Wie viele Kinder hatte Anna Magdalena Bach zu versorgen?

 

 

 

 

 

von Eberhard Spree

Siebzehn Kinder gehörten zur Familie von Anna Magdalena Bach. Diese Kenntnis kann leicht dazu führen, ihre Aktivitäten als vorgegeben zu betrachten. Müssen sich ihre Kräfte nicht in deren Betreuung, dem täglichen Kochen und den Reinigungsarbeiten erschöpft haben? Doch das sollte etwas genauer betrachtet werden.

Am 3. Dezember 1721 heirateten in Köthen „Johann Sebastian Bach, HochFürstlicher Capell-Meister alhier Wittber“ und „Jungfer Anna Magdalena, Herrn Johann Caspar Wülckelns, Hoch-Fürstlich Sachßen Weißenfelßischen Musicalischen Hoff- und Feld Trompeters eheliche jüngste Tochter“. So ist es im Trauregister zu lesen. Ihr Ehemann brachte vier Kinder mit in die Ehe:

Catharina Dorothea (get. 29.12.1708, gest. 14.1.1774)

Wilhelm Friedemann (geb. 22.11.1710, gest. 1. 7.1784)

Carl Philipp Emanuel (geb. 8. 3.1714, gest. 14.12.1788)

Johann Gottfried Bernhard (geb. 11.5.1715, gest. 27.5.1739)

Anna Magdalena Bach selbst gebar in den nächsten Jahren folgende Kinder:

Christiana Sophia Henrietta (geb. März/April 1723, gest. 29.6.1726)

Gottfried Heinrich (geb. 26.2.1724, begr. 12.2.1763)

Christian Gottlieb (get. 14.4.1725, gest. 21.9.1728)

Elisabeth Juliana Friderica (get. 5.4.1726, gest. 24.8.1781)

Ernestus Andreas (get. 30.10.1727, gest. 1.11.1727)

Regina Johanna (get. 10.10.1728, gest. 25.4.1733)

Christiana Benedicta (get. 1.1.1730, gest. 4.1.1730)

Christiana Dorothea (get. 18.3.1731, gest. 31.8.1732)

Johann Christoph Friedrich (geb .21.6.1732, gest. 26.1.1795)

Johann August Abraham (get. 5.11.1733, gest. 6.11.1733)

Johann Christian (geb. 5.9.1735, gest. 1.1.1782)

Johanna Carolina (get. 30.10.1737, gest. 18.8.1781)

Regina Susanna (get. 22.2.1742, gest. 14.12.1809)

(Abkürzungen: geb. – geboren, get. – getauft, gest. – verstorben, begr. – begraben)

(In den Dokumenten, die über die Lebensdaten Auskunft geben, sind als Handlungen die Taufen und die Begräbnisse verzeichnet. Geburts- und Sterbedaten sind nicht immer angeführt. Kinder wurden am Tag der Geburt oder auch in den nächsten Tagen getauft. Verstorbene setzte man meist wenige Tage nach dem Tod bei. Von Christiana Sophia Henrietta konnte ein Taufeintrag bisher nicht entdeckt werden. Höchstwahrscheinlich ging er verloren. Nach einer Notiz in einem Schulheft ihres Halbbruders Wilhelm Friedemann wurde sie 3 1/4 Jahre alt.)

Taufstein von 1615 in der Thomaskirche zu Leipzig, wo Kinder von Anna Magdalena und Johann Sebastian Bach getauft wurden (Foto: E. Spree)
Es können nur Vermutungen angestellt werden, wie Anna Magdalena Bach die Schwangerschaften und Geburten durchlebte. Sieben Monate vor der Geburt ihrer Tochter Regina Susanna erkrankte sie schwer. Es ist aber nicht bekannt, ob das in einem Zusammenhang mit der Schwangerschaft stand.

Die angeführten Lebensspannen der Kinder zeigen, dass die Familie häufig den Tod eines von ihnen überwinden musste. Wilhelm Friedemann verließ 1733 das Haus, Carl Philipp Emanuel folgte 1734, Johann Gottfried Bernhard 1735.

Die Zeiten, in denen die Kinder im Haushalt von Anna Magdalena und Johann Sebastian Bach lebten, sind im folgenden Diagramm dargestellt (in Klammern ist das Alter der Kinder aus der ersten Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung von Anna Magdalena und Johann Sebastian Bach angegeben):

 

Es wird deutlich, dass nur im Sommer 1732 für einige Wochen neun Töchter und Söhne im Haushalt lebten, ansonsten weniger. Zu diesem Zeitpunkt waren die ältesten aber schon 17, 18, 21 und 23 Jahre alt. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie keine Betreuung mehr benötigten. Diesbezüglich sollten die Kinder betrachtet werden, die unter zehn Jahre alt waren. Da lebten im Sommer 1732 für kurze Zeit fünf im Haushalt, sonst weniger. Die Durchschnittsanzahl der Kinder, die zwischen 1721 und 1750 im Haushalt lebten und unter zehn Jahre alt waren, liegt unter drei.

Aber natürlich braucht die Betreuung und Versorgung von drei oder vier Kindern ebenfalls sehr viel Kraft und Zeit, wodurch die Möglichkeiten für andere Tätigkeiten bedeutend einschränkt sein können. Zwei Jungen und ein Mädchen von den dreizehn Kindern, die Anna Magdalena Bach zur Welt brachte, verstarben in den ersten Lebenstagen. Zwischen 1723 und 1742 mussten also insgesamt zehn Säuglinge mehrere Monate Tag und Nacht versorgt werden – eine kaum vorstellbare Belastung für eine Frau. Aber musste Anna Magdalena Bach all den Aufgaben, die mit der Versorgung der Säuglinge zusammenhingen, selbst nachkommen? Heide Wunder, eine der größten Kapazitäten für Forschungen über Frauen der Frühen Neuzeit, stellte für diese Zeit fest, dass alle Arbeiten – außer der Entbindung – in Lohnarbeit delegiert werden konnten und es gibt Hinweise, dass Anna Magdalena Bach diese Möglichkeiten nutzte.

Einen Anhaltspunkt liefert eine mehrwöchige Reise, die sie 1732 gemeinsam mit ihrem Mann nach Kassel unternahm. Für den September 1732 ist in dortigen Abrechnungen zu lesen: „Zehrungs Costen dem Cappelmeister Hn. Bach et uxori [und Ehefrau] alhier die Zeit über sie alhier logiret“. Als sich die Eltern auf diese mehrwöchige Reise begaben, war ihr jüngster Sohn Johann Christoph Friedrich erst 2 Monate alt. Es kann ausgeschlossen werden, dass sie ihn mitnahmen. Es gibt keine Hinweise in Kasseler Akten, dass ein Kind dabei war und Berichte aus der damaligen Zeit zeigen eindrücklich, dass eine solche Reise für einen Säugling lebensbedrohlich war. Ohne eine Ernährung durch Muttermilch wäre ein Überleben aber einem Wunder gleichgekommen. Wer versorgte also diesen Säugling?

Dafür konnte eine Amme angestellt werden, also eine Frau, „welche anderer Leute Kinder an ihrer Brust träncket“, wie es in einem Lexikon von 1732 formuliert ist. Das war nicht ungewöhnlich. Für die Zeit am Ende des 18. Jahrhunderts wird für Hamburg geschätzt, dass dort 4.000 bis 5.000 Ammen in bürgerlichen Haushalten tätig waren. Bei dem kleinen Johann Christoph Friedrich Bach dürfte die Amme ihre Aufgabe bereits einige Zeit vor der Abreise der Eltern nach Kassel übernommen haben. So konnte sich ein Vertrauen entwickeln und das Ehepaar beruhigt abfahren. Verschiedene körperliche Rückbildungen wären bei Anna Magdalena Bach dann auch abgeschlossen gewesen.

Es gibt nur sehr wenige Quellen, die Auskunft über das Leben von Anna Magdalena Bach geben. Die Kenntnis, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Kassel reiste, ist nur den beiden kleinen Worten „et uxori“ in den Abrechnungen zu verdanken. Über die Häufigkeit weiterer Reisen können nur Vermutungen angestellt werden, da nicht bekannt ist, wie viele Akten, die darüber Auskunft geben könnten, verloren gingen. Aber selbst die wenigen bekannten Dokumente zeigen, dass die Versorgung von Johann Christoph Friedrich kein Einzelfall gewesen sein dürfte. Sohn Gottfried Heinrich war noch keine 5 Monate alt, als Anna Magdalena Bach 1724 nach Köthen reiste, um zu konzertieren. Als sie 1729 dort auftrat, war Tochter Regina Johanna etwas über 5 Monate alt. Für die Strecke von Leipzig nach Köthen benötigte eine Kutsche damals ungefähr 12 Stunden. Anna Magdalena Bach war also in beiden Fällen mehrere Tage nicht in Leipzig.

Für die Anstellung von Ammen gibt es auch noch bei weiteren ihrer Kinder Indizien. Dazu sei folgendes vorangestellt: Nach wissenschaftlichen Untersuchungen liegt die Schwangerschaftsrate bei Müttern, die nach Bedarf Tag und Nacht voll stillen, in den ersten sechs Monaten nach der Geburt bei weniger als 2 % und ein Stillen Tag und Nacht wurde zurzeit Anna Magdalena Bachs empfohlen. (Siehe Abbildung. Übrigens war ein Zusammenhang zwischen dem Stillen und der Verringerung der Fruchtbarkeit auch damals schon bekannt.)

Amaranthes: Nutzbares, galantes und curioses Frauenzimmer – Lexicon.

Frankfurt und Leipzig 1739, Spalte 1539 (gemeinfrei)

 

Wenn Anna Magdalena Bach ihre Kinder in den ersten 6 Monaten voll stillte, sind bei den Kindern, welche das Säuglingsalter überlebten, zeitliche Abstände zur jeweils nächsten Geburt von mindestens 15 Monaten zu erwarten. Das ist in vier Fällen nicht der Fall. Es sollte aber nicht ausgeschlossen werden, dass ab dem 5. Monat zugefüttert und dadurch nicht mehr voll gestillt wurde. Dann wären Abstände, die unter 13 Monaten liegen, Hinweise darauf, dass Ammen die Ernährung übernommen hatten. Nach den Geburten von Tochter Christiana Sophia Henrietta und Sohn Christian Gottlieb waren es aber sogar weniger als 12 Monate.

 

Zusammenfassend gibt es also bei den ersten drei Kindern sowie dem sechsten und neunten Kind Anhaltspunkte, dass Anna Magdalena Bach sie durch Ammen ernähren ließ. Es sind keine Belege bekannt, dass sie es bei ihren anderen Kindern anders handhabte. Wie schon angesprochen, war eine solche Versorgung in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich. Dazu sei auch darauf aufmerksam gemacht, dass bei dem abgebildeten Eintrag im Lexikon von 1739 für die Versorgung von Säuglingen Ammen selbstverständlich aufgeführt sind und das noch vor den eigenen Müttern.

Wenn Anna Magdalena Bach ihre Kinder nicht selbst stillte, sondern diese Aufgaben in Lohnarbeit delegierte, ist das natürlich kein Beleg, dass sie sich nicht um ihre Kinder sorgte. Auch waren dadurch ihre Schwangerschaften oder die Geburten nicht weniger beschwerlich. Bei der Versorgung der Säuglinge wurde sie aber entlastet.

Konnte sie bei den vielfältigen Aufgaben im Haushalt auf weitere Unterstützungen zurückgreifen? Darum soll es im nächsten Beitrag gehen.

 

 

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