Die Teufelstriller-Sonate
von Thomas Stiegler
Die Teufels-triller-Sonate
von Thomas Stiegler
Assisi im Sommer 1710.
Es ist Nacht und die Menschen ruhen in ihren Betten. Nur der Wind weht leise über die heißen Felder und lässt die Halme tanzen. Ansonsten herrscht Stille, drückende Stille. Doch wenn man genau hinhört, dann vernimmt man leise Schritte und man kann einen Schatten sehen, der hinauf zum Tor des Klosters schleicht. Vielleicht erhascht man auch ein leises Pochen und nach einigem Zögern die Schritte des alten Pförtners, der mit ein paar gemurmelten Worten wieder ver- schwindet.
Dann ist alles wieder ruhig. Die Nacht schweigt und scheint den Atem anzuhalten, bis das Gesicht des Abtes, erhellt vom Schein einer Fackel, im Guckloch erscheint. Er mustert den nächtlichen Besucher, erteilt einen leisen Befehl und bald darauf öffnet sich das Tor. Der Schatten schlüpft hinter die Sicherheit der altehrwürdigen Klostermauern und das Licht erlischt.
Und jetzt herrscht wirklich Stille. Es ist eine bleierne Ruhe, fast wie vor einem Sturm. Denn viele Jahre lang sollte der junge Mann, der einst so verzweifelt durch das Dunkel der Nacht geschlichen war, nicht mehr in den Wirren der Welt gesehen werden, bis er, innerlich gewandelt und gereift, als der größte Geiger seiner Zeit ins Licht der Öffentlichkeit trat.
Die Rede ist natürlich von Giuseppe Tartini [1], der eines der berühmtesten Werke der Violinliteratur schuf, die sogenannte »Teufelstriller-Sonate«. Aus einer reichen Familie stammend, war er von Kind an für eine geistliche Laufbahn bestimmt und so studierte er zunächst Geisteswissenschaften, Rhetorik und Musik an der Universität zu Padua. Doch schon bald sollten ihn das bunte Treiben auf den Straßen und die Versuchungen der profanen Welt gefangen nehmen und von seinen Studien fernhalten. Denn statt in den Vorlesungssälen sah man ihn immer öfter auf dem Fechtboden, wo er sich mit seinen Freunden duellierte, oder in den wüstesten Schenken und Spelunken der Stadt.
Und dann verlor er auch noch sein Herz, ein Augenblick, der für sein weiteres Leben bestimmend sein sollte, wenn er auch vorerst noch größeres Ungemach nach sich zog – denn einerseits stammte die von ihm Angebetete aus einer bitterarmen Familie und war deshalb für einen Tartini keine standesgemäße Partie, andererseits war sie auch noch mit dem Kardinal von Padua [2] in einem heute nicht mehr genau erklärbaren Verhältnis verbunden. Offiziell war es zwar so, dass der Kardinal regelmäßig Mädchen aus ärmeren Kreisen unterstützte, indem er sie ausstattete und ihnen bei der Hochzeit eine üppige Mitgift gab. Doch war er in diesem Fall (mehr, als es sittlich erschien) bestürzt darüber, dass sein »Schützling« Elisabetta [3] wirklich heiraten wollte, und so erstattete er Anzeige gegen den jungen Bräutigam.
Dazu hatte er auch allen Grund: Nicht nur geschah die Ehe gegen den ausdrücklichen Wunsch der Eltern des Bräutigams (sein Vater soll aus Verzweiflung darüber sogar vorzeitig gestorben sein), sondern der 18-jährige Galan hatte auch schon die ersten Weihen empfangen und heiratete nun nichtsdestotrotz in aller Öffentlichkeit die um zwei Jahre ältere Elisabetta.
So wurde schließlich offiziell Anklage gegen ihn erhoben und die örtlichen Behörden ließen ihre Häscher nach ihm ausschwärmen. Der einzige Ausweg schien ihm, sich als Pilger zu verkleiden, von seiner jungen Frau Abschied zu nehmen und heimlich aus der Stadt zu fliehen – an den einzigen Ort, der ihm sicher schien: hinter die dicken Mauern des Franziskanerklosters in Assisi, in dem er seinen Onkel als Abt wusste. Hier sollte er auch, fast wie unter dem besonderen Schutz des Heiligen Franziskus, zum bedeutendsten Virtuosen seiner Zeit heranreifen und sich gleichzeitig profunde Kenntnisse im Komponieren aneignen. Denn zur selben Zeit, als sich Tartini vor der Welt versteckte, lebte im Kloster ein Franziskanerpater aus Prag, den alle nur »Il Boemo«, den Böhmen, nannten und bei dem es sich um den zu jener Zeit berühmtesten Komponisten Tschechiens handelte: Padre Bohuslav Matěj Černohorský [4].
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1714 glaubte Tartini, dass es an der Zeit wäre, das Kloster zu verlassen. Und wirklich schien genügend Gras über seine Sünden gewachsen zu sein, denn die Behörden in Padua begnadigten ihn und er wurde Orchestermusiker in Assisi und Ancona und schon nach wenigen Jahren Orchestervorstand der Basilika des Heiligen Antonius zu Padua, also in jener Stadt, aus der er einst so schmählich geflohen war.
Er war aber, vielleicht auch geprägt durch seinen langen Aufenthalt fernab des Weltgetümmels, kein Mann, der still seinen Dienst versah, sondern er unternahm zahlreiche Reisen, auf denen er auch die Zeit hatte, seinen Träumen und Gedanken nachzuhängen. Am meisten beschäftigte ihn dabei eine Vision, die er während seiner Jahre im Kloster hatte. Er selbst sollte später in einem Brief an den Astronomen Jérôme Lalande davon Folgendes erzählen:
»Eines Nachts im Jahre 1713 träumte mir, ich hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, er solle mein Diener sein. Alles ging nach meinem Kommando, mein neuer Domestik erkannte im Voraus alle meine Wünsche. Da kam mir der Gedanke, ihm meine Fiedel zu überlassen und zu sehen, was er damit anfangen würde. Wie groß war mein Erstaunen, als ich ihn mit vollendetem Geschick eine Sonate von derart erlesener Schönheit spielen hörte, dass meine kühnsten Erwartungen übertroffen wurden. Ich war verzückt, hingerissen und bezaubert; mir stockte der Atem, und ich erwachte.
Dann griff ich zu meiner Violine und versuchte die Klänge nachzuvollziehen. Doch vergebens. Das Stück, das ich daraufhin geschrieben habe, mag das Beste sein, das ich je komponiert habe, doch es bleibt weit hinter dem zurück, was mich im Traume so sehr entzückt hatte. Denn wohl hätte ich meine Violine in zwei Teile zerbrochen und die Musik für immer aufgegeben, wenn es mir gelungen wäre, die Freuden jenes Traums tatsächlich aufzuzeichnen.« [5]
Fast zwanzig Jahre lang sollte er nun darum kämpfen, diese Vision möglichst wahrheitsgetreu in Musik zu setzen, doch erst im Jahr 1730 schien ihm das gelungen zu sein. Es ist dies die noch heute so berühmte »Teufelstriller-Sonate« für Violine und Basso continuo mit ihren drei Sätzen in jener Reihenfolge, die Tartini allein für diese Sonate erfunden zu haben scheint: langsam-schnell-schnell.
Der erste Satz ist ein sanft nachdenkliches Siciliano [6], das von einer weich dahin strömenden Melodie beherrscht wird. Ihm schließt sich ein etwas belebterer zweiter Satz an, der mit einem kraftvollen Hauptgedanken beginnt und von perlenden Sechzehntelfiguren beherrscht wird. Im dritten Satz hören wir dann endlich die so bekannte Teufelsmusik. Es ist dies ein glänzendes »Allegro assai« [7], in dem wilde Ausbrüche mit langsam meditativen Stellen wechseln, und unbedingt sollte man dazu die noch heute unübertroffene Aufnahme von Izthak Perlman anhören!
Die Form dieser Sonate war so ungewöhnlich, dass die Menschen von jeher ein verborgenes Programm dahinter vermuteten. Und vielleicht ist es wirklich so, dass die langsame Einleitung des 3. Satzes einen Schlafenden dar- stellt, der von Visionen des Teufels geplagt wird (aus- gedrückt durch die Allegro-Ausbrüche). In diesen wild hereinbrechenden Allegro-Abschnitten findet sich auch jener Triller, dem das Stück seinen Namen verdankt und der von späteren Generationen zum »Teufelstriller« verklärt wurde. Was nur zu verständlich ist, denn der Geiger braucht wahrhaft »teuflische Kräfte«, um unter dem Triller eine Melodie zu spielen, die irrig glänzend immer weiter in die Höhe steigt. Ein Effekt, der um 1730 so neu war, dass er scheinbar nur durch das Wirken des Teufels zu erklären war und der noch heute nur ausgewählten Virtuosen gelingt.
Doch zurück zu Giuseppe Tartini und seinem Lebensweg.
Ab den 1720er Jahren sollte er seinen guten Ruf wiederherstellen und schließlich ein geachtetes Mitglied der Paduaner Gesellschaft werden. Wie schon erwähnt, wurde er Musikdirektor an der Basilika des Heiligen Antonius und durch seine Studien war er bald auch als Gelehrter bekannt. Er sollte sogar eine eigene Violinschule gründen, die er »Schule der Nationen« [8] nannte und in der zwei Generationen europäischer Geiger zu den führenden Virtuosen ihrer Zeit heranreiften. Er hatte auch die Muße, mehrere musiktheoretische Werke zu schreiben, darunter eines über musikalische Verzierungen. [9]
Auch in seinem Privatleben sollte sich alles zum Guten wenden: Kardinal Giorgio Cornaro verzieh der jungen Elisabetta ihre Untreue, begnadigte den jungen Geiger und gab dem so hastig geschlossenen Ehebund schließlich seinen Segen. Von Elisabetta lassen sich heute kaum noch Zeugnisse finden, aber sie soll »… eine Persönlichkeit von großer Wärme, Zärtlichkeit, extremer Empfindsamkeit und einer Anspruchslosigkeit und persönlichen Bescheidenheit …« [10] gewesen sein. So erfüllte sich auch ihr Glück und sie lebte mit ihrem Giuseppe ein langes und zufriedenes Leben, bis sie schließlich beide Ende der 1760er Jahre im Abstand von nur zwei Jahren starben.
Nach ihrem Tod kam bald das Gerücht auf, wohl befeuert durch Tartinis Teufelsvisionen, dass er und seine Frau in der Kirche Santa Caterina, wo auch ihre Grabstätte lag, als Geister umgingen. Und wirklich: Als man die Gräber öffnete, schienen ihre Gebeine verschwunden zu sein. Man sieht also: selbst ein Tartini durfte nicht mit dem Teufel spielen! [11]

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Verwendete Literatur
1 ….. 1692-1770
2 ….. Kardinal Giorgio Cornaro
3 ….. Elisabetta Premazore, 1690-1769
4 ….. 1684-1742
5 ….. Online Quelle: Kammermusikführer, Werke/1799
6 ….. Geliebte Musikform des Barock, die sich durch liebliche Melodik und einen schleppend wiegenden Rhythmus auszeichnet.
7 ….. Allegro bedeutet, ein Stück »rasch, munter, fröhlich« zu spielen – Allegro Assai ist noch etwas lebhafter vorzutragen.
8 ….. Scuola delle Nazioni
9 ….. »Abhandlung über die Verzierungen in der Musik «, ein Werk, das wahrscheinlich sogar Leopold Mozart, den Vater des Wolfgang Amadé, bei seinen eigenen Schriften inspiriert hat.
10 ….. Online Quelle: Interlude.hk: »The Monk, the Cardinal, and the Devil, Giuseppe Tartini and Elisabetta Premazore«; Übersetzung durch den Autor.
11 ….. Wobei Forscher heute allerdings davon ausgehen, dass das Verschwinden der Knochen auf chemische Stoffe im Boden der Kirche zurückzuführen ist und nicht auf übernatürliche Kräfte.
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