Die Macht des Essens
von Christian Schaller
Vergleich der Esskultur im Römischen Reich (um 0) und in der Frühen Neuzeit (um 1500)
Trotz all der Gegensätze in unserer modernen Welt und entgegen all der Unterschiede zwischen den Kulturen und Regionen dieser Erde gibt es zumindest ein Element, welches alle verbindet und „an einen Tisch bringt”: das Essen. Doch ist die Esskultur wirklich nur dazu da, das Überleben zu sichern und Gemeinschaft zu stiften? In diesem Beitrag soll veranschaulicht werden, wie die Esskultur als Motor und dynamisierendes Element gewirkt haben könnte und welchen positiven oder negativen Einfluss sie auf die Kultur, die Wirtschaft, die Politik und den Lebensstandard von Menschen und Nationen hatte. Herausgegriffen werden hierbei zwei bedeutsame und bis heute prägende Epochen der europäischen Geschichte. Zuerst wird das Römische Reich während der frühen Kaiserzeit um das Jahr 0 betrachtet, danach Europa zur Zeit der Renaissance und der Entdeckungsfahrten um das Jahr 1500.
Esskultur zur Zeit des Augustus (um 0)
Bereits in der Antike war das Mittelmeer schon lange nicht mehr unbefahren. Die Hochkulturen der Ägypter, Phönizier und Griechen hatten ausgedehnte Handelsnetze etabliert und verbreiteten Getreide, Öl und Wein im gesamten mediterranen Raum. Das frühe Rom stand in engem Kontakt zu den Etruskern im Norden, die bekannt für ihre Landwirtschaft und ihre Gastmähler waren, sowie mit den griechischen Koloniestädten im Süden Italiens. Die Römer der Königszeit und der Republik waren gleichwohl Soldaten und Bauern, die ihr eigenes Stück Land selbst verwalteten. Sie ernährten sich hauptsächlich von gesammelten Früchten, Saubohnen, Getreidebreien und Wild. Auch Milch von Ziegen oder Schafen wurde gern getrunken. In den Küstenregionen kam noch Fisch dazu. Vieles wurde roh und mit Olivenöl verzehrt. Fleisch gab es eher selten, meistens nur an Festtagen. Die öffentlichen Gastmähler waren durchaus religiöser Natur, spiegelten jedoch auch deutlich soziale und politische Hierarchien wider. Normalerweise aß man zweimal am Tag.
Das Frühstück, ientaculum, war einfach und zwanglos, das Abendessen, cena, dagegen besaß drei oder mehr Gänge aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Milch, Käse oder Öl. Grundbestandteil war ein Getreidebrei, der puls. Das prandium, eine Art Mittagessen, spielte eher eine untergeordnete Rolle. Gegessen wurde meistens mit den Fingern. Dieses Idealbild altrömischer Bescheidenheit wurde jedoch spätestens im ersten vorchristlichen Jahrhundert fallen gelassen. Die Esskultur wurde immer extravaganter und luxuriöser.
Vor allem das Auftauchen und Vorhandensein von Köchen im römischen Reich kann als entscheidender Schritt bei der Verfeinerung der Esskultur angesehen werden. Durch ihre ausufernden Expansionen Richtung Osten waren die Römer nicht nur mit der orientalischen Esskultur, sondern auch mit dem Gewürzhandel in Berührung gekommen. Gesetze, welche die zunehmenden Ausschweifungen der Esskultur eindämmen sollten, scheiterten.
Das sich neu etablierende Gastmahl, convivium, orientierte sich sehr stark am orientalischen Vorbild. Das Mahl war länger und luxuriöser als die cena, zudem fand es verpflichtend mit Gästen statt und hatte damit stark repräsentativen Charakter. Das Esszimmer mit seinen Liegesofas, das triclinium, wurde geschmückt und die Besucher trugen besondere, farbige Kleidung.
Die Etikette war sehr wichtig, beispielsweise gab es einen eigenen nomenclator, der die Sitzordnung zuwies. Die zahlreichen Gänge wurden auf edlem Tafelgeschirr präsentiert, zudem gab es Geschenke, Vorführungen, Musik und Tanz – allerdings nicht durch die Gäste selbst, denn Tanzen galt unter den feinen Römern meist als unschicklich. Dem Essen folgte oft eine comissatio, ein ausschweifendes Trinkgelage, welches sich am hellenistischen symposion orientierte. Das gemeinschaftliche Betrinken schien moralisch kaum verwerflich zu sein, man war ausgelassen und trug Blumenkränze. In der frühen Kaiserzeit war auch Frauen die Teilnahme erlaubt. Eine Art Richter überwachte das Mischverhältnis des Weines. Kritiker prangern an den Gastmählern die immense Verschwendungssucht und den Verlust der alten, republikanischen Tugenden an.
Sie richten sich dabei auch sehr gegen den Import von exotischen Gütern und fremder Pflanzen und Tiere. Möglich war diese Dekadenz durch die Kriegsbeute und die Tributzahlungen des expandierenden Weltreiches. Vor allem mit Asien blühte der Handel. Gemäßigt wurden die Ausschweifungen erst ein wenig durch das Vorbild des traditionell gesinnten Kaisers Vespasian und das Aufkommen des neuen und sparsameren Landadels im ersten Jahrhundert nach Christus.
Die Schriftsteller der frühen Kaiserzeit nutzten sehr oft satirische Übersteigerungen, um das Treiben in den Triklinien der Elite darzustellen und dagegen die wohltuende Einfachheit der bäuerlich-altrömischen Lebensweise hervorzuheben. Nach ihnen sei die orientalische Dekadenz schuld am Verfall der republikanischen Tugenden – oder in den Worten des Satirendichters Juvenal: der Tiber sei vom Orontes verschmutzt.
Dieser Zungenschlag steht auch ganz im Zeichen der Ideologie der augusteischen und frühkaiserlichen Zeit. Das vergangene republikanische Rom wurde dabei als tugendhafte, landwirtschaftlich geprägte Gemeinschaft angesehen. Diese einfache und asketische Mischung aus Nostalgie und Tradition stand der neuen, typisch römischen Hierarchie gegenüber, die deutlich soziale Abgrenzungen zum Ausdruck bringen wollte. Zur Schau getragener Speiseluxus passte zu dieser strengen Rangordnung und dem Status Roms als Weltmacht.
Zudem behandeln die Textquellen oft nur reiche, erwachsene Männer. Diese einseitige Darstellung lässt religiöse Feste, Hochzeiten oder das Essverhalten der einfachen Bevölkerung oft außen vor. Ähnliche Quellen über die römische Esskultur müssen immer auch unter diesem Aspekt betrachtet werden. Im Römischen Reich existierte zudem eine Vielzahl an öffentlichen Gaststätten. Diese Etablissements waren oft einfach und sogar verrufen, da sie von armen Leute, Prostituierten oder anderen, nicht angesehenen Personen frequentiert wurden. Sie konnten aber auch einen fast gutbürgerlichen Standard aufweisen. Das Hotelwesen war in seinen Grundzügen bereits bekannt. Das Speiseangebot war insgesamt eher dürftig und nicht sehr vielfältig, allerdings waren die armen Plebejer ebenso wie die Durchreisenden von diesen Gaststätten abhängig.
Zusammenfassend können die verfeinerten Kochweisen der frühen Kaiserzeit als Versuch angesehen werden, sich abzugrenzen – vor allem natürlich von den fleischfressenden Barbaren jenseits der Reichsgrenzen. Die Esskultur verstärkte allerdings auch soziale Hierarchien, einmal zwischen den Ständen der Plebejer und Patrizier, aber auch auf anderen Ebenen, beispielsweise zwischen Männern und Frauen. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die beiden widersprüchlichen Konzepte der Dekadenz und der Nostalgie, also den hellenistischen Sitten auf der einen und der altrömischen Lebensweise auf der anderen Seite. Die römische Esskultur war sehr heterogen, sie besaß zudem sehr wenige wirkliche Tabus und unterschied sich damit zum Beispiel von der jüdischen oder hinduistischen Kultur. Durch die Verfeinerungen in der Küche waren die Römer vollkommen von Fremden abhängig, der Fernhandel war elementar für das Aufrechterhalten der hohen Esskultur, Gewürze und Genussmittel mussten stetig herangeschafft werden.

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Esskultur zur Zeit der italienischen Renaissance bzw. der frühen Neuzeit (um 1500)
Etwa eineinhalb Jahrtausende später hatte sich Europa und die Mittelmeerwelt gewandelt. Das glanzvolle Römische Reich war untergegangen und das oft als rau und finster verschriene Mittelalter hielt Einzug. Der dekadente Speiseluxus der Römer war so gut wie vergessen, doch Esskultur gab es nach wie vor. In der mittelalterlichen Kochkunst spielten vor allem Gewürze eine große Rolle und so benutzte die vornehme Küche große Mengen an importiertem Pfeffer, Zimt, Muskat, Nelken oder auch Ingwer.
Die Nachfrage an Gewürzen gab es seit der Römerzeit, allerdings nahm sie im 14. Jahrhundert vehement zu. Bis dahin kamen Gewürze über Ozeanien und Indien in den Orient und erst von dort nach Südeuropa. Als teure Importware waren sie ein Statussymbol für den Adel, welches allerdings bei weitem nicht nur der Kulinarik diente, sondern auch eine Expansionswelle auslöste, die Europa grundlegend umwälzen sollte. Um 1500 befand sich Europa im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance, die in Italien ihren Anfang nahm. Die Esskultur änderte sich ebenfalls, auch wenn sie in einigen Aspekten noch an mittelalterlichen Traditionen festhielt, wie beispielsweise den Schaugerichten oder Aufführungen während des Essens.
Gastmähler wurden jedoch immer häufiger eine Inszenierung. Die einfache Öffentlichkeit wurde dabei oft miteinbezogen und instrumentalisiert. Durch die ungeheure Prachtentfaltung wurde Aufmerksamkeit erregt, Nahrungsvergabe sollte Großzügigkeit demonstrieren. Gleichzeitig erfolgten für die Renaissance typische Antikenzitate, wie die Zurschaustellung der römischen luxuria, oder Anspielungen auf die griechisch-römische Mythologie bei den Aufführungen. Die Antike, das „Alte”, wurde dabei regelrecht beschworen, um in einen Wettstreit mit dem „Neuen” zu treten.
Dass eine neue Zeit, eine regelrechte Epochenzäsur, in Europa Einzug gehalten hatte, lässt sich auch durch die Entdeckungsfahrten begründen, die in dieser Zeit ihren Anfang nahmen. Allgemein ist die frühe Neuzeit geprägt durch eine Art Frühform der Globalisierung. Durch die neuen Lebensmittel und die wirtschaftliche Expansion in der Neuen Welt konnte die Bevölkerung Europas konstant wachsen. Die europäischen Mächte vergrößerten in dieser Zeit ihren weltweiten politischen Einfluss, zuerst durch Einflussnahme auf die Handelswege im Indischen Ozean, dann durch die Expansion in Amerika und zuletzt durch die Etablierung des tropischen Plantagensystems.
Die Portugiesen umrundeten Afrika, um neue Seewege nach Indien zu finden und rissen um etwa 1530 den Gewürzhandel gewaltsam an sich. Später rangen ihnen die Holländer mit ihrer Niederländischen Ostindien-Kompanie das Monopol ab. Sie machten Gewürze auch einem breiteren Spektrum in Europa zugänglich. Im 17. Jahrhundert waren die Konsumenten gewissermaßen übersättigt, es entwickelte sich ein neuer Geschmack. Diese Verbraucherinteressen sollten schon bald darauf erfüllt werden. Die 1492 von Kolumbus entdeckte Neue Welt bot Zucker, Rum, Kaffee, Tee und Schokolade, die sich in Europa sehr schnell einer rasant steigenden Nachfrage erfreuten. Dies förderte die Entstehung einer kapitalistischen Landwirtschaft, die auf Gewinn und Effizienz bedacht war und sich dabei auf die Sklaverei stützte.
Die spanischen Konquistadoren brachten nicht nur das Plantagensystem, sondern auch europäische Krankheiten in die beiden Amerikas mit, welche in kurzer Zeit einen Großteil der Urbevölkerung dahinrafften. Obwohl das an sich unbeabsichtigt war, nutzten die Spanier diesen Umstand dennoch aus. Aufgrund der schwindenden Bevölkerung der Maya, Inka und Azteken konnten ihre Reiche schnell erobert werden. Ihre fruchtbaren, aber nun unbestellten Felder wurden zum Anbau neuer Pflanzen genutzt, die dann zurück in die Alte Welt gebracht wurden. Dieser sogenannte Kolumbianische Austausch, welcher bereits nach der Entdeckung Amerikas 1492 einsetzte, war ein vielschichtiger Prozess.
Die Entscheidung, ob die neuen Lebensmittel aus der westlichen Hemisphäre nun im heimatlichen Europa Fuß fassen konnten, wurde immer auf lokaler Ebene getroffen. Europa beispielsweise stand den neuen Anbaupflanzen noch lange Zeit abwehrend gegenüber. Während sich Kartoffeln, Tomaten und Mais in allen Teilen der Welt wie Westafrika, im Osmanischen Reich oder in Südchina etablierten, übernahmen die Europäer solche – stellenweise sogar mit Angst und Abscheu beäugten – Pflanzen erst in Zeiten der großen Hungersnöte und des konstanten Bevölkerungswachstums, also frühestens ab dem 17. Jahrhundert. Zuvor hatten immer wiederkehrende Pestepidemien die Bevölkerung stets stark genug reduziert, um eine Neueinführung von Nutzpflanzen quasi überflüssig zu machen.
Obwohl die Gewürze also einer der Auslöser für die Entdeckungsfahrten waren, setzten sich die Seefahrer schon bald hehrere Ziele als die bloße Suche nach Handelswegen, so zum Beispiel die Durchsetzung machtpolitischer Interessen. Holländer pflanzten Kaffeebohnen auf Java, in Indien wurde Tee angebaut. Damit wurden die Osmanen und Chinesen von ihren Monopolen verdrängt und durch Europäer ersetzt. Die Massenproduktion machte die Getränke nun auch endlich der einfachen Bevölkerung zugänglich.
Die Europäer lösten damit andere Mächte als „Handelsherren der Welt” ab. Afrikaner, Asiaten, Muslime sowie die Urbevölkerung Amerikas schafften es aber dennoch, zumindest einen Teil ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Autonomie zu erhalten. Nicht zu vergessen sind jedoch die brutale Ausbeutung der Sklaven und die Ausreizung des Handels durch die Europäer.
Bis zu zehn Millionen Sklaven wurden von Afrika nach Amerika verschifft, die Lebensumstände waren oft sehr schlecht und die Sterblichkeit war hoch. Der wirtschaftliche Druck sowie die andere Hautfarbe förderten den Rassismus und rechtfertigten damit die Unterdrückung. Auch der Vorwurf des Kannibalismus spielte eine wichtige Rolle, da dies die Invasoren ideologisch dazu animierte, Amerika, Afrika und Ozeanien zu erobern sowie ihre Bevölkerung zu versklaven oder zu töten.
Zusammenfassend wäre es einfach, zu behaupten, dass die größte Änderung in der Esskultur der letzten 500 Jahre die Wende von stark gewürztem zu einfacherem, natürlicherem, aber auch verfeinertem Essen war. Der Adel ließ die mittelalterlichen Fleischplatten mit ihren kunstvollen, überwürzten Saucen fallen und wandte sich einer Verfeinerung der Kulinarik zu. Qualität kam vor Quantität. Zudem entwickelten sich langsam nationale Küchen. Das absolutistische Frankreich brachte beispielsweise eine Flut an Kochbüchern hervor. Die Gerichte enthielten fortan weniger Fleisch und mehr Gemüse. Die Gerichte waren kleiner, es gab mehr Gänge, raffiniertere Saucen und weniger Gewürze.
Es fand eine Sozialisierung und die Bildung von auch heute noch praktizierten Tischsitten statt. Zu Beginn schied diese Esskultur Adel und Bauern noch deutlich voneinander, am Ende der frühen Neuzeit nahm jedoch auch das erstarkende Bürgertum Aspekte davon an. Die englische Küche wird häufig mit der französischen verglichen. Natürlich lässt sich aus britischen Kochbüchern eine gewisse Abneigung der höfischen Küche herauslesen, allerdings kann hier von keinem Gegensatz die Rede sein. England erfuhr lediglich eine andere Prägung, entwickelte beispielsweise keinen solch straffen Absolutismus wie Frankreich. Die Gerichte wirken vielleicht einfacher, beinhalten mehr Gemüse oder werden häufiger in Pfannen zubereitet als die vornehme Haute cuisine.
Auch der Einfluss des Kaffees und der Kaffeehäuser sollte berücksichtigt werden. Nachdem das heiße Getränk zu einem Massenprodukt geworden war, wurde es gewissermaßen zu einem Symbol für das nüchterne Bürgertum. Die Mittelschicht fand in den Cafés einen Treffpunkt – eine Öffentlichkeit entstand. Vor allem in Zeiten der Aufklärung und der beginnenden politischen Kultur wuchs die Bedeutung dieser Kaffeehäuser. Die mächtepolitischen Entwicklungen in der Welt – die Entdeckungsfahrten, die Expansionen und die Etablierung von Sklaverei und Plantagensystemen – brachten aber auch einen radikalen Wandel der Wirtschaft und Kultur mit sich, der Europa nachhaltig prägte und später von der frühen Neuzeit in die Moderne führen sollte.
Fazit
Abschließend werden noch einmal die verschiedenen Aspekte und Tendenzen der beiden Esskulturen zusammengefasst sowie auf Parallelen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede hingewiesen. Während sich die frühen Römer noch sehr einfach ernährten, entwickelte die Elite in der frühen Kaiserzeit einen Speiseluxus, der auch dem Rang Roms als neue Weltmacht entsprach.
Die Dekadenz der hellenistisch geprägten convivii rief darüber hinaus auch Kritik hervor – es entstand ein Kontrast zwischen zwei Ernährungskonzepten. Über diese Esskulturformen hinaus diente die römische Kochkunst vor allem der Abgrenzung – einmal spiegelte sie soziale Hierarchien wider, aber auch der Kontrast zwischen der römischen „Zivilisation” und den „Barbaren” jenseits der Reichsgrenzen war erwünscht. In der frühen Kaiserzeit hatte die Ernährung eine Niveaustufe erreicht, die erst in der frühen Neuzeit wieder revolutioniert werden sollte.
Die Reichen ernährten sich durchaus gesund und ausgewogen, die einfache Bevölkerung hatte zu dem Luxus der hohen römischen Esskultur allerdings meistens keinen Zugang. Auch die römische Literatur beschäftigte sich ausgiebig mit einer gesunden Ernährung. Roms Esskultur und auch Wirtschaft war in der Kaiserzeit absolut abhängig von seinen Provinzen und dem Handel mit Fremden. Im späten Mittelalter wurde der Gewürzhandel immer bedeutsamer. Deshalb übernahm Europa schlussendlich den Welthandel, die Portugiesen und Holländer weiteten ihren Einfluss im Indischen Ozean aus und die spanischen Konquistadoren eroberten Amerika.
Was folgte, war ein unglaublicher Wandel für die Kultur Europas. Das Ergebnis waren Globalisierung, Bevölkerungswachstum sowie wirtschaftliche Expansion durch die Etablierung des Plantagensystems, durch den Kolumbianischen Austausch und die Sklaverei. Die Esskultur der Renaissance legte noch viel Wert auf Inszenierung, auch unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Später beeinflussten die vielen neuen Lebensmittel wie Kaffee und Kartoffeln auch nachhaltig die Esskultur und das Alltagsleben der Europäer. Die Kulinarik wurde immer mehr verfeinert.
Eine Gemeinsamkeit der beiden Esskulturen ist das Hinwenden zu anderen Kulturkreisen. Neue Pflanzen und Tiere werden importiert, vielfach ist man vom Handel mit dem Ausland gewissermaßen abhängig. Sowohl das alte Rom als auch das frühneuzeitliche Europa haben sich nicht gesträubt, andere Länder und Regionen samt ihren Ressourcen und Handelswegen an sich zu reißen und auszubeuten. Die römischen Provinzen und europäischen Kolonien waren wichtig für die wirtschaftliche Expansion der jeweiligen Länder. Mit den Esskulturen wurde natürlich auch eine Identität und Abgrenzung geschaffen, sei es nun der Kontrast zwischen Zivilisation und Barbarei bei den Römern oder epochenübergreifend der Unterschied zwischen den sozialen Schichten, den Armen und den Reichen, den Bauern und Adligen.
Jedoch lassen sich auch deutliche Unterschiede feststellen: Die römische Esskultur war sehr heterogen und in gewissen Maßstäben sogar tabulos – und daher auch nicht so identitätsstiftend wie beispielsweise die sich entwickelnden Nationalküchen der späten frühen Neuzeit. Rom war lediglich eine politische Einheit, die viele Kulturkreise abdeckte, teilweise auch kopierte und in sich aufnahm – ganz im Gegensatz zum zersplitterten Europa um 1500. In der Spätantike sank der Lebensstandard zudem merklich ab, das Römische Reich samt seiner hohen Esskultur zerbrach und die Zeit der Völkerwanderung und des finsteren Mittelalters begann.
Die Armen hatten bereits während der frühen Kaiserzeit, dem goldenen Zeitalter Roms, so gut wie keinen Zugang zum Speiseluxus und das sollte sich auch zu keiner Zeit ändern. In der frühen Neuzeit dagegen erstarkt das einfache Bürgertum immer mehr. Der Wohlstand wird größer, die Welt wird kleiner und auch das einfache Volk erhält spätestens seit Beginn der Moderne Zugriff auf die exotischen Lebensmittel und die hohe Kulinarik. Der Mensch kam und kommt um das Essen nicht herum, es ist ein wichtiges Element des alltäglichen Lebens – zu jeder Zeit. Die Erforschung von Esskulturen bietet nicht nur einen Einblick in Denk- und Verhaltensweisen von Menschen aus vergangenen Tagen, sondern zeigt auch den Einfluss und die dynamisierende Wirkung der Nahrung auf Kultur, Wirtschaft und Politik.
Verwendete Literatur
- André, Jacques: Essen und Trinken im alten Rom, Stuttgart 2013.
- Bischoff, Michael: Plinius Secundus der Ältere: Historia Naturalis. Eine Auswahl aus der „Naturgeschichte“. Nördlingen 1987.
- Bitsch, Irmgard: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit. Vortr. e. interdisziplinären Symposions vom 10. – 13. Juni 1987 an der Justus-Liebig-Univ. Gießen , Sigmaringen 1987.
- Gold, Barbara K.: Roman Dining, Baltimoore 2005.
- Holliger, Christian: Culinaria Romana. So aßen und tranken die Römer, Brugg 1996.
- Pilcher, Jeffrey M.: Nahrung und Ernährung in der Menschheitsgeschichte, Essen 2006.
- Schultz, Uwe: Speisen, Schlemmen, Fasten. eine Kulturgeschichte des Essens, Frankfurt am Main 1993.

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