Die Musik des Barock
von Daniel Ungermann
Die Musik im Zeitalter des Barocks wird im Allgemeinen als die Epoche des Generalbasses bezeichnet. Auch wenn dies nicht ganz korrekt ist – vor allem in kirchenmusikalischen Werken wurde der Generalbass weit über die Zeit des Barocks hinaus verwendet, und es gibt, wenn auch ziemlich selten, Musik ohne Generalbass – ist die Bezeichnung «Generalbasszeitalter» durchaus eine brauchbare Grundlage. Als Epoche der der Barockmusik gilt die Zeit etwa zwischen 1600 und 1760.
Die Musik des Barocks muss in zwei verschiedene Richtungen hin unterteilt werden. Die erste Unterteilung betrifft die Provenienz: Die wichtigsten Länder sind Italien, Frankreich und Deutschland. Die zweite Unterteilung bezieht sich auf die Epochen innerhalb der Barockmusik: Frühbarock, Hochbarock und Spätbarock; dass die Grenzen fliessend sind und auch geographisch nicht deckungsgleich, versteht sich von selbst. Das Frühbarock ist in der Zeit ca. zwischen 1600 und 1650 anzusiedeln, das Hochbarock ca. von 1650 bis 1720 und das Spätbarock ca. von 1720 bis 1760. Der Übergang vom Spätbarock in die Epoche der Frühklassik ist ebenfalls nicht ganz präzise einzugrenzen.
Der Frühbarock
Der wichtigste Ausgangspunkt für den Beginn des musikalischen Barockzeitalters ist in Italien zu suchen, wo kurz vor 1600 Versuche unternommen wurden, die antike griechische Tragödie wiederzubeleben. War bis dahin in der Vokalmusik das Primat der Musik über das Wort unangefochten (siehe z. B die hochkomplexen kontrapunktischen Künste der Franko-Flämischen Vokalpolyphonie, die auf den gesungenen Text wenig Rücksicht nahm), begann die Ideologie, dass die Musik die Funktion hatte, die Affekte der Worte zu unterstützen, dass also das Wort über der Musik steht, sich Bahn zu brechen.
Herausragend ist der Streit zwischen Claudio Monteverdi und Giovanni Artusi: Monteverdi prägte die Bezeichnungen «prima pratica», für die von Artusi geforderte Dominanz der Musik, und der «seconda pratica», in welcher die Musik «Dienerin des Textes» zu sein habe. Aus der Idee der seconda pratica entstand die Monodie, eine musikalische Form der Vokalmusik, in der eine Einzelne Stimme instrumental begleitet wurde.
Hier beginnt das Zeitalter des «basso continuo», des Generalbasses.
Dabei handelt es sich um eine Praxis, dass in jeder Musik die Basslinie mit einem Harmoniefähigen Instrument (Cembalo, Theorbe, Orgel) verstärkt wurde, wobei dieses Instrument einerseits die Basslinie mitspielte, andererseits die Harmonien in Akkorden anreicherte, welche durch eine Ziffernschrift unter der Basslinie notiert wurde und – nach genauen Regeln – dem Spieler in gewissen Grenzen die Freiheit gab, die geforderten Harmonien improvisierend auszuführen. Diese Praxis des Generalbasses eröffnete Möglichkeiten, ganz neue musikalische Formen hervorzubringen.
Eine der wichtigsten Schöpfungen der seconda pratica war das Rezitativ, ein vom Generalbass begleiteter Gesang, dessen Rhythmus und Melodik der Metrik des Textes folgte und rhythmisch sehr frei, also «sprechend» auszuführen war. Dies führte zur Entstehung ersten Oper, «Dafne» von Jacopo Peri, entstanden 1597, die Musik ist leider verloren.
Die erste bedeutende Oper, die heute noch erhalten ist, ist «Orfeo» von Claudio Monteverdi von 1607. Der Instrumentalmusik eröffneten sich neue Möglichkeiten, so entstanden Kompositionen für ein bis vier Instrumente mit Generalbass.
Hier sind die Anfänge der «Sonate» zu suchen, auch wenn die Terminologie ziemlich uneinheitlich war. So war die Bezeichnung «Concerto» für verschiedenste Formen gebräuchlich – sogar für Vokalmusik. «Sonata» und «Sinfonia» hatten ebenfalls verschiedene Bedeutungen. «Sinfonia» wurde noch lange Zeit z.B. auch für Eröffnungssätze von Opern und zyklischen (also mehrsätzigen) Werken verwendet, gelegentlich auch für Vokalmusik.
Auch der Begriff «Fuge» hatte diverse Vorläufer: Imitatorische Instrumentalsätze – oft sehr nahe an die vorbarocke Motette angelehnt – hiessen Ricercare, Canzona oder Fantasia. Der Begriff Fuge setzte sich erst später durch.
In Deutschland übernahmen einige Komponisten die Idee der das Wort ausdeutenden Vokalmusik.
Hier muss in erster Linie Heinrich Schütz genannt werden, der sich die Stilmittel der «seconda pratica» zueigen machte und sowohl generalbassbegleitete Vokalwerke für eine oder mehrere Solostimmen schrieb (die er z.B. «Geistliche Konzerte» oder «Symphoniae sacrae» nannte, auch hier sieht man noch die unklare Terminologie), als auch Chorkompositionen mit reichen texttausdeutenden Figuren.
Der Beitrag Frankreichs im Frühbarock bestand in der Entwicklung der Suite, einer Folge von Tänzen, die in allen erdenklichen Besetzungen, vom Soloinstrument bis zu reichhaltig bestückten Instrumentalensembles, praktiziert wurde. Allerdings herrschte in der Auswahl der Tänze noch ein ziemlicher Wildwuchs.
Es war der Deutsche Johann Jakob Froberger, der in seinen Cembalosuiten, die französische und italienische Stilelemente vereinen, die später als Grundlage der Suite geltende Abfolge der Tänze: Allemande – Gigue – Courante – Sarabande verwendete, wobei in der klassischen Suitenform Gigue und Sarabande die Plätze tauschten. Die Tanzsätze der Suite waren häufig zweiteilig, wobei jeder Teil jeweils wiederholt wurde.
Im französischen Barock hatte das Ballett eine hohe Bedeutung, was auch erklärt, warum die in der Tanzsuite durch das ganze Barock hindurch auch ausserhalb Frankreichs die Namen der Tänze französisch blieben.
Der Hochbarock
Im Hochbarock begannen sich klar definierte Formen herauszubilden.
Das «Concerto» erhielt die Form eines in der Regel dreisätzigen Orchesterwerks, in dem sich ein oder mehrere Soloinstrumente mit dem Tutti des ganzen Orchesters – häufig eines reinen Streichorchesters – abwechseln.
Die Idee einer Teilung zweier gegenübergestellten Gruppen geht auf die Praxis der venezianischen Doppelchörigkeit zurück, wie sie im Markusdom in Venedig schon in Vorbarocker Zeit praktiziert wurde. Von der Sinfonia, der italienischen Form der Opernouvertüre, erhielt das Concerto die Satzfolge schnell – langsam – schnell.
Der wichtigste Beitrag zur Entwicklung des Concertos waren die «Concerto grosso» genannten Werke von Arcangelo Corelli, in denen zwei Soloviolinen und ein Solocello dem Streichorchester mit basso continuo gegenüberstanden. Der erste schnelle Satz hatte im Concerto grosso in der Regel als Formschema die Abfolge von Tutti – Ritornellen, die nur am Anfang und am Schluss vollständig und in der Grundtonart zu sein hatten, und Episoden der Soloinstrumente. Hier liegt eine bereits ausgereifte Form vor, die bis zum Ende des Barocks als Grundprinzip Bestand haben sollte.
Von da aus ist es nicht mehr weit zum Solokonzert, in dem ein einziges Instrument dem Tutti-Ensemble (Ripieno) gegenübergestellt wird. Die Formanlage ist grundsätzlich gleich. Die Solosonate für ein (oder mehrere) Instrumente und Generalbass begann ihre klassische Form anzunehmen, wobei die Satzfolge schnell – langsam – schnell – häufig durch weitere Sätze ergänzt wurde, sehr häufig durch einen langsamen Satz am Anfang der Sonate.
Im Hochbarock herrschte ein reger internationaler Austausch, so dass länderspezifische Formen schnell von anderen Ländern adaptiert wurden. Trotzdem gab es im Hochbarock einige länderspezifische musikalische Formen.
In Deutschland entwickelte sich eine vielfältige Formenwelt von Orgelbearbeitungen des protestantischen Chorals. Auch die freie Orgelmusik erlebte eine Hochblüte (Dietrich Buxtehude, Georg Böhm, Nicolaus Bruhns).
In Frankreich entwickelten die «Clavecinisten» genannten Cembalisten die Cembalosuite in die Richtung, dass die Tanzsätze – die in Frankreich sehr häufig statt zweiteilig mehrteilig mit einem Couplet genannten Teil, der am Anfang, am Schluss und immer wieder zwischen den Reprise genannten Teilen gespielt wurde – zu richtigen Charakterstücken mutierten; meist bekamen die Sätze auch Titel der verschiedensten Art (François Couperin als Höhepunkt).
Durch Louis XIV, dem «Sonnenkönig» und seinem Schloss in Versailles erfuhr die repräsentative Musik einen bis anhin nie gekannten Aufschwung. Jean Babtiste Lully wurde zum Kapellmeister in Versailles ernannt und verfasste zahlreiche Suiten, mit der «Französischen Ouvertüre» als Eröffnungssatz, deren Form im Gegensatz zur italienischen Sinfonia die Abfolge langsam – schnell – langsam hatte, wobei der langsame Teil sich durch scharfe Punktierungen und rasante kurze Auftaktfiguren auszeichnete.
Die Oper begann ihren Siegeszug von Neapel aus, deren wichtigster Vertreter Alessandro Scarlatti wurde; die «da capo – Arie» entstand: Zweiteilig mit – häufig durch improvisierte Verzierungen ausgeschmückter – Wiederholung des ersten Teils nach dem zweiten Teil.
Und mit dem Siegeszug der Oper ging der Siegeszug der Kastraten einher, die die eigentlichen Stars der Oper wurden. Gerade für die Kastraten wurden in der Oper Arien von exorbitanter Virtuosität komponiert, was zu einem Wettbewerb der wie Pilze aus dem Boden schiessenden Opernhäuser führte.
Der Inhalt der Oper war in der Regel aus dem Bereich der Mythologie – häufig des Altertums – entnommen oder es handelte sich um Heldengeschichten real existierenden Ereignisse der Geschichte. Neben Solisten und Orchester konnte auch ein Chor in der Oper Platz finden.
Verwandt mit der Oper war die Kantate und das Oratorium; in Italien erlebte die Solokantate ihre Hochblüte, mit Rezitativen und Arien, häufig in der da capo – Form.
Das Oratorium entwickelte sich aus dem mittelalterlichen Mysterienspiel und ähnelte in der Form der Oper, wobei ein Chor in der Regel zusammen mit Solisten und Orchester die Besetzung bildete.
England, dessen Musik vor allem vom französischen Stil beeinflusst wurde, erlebte im Hochbarock einen Gipfelpunkt in Henry Purcell, dessen Oper «Dido and Aeneas» zu den bedeutendsten Opern des Hochbarocks zählt.
Der Spätbarock
Die Epoche des Spätbarocks bildet den Kulminationspunkt der bisherigen Entwicklungen in der Musik. Die am Anfang des Barocks noch klar erkennbaren nationalen Unterschiede des Musikstils vermischt sich nun zu einem Stil von einer gewissen Einheitlichkeit über nationale Grenzen hinweg.
In der Instrumentalmusik dominieren nun das Concerto, die Suite und die Sonate, Formen, in denen sich eine gewisse Grundstruktur herauskristallisiert hat.
Im Concerto – mit einem oder mehreren Soloinstrumenten – dominiert die Satzfolge schnell – langsam – schnell.
In der Suite bilden Allemande – Courante – Sarabande – Gigue das Gerüst (wobei Abweichungen von dieser Abfolge trotzdem immer noch häufig vorkommen), ergänzt durch oftmals als «Galanterien» bezeichnete Tanzsätze wie Menuet, Gavotte, Bourée und viele andere mehr. Häufig steht ein Eröffnungssatz der Suite vor, etwa eine Ouvertüre, ein Prélude oder ein anders betitelter Satz. Es werden auch polyphone Formen in die Suite eingebaut, wie etwa die Fuge. Suiten gibt es in allen denkbaren Besetzungen, von der Suite für ein Soloinstrument (häufig das Cembalo, gelegentlich ein Melodieinstrument ohne basso continuo) bis zu Orchestersuiten. Die Tanzsätze behalten in der Regel ihre zweiteilige Form mit der Wiederholung des jeweiligen Teiles.
Sonaten entstehen für verschiedenste Soloinstrumente mit oder ohne basso continuo, oder verschiedenste Instrumentengruppen (beliebt war die Triosonate für zwei Instrumente und Generalbass), meist dreisätzig mit der Satzfolge schnell – langsam – schnell, oder viersätzig mit einem einleitenden langsamen Satz.
Die spieltechnischen und klanglichen Möglichkeiten der Instrumente werden oft bis zum Äussersten ausgelotet und ausgereizt.
Antonio Vivaldi und Giuseppe Tartini schreiben Violinkonzerte von bis anhin ungekannter Virtuosität, Georg Philipp Telemann verwendet als Soloinstrumente fast alle vorhandenen Instrumente und entlockt ihnen bislang verborgene Spielmöglichkeiten. Das Concerto Grosso – nun meistens mehr als dreisätzig – findet seinen Gipfelpunkt in den Concerti Grossi von Georg Friedrich Händel.
Die Musik des Spätbarocks wird immer komplexer, es finden sich beispielsweise im Tutti des Concerto Elemente der Polyphonie als fugierte Ritornellformen, die Soloepisoden enthalten thematisches Material des Ritornells und vieles andere mehr.
Den absoluten Gipfelpunkt der gesamten Epoche der Barockmusik bildet fraglos die Musik von Johann Sebastian Bach. Seine Werke verschmelzen auf natürlichste Art und Weise alle nationalen Stilelemente, beispielhaft dafür stehen die sechs «Brandenburgischen Konzerte». In ihnen vereint sich in verschiedensten Besetzungen die italienische Concerto-Form mit polyphonen Elementen, verbunden mit motivisch-thematischer Arbeit.
Bachs unerreichte Meisterschaft in allen denkbaren musikalischen Formen, von der strengen Fuge bis zum Galanten Suitensatz, der schon auf die kommende Epoche der Frühklassik verweist, kulminiert in seinem Spätwerk: in den «Kanonischen Veränderungen» über «Vom Himmel hoch, da komm ich her» für Orgel mit Kanons in verschiedenen Intervallen, dem «Musikalischen Opfer», einer Sammlung verschiedenster Stücke, vom sechsstimmigen Ricercar für Cembalo solo bis zur galanten Triosonate, über ein Thema, dass ihm König Friedrich der Zweite auf der Flöte vorspielte, und der «Kunst der Fuge», einer Sammlung von Fugen und Kanons, in welchen die kontrapunktische Kunstfertigkeit auf die absolute Spitze getrieben wird – ähnlich wie in der Franko-Flämischen Vokalpolyphonie des 15. Und 16. Jahrhunderts.
Die Vokalmusik fand in den in London verfassten Oratorien von Georg Friedrich Händel einen Gipfelpunkt, sowie in den Kantaten, den Passionen und der «Hohen Messe» von Johann Sebastian Bach.
Die Italienische Oper wurde überstrahlt von den Werken Händels, und den beiden Superstars unter den Kastratensängern Senesino und Farinelli.
Frankreichs Prunkoper gipfelte in den Meisterwerken von Jean-Philippe Rameau.
Vor allem Johann Sebastian Bach entwickelte in seinen zweiteiligen Stücken mit den jeweils wiederholten Teilen, vorwiegend für Cembalo solo – Suitensätzen, Präludien und der Fantasie c-moll – eine Form, deren erster Teil im zweiten Teil verarbeitet wird, um wieder in einer (mehr oder weniger freien) Reprise des ersten Teils zu enden. Daraus entwickelte sich letztlich die Sonatenhauptsatzform der Wiener Klassik, der folgenden grossen Epoche der Musikgeschichte.

Altweibersommer –
ein Buch der Leiermann-Autorinnen und -Autoren
Mit Texten zu einer besonderen Zeit.

Sommerfrische –
ein Buch der Leiermann-Autorinnen und -Autoren
Texte über den Sommer, wie er in vergangenen Zeiten verbracht wurde.