und Fantasien über Melodien aus Opern. Ein Großteil der veröffentlichten Werke von Matteo Carcassi besteht aus derartiger Musik. Der Vorteil dabei ist, dass dem Publikum näher ist, was es schon kennt. So konnte der Musiker leicht den Geschmack der Leute bedienen.
Desweiteren gab es ein vielzahl von Rondos oder Gesellschaftstänzen wie Walzer und ähnlichem. Diese waren aber nicht nur da, um von den Virtuosen gespielt zu werden. Ebenso wie es im Trend war, den Virtuosen im Salon zu lauschen zu war es auch in Mode, das Instrument selber zu lernen. Davon geben die vielen Gitarrenschulen zeugnis, die fast jeder große Gitarrist veröffentlicht hat. Schließlich war auch das ein wichtiger Teil des Einkommens der Musiker. Ihnen kam hier zugute, dass das Bürgertum sich als gebildete Schicht verstand und auch die musikalische Ausbildung dazu gehörte.
Die Qualität der Gitarrenschulen unterscheidet sich indessen stark. Manche sind nicht mehr als ein paar Tonleitern und Akkorde mit Anschlagsmustern, versehen mit dem Namen eines berühmten Musikers. Sie sind vielleicht sogar zu verstehen als eine Art Fanartikel, mehr zur Zierde als um damit zu lernen.
Andere sind so durchdacht und hochwertig im Lehrmaterial, dass sie bis heute eine Rolle spielen. Das beste Beispiel dafür ist die “Methode completet pour la guitare” Op. 59 von Matteo Carcassi. Mit ihr und mit seinen Etuden Op. 60 sind ganze Generationen von klassischen Gitarristen ausgebildet worden. Eine weitere Perle aus dieser Zeit ist die Gitarrenschule von Fernando Sor. Sie eignet sich weniger, um die Gitarre von Grund auf zu lernen, aber sie besteht aus einer detaillierten Reflexion der Gitarrentechnik, die schon fast den Anspruch erheben könnte eine wissenschaftliche Arbeit zu sein.
Zu dem gesellschaftlichen Leben gehörte auch die sogenannte Hausmusik. Darunter verstand man leichte Musik, die nicht zum Auftretens oder für das Konzerts sondern zur eigenen Unterhaltung oder zur Beschäftigung unter Freunden gedacht war. Sie durfte deswegen nicht zu anspruchsvoll sein und sollte möglichst vom Blatt spielbar sein. Jeder Gitarrenvirtuose dieser Zeit hat Stücke geschrieben, die diesen Kriterien entsprechen. Der König der Hausmusik für die Gitarreist jemand, der nie als großer Virtuose bekannt geworden ist. Die Rede ist von Leonhard von Call.
Er war zeitlebens Beamter und betrieb die Musik aus Liebhaberei. Seine Kompositionen erfreuten sich großer Beliebtheit und waren weit verbreitet. Obwohl er in Wien lebte erscheinen Rezensionen seiner Werke sogar in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Leipzig. Er verstand es, Musik zu schreiben, die ebenso schön wie einfach war und schaffte es damit, genau die Bedürfnisse der Leute zu erfüllen.
Wenn man heute auf diese Zeit zurückblickt dann fällt auf, dass sich all das in einem kurzen Zeitraum von noch nicht einmal 50 Jahren abgespielt hat. So vieles, was für die klassische Gitarre wichtig ist fand hier auf einem Fleck statt. So als hätte man die Geschichte der Gitarre zusammengestaucht und auf einen Punkt konzentriert. Die Gitarre teilt in gewisser Weise ein ähnliches Schicksaal wie ihr Vorgänger, die Vihuela. Ihre Blüte war kurz und intensiv und war sehr abhängig von den gesellschaftlichen Entwicklungen und Umständen ihrer Zeit.
Heute ist die goldenen Zeit der Gitarre im allgemeinen Bewusstsein größtenteils in Vergessenheit geraten, so dass Leute sehr verwundert sind wenn sie feststellen, wie viel klassische Literatur es für die Gitarre gibt. Der große Schatz dieser Musik bleibt für die meisten Leute im Verborgenen und wartet noch darauf, entdeckt zu werden
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