Flötenliteratur – ein Spaziergang durch die Zeit

von Anja Weinberger

Eine Zeitreise – die Entwicklung des musikalischen Repertoires am Beispiel der Flöte

Wie ist das eigentlich mit unserer Literatur? Es hat ja jede Zeit ihre Instrumente, jedes Instrument seine Möglichkeiten. Andererseits entsteht Musik ja nicht immer für ein bestimmtes Instrument, sondern wird manchmal einfach als Melodie oder Harmonie in den Köpfen der Komponisten geboren. Oder?

Anhand meines Instrumentes, der Flöte, mache ich mich auf den Weg durch die Jahrhunderte. Und ich glaube, dass diese Geschichte sich nicht grundsätzlich unterscheidet von der Geschichte anderer Instrumente.

„Als eines der ältesten Musikinstrumente der Welt hat die Flöte während ihrer langen Geschichte immer die Kraft des Archetypischen mit dem Zauber der ihr innewohnenden Wandlungsfähigkeit verknüpft.“ Schöner als Mirjam Nastasi kann man das kaum ausdrücken.

Der griechischen Mythologie zufolge entdeckte die Göttin Athene die Flöte und das Flötenspiel.

Und seit jener lange vergangenen Zeit hat sich dieses Jahrtausende alte Instrument mit seiner mythischen, religiösen und magischen Bedeutung in allen alten Kulturen bis zur anfangs heftig umstrittenen Böhmflöte von heute entwickelt.

Als göttliches Attribut bei Pan und Krishna, als Beigabe der Euterpe im Chor der Musen, als sagenumwobenes Instrument der Verführung, als aristokratisches Statussymbol bei z. B. Friedrich dem Großen und schließlich als Lieblingsamateurinstrument des Bürgertums: Die Flöte hat ihren Ton immer unmittelbar über Atem und Zwerchfell erzeugt. Im Gegensatz zu allen anderen Blasinstrumenten klingt sie ja unabhängig von einem Rohrblatt wie z. B. die Klarinette, einem Trichter wie die Trompete oder einem Kernspalt wie die Blockflöte. Der Flötenton entsteht direkt aus dem Luftstrom heraus über den Atem und das Zwerchfell, und daraus ergibt sich diese so einzigartige Verbindung zwischen der menschlichen Seele und dem Klang. Ähnliche Betrachtungsweisen erscheinen in zahlreichen historischen Quellen sonst nur im Zusammenhang mit der menschlichen Stimme.

Ganz genau stimmt das so jedoch gar nicht.

Denn im Grunde entsteht der Flötenton sehr ähnlich dem Ton der Blockflöte, nur eben nicht dermaßen offensichtlich. Auch wir Flötisten blasen über eine Kante, an der sich der Luftstrom teilt. Bei der Blockflöte ist es der Kernspalt, den man einige Zentimeter unterhalb des Schnabels findet und bei unserer Querflöte die gegenüberliegende Kante des Mundloches. Aber für den Zuhörer und Zuschauer ist diese Tatsache nicht klar erkennbar. Vermutlich kommt daher jene sehr philosophische und beinahe esoterische Betrachtungsweise hinsichtlich der Seele. Nimmt man den optischen Aspekt als Maßstab, ist der Flötist tatsächlich der einzige unter den Bläsern, der keinen direkten und vor allem abgeschlossenen Mund-Lippen-Kontakt zum Instrument herstellt.

Spätestens seitdem es aufrecht stehende Menschen gibt, gibt es auch Musik. Die ältesten Flötenfunde sind über 40.000 Jahre alt. Uns interessiert hier jedoch vor allem die Musik, die mit dem Aufschreiben von Noten ungefähr ab dem 9. Jahrhundert begann, sich im 12. und 13. Jahrhundert zu einer echten Mehrstimmigkeit entwickelte und mit dem Minnesang und der Musik des Trecento in die Renaissancemusik mündete.

Genau hier beginnt unser Exkurs.

Ein guter Einstieg, denn eben zu dieser Zeit ist auch die erste große Welle der Instrumenten-Entwicklung über Europa geschwappt. Neben der Weiterentwicklung des mittelalterlichen Instrumentariums tauchen plötzlich viele neue Instrumente auf.

Von nun an erklingen Schalmeien, Dulziane, Posaunen, Naturtrompeten, das Zink und auch eine Traversflöte neben der Viola da gamba, der Laute, dem Psalterium und manchen Schlagwerken. Der Notendruck wird von Ottaviano Petrucci um 1500 erfunden; es entstehen Sammlungen von Tanzstücken und auch schon erste Schriften zu Musiktheorie und Instrumentenkunde. Viele dieser Renaissanceinstrumente sind im Laufe der Zeit wieder verschwunden, einige können jedoch durchaus als direkte Vorläufer unserer heutigen Instrumente betrachtet werden.

 

Dann schließlich wird die Renaissance durch das Zeitalter des Barock abgelöst.

Um 1600 herum beginnt dieser beinahe monumentale Siegeszug in Italien. Nun kommt uns schon das Eine oder Andere bekannt vor. Worte wie „Generalbass“ oder „Monodie“ stehen im Raum. Rezitative und Arien setzen sich zusammen zu ersten Opern, Oratorien und Kantaten. Komponisten treten ins Rampenlicht, deren Namen wir auch heute noch kennen: Claudio Monteverdi (1567–1643)  in Italien, aber auch Heinrich Schütz, geboren im damaligen Fürstentum Reuß, im heutigen Deutschland; etwas später dann Jean-Baptiste Lully, Dietrich Buxtehude und Henry Purcell. Bald erblicken Bach, Händel und Telemann das Licht der Welt. Und schließlich wird unter Führung Georg Philipp Telemanns eine grenzübergreifende Vereinigung der unterschiedlichen Regionalstile im Spätbarock gipfeln.

Was stand damals auf den Spielplänen und Programmen?

Erst ab ungefähr 1700 kann man von einem wirklich eigenständigen Flöten-Repertoire sprechen, bis dahin wurde gespielt, was andere Instrumente so hergaben. Dabei ging Frankreich zunächst mit gutem Beispiel voran – sozusagen als „bläserischer“ Gegenpart zu Italien. Denn dort, in Italien, begann eben zu jener Zeit ein anderes Instrument seinen fulminanten Höhenflug: die Violine.

Und so kommt es, dass die früheste schriftlich festgehaltene Flötenmusik französischen Ursprungs ist und von Hotteterre (1674–1763) stammt, von Loeillet, Couperin oder La Barre. Meist sind das Suiten in der Besetzung Flöte/Generalbass, gespielt auf der höchstens einklappigen, hölzernen Querflöte.

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Und nun ein erster Einschub für die, die mehr wissen wollen…

Was bedeutet eigentlich Generalbass?

Der Generalbass oder Basso continuo (B.c.) bildet das Fundament und harmonische Gerüst unter der Melodielinie. Er wird in einzelnen Noten mit einer oder mehreren darunter gesetzten Ziffern notiert, die dem geübten Spieler anzeigen, welcher Akkord zu spielen ist. Der Basso continuo kann z. B. von einer Orgel, einem Spinett, einer Laute, einem Cembalo, einer Gitarre oder einer Harfe übernommen werden, kurz: von einem Harmonieinstrument. Im Normalfall wird die Basslinie, also die linke Hand des Cembalisten, von einem Fagott oder einem Violoncello verstärkt. Dadurch befinden wir uns in dieser eigenartigen Situation eines Duos zu dritt. Genauso ist es bei Triosonaten mit B.c.: vier Musiker spielen hier drei Stimmen.

Schon kurz darauf entsteht schließlich das erste echte Solokonzert für Flöte und Streicher, komponiert vom Franzosen Michel Blavet. Dieser hatte schon zuvor viele Sonaten im damals modernen italienischen Stil geschrieben; denn in Italien bildete sich nun nach anfänglichem Zögern doch eine beachtliche Tradition des Flötenkonzertes und der Flöten-Kammermusik heraus. Vivaldi allen voran, aber auch Pergolesi, Porpora, Vinci und Sammartini schrieben sehr früh äußerst virtuose und klangschöne Werke.

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Und nun begann die erste große Phase der Flötenmusik.

Möglich machten das, neben anderen Königshöfen, auch die vielen deutschen Fürstenhäuser mit ihren Hofkapellen. Denn hier konnten sich zahlreiche hochklassige Instrumentalisten und Komponisten mit Musik ihren Lebensunterhalt „erspielen“. Darunter befanden sich auch einige Ausländer, die Können und Tradition ihres jeweiligen Heimatlandes mitbrachten.

Die Form wird vielgestaltiger. Mehrsätzige Suiten und Sonaten sind in der Überzahl, aber auch einsätzige Fantasien und Capricen finden wir. Von Hotteterre wurden uns schließlich die allerersten echten Solowerke hinterlassen. Sie heißen L’art de préluder und sind kurze, kadenzartige, sozusagen aufgeschriebene Improvisationen auf der Flöte. Viel häufiger als heute war die Musik damals einem bestimmten Anlass zugedacht und damit auch für einen bestimmten Musiker komponiert. Dementsprechend orientierte sich Inhalt und Schwierigkeit des jeweiligen Werkes oft am Aufführungsort und an der Eloquenz des Spielers.

Und in Deutschland?

Johann Sebastian Bach (1685-1750) hat uns Flötisten mit sieben wunderbaren kammermusikalischen Sonaten, einer Partita für Soloflöte und mehreren Triosonaten beschenkt. Sie alle bilden das Zentrum der nun schon recht großen Bibliothek des Flötisten. Auch Händel und Telemann haben viel für die Flöte komponiert, letzterer v.a. auch seine 12 Fantasien für Flöte allein, die einen Meilenstein in der Literatur darstellen. Auch für Violine, Gambe und Cembalo allein hat Telemann solche Fantasien geschrieben, die bis heute häufig in Konzertprogrammen auftauchen.

Oft wurde die Flöte nun auch als obligates Instrument in Kantaten und Oratorien eingesetzt. Der Schritt zum Orchesterinstrument steht also kurz bevor.

Was ist ein „obligates Instrument“?

Meist treten solche Instrumente gemeinsam mit der Gesangsstimme auf. Ein obligates Instrument übernimmt für eine festgelegte Zeit eine zweite Solostimme, die den Gesang umspielt, mit ihm wetteifert und ihn unterstützt. „Obligat“, also „unentbehrlich“ oder „selbstständig“, bedeutet auch, dass die Stimme keinesfalls weggelassen werden kann. Denn bei den anderen Begleitinstrumenten war man da im Barock flexibler – eben je nach Situation und vorhandenen Musikern.

Christoph Willibald Gluck (1714-1787) war schließlich einer der ersten Komponisten, der die Flöte im Orchester besetzte. Nach einiger Zeit war sie daraus schon nicht mehr wegzudenken, und spätestens durch die Komponisten der Mannheimer Schule wurde unser Instrument auch mit einer großen Anzahl Solo– und Kammermusikliteratur bedacht.

Aber der Reihe nach…

Wir befinden uns in einer interessanten Zeit. Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann (um nur zwei von vielen zu nennen) führen die Barockmusik zu einem überwältigenden Höhepunkt. Und da taucht plötzlich die „Söhnegeneration“ auf und möchte alles anders machen. Manche Komponisten wie Quantz, Friedrich II. und Benda nutzten die technisch etwas verbesserten Flöten, um eine neue Virtuosität in ihre Kompositionen einfließen zu lassen. Die Bachsöhne und weitere Komponisten wie Johann Gottfried Müthel, Anna Amalia von Preußen und Johann Stamitz zeigen deutlich, dass wir uns im Übergang vom Barock zur Vorklassik befinden. Der galante Stil und kurz darauf der empfindsame Stil nehmen Einzug.

Bedingt durch die weiteren Fortschritte im Flötenbau und das besondere Interesse mancher Herrscher am Instrument Flöte entsteht in dieser Zeit eine große Menge neuer Literatur. Dringend hinweisen muss man hier auf Carl Philipp Emanuel Bachs Flötenmusik. Nicht nur hat er viele Sonaten für Flöte und obligates Cembalo komponiert, nein, vor allem begeistern seine Hamburger Sonate für Flöte und B.c. und die Solosonate in a-moll.

Die Flöte gehört ja, wie die Klarinette, das Klavier oder auch die Harfe, zu jenen Instrumenten, die erst relativ spät zu dem geworden sind, was wir heute kennen.

In der Geschichte des Flötenbaus gibt es mehrere Wendepunkte,

die mit Verbesserungen in der technischen Machbarkeit und der Spielbarkeit einhergegangen sind. Wichtige Namen sind dabei Hotteterre, Quantz und v.a. Theobald Böhm, der den Flötenbau im frühen 19. Jahrhundert revolutionieren wird. Bis dahin ist es momentan jedoch noch ein recht weiter Weg …

Aber nicht nur Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Joachim Quantz haben am Hofe Friedrichs des Großen zur Bestückung der flötistischen Bibliothek beigetragen. Neben vielen anderen Komponisten wie Benda und Agricola haben auch der König selbst und eine seiner Schwestern eifrig komponiert. Von dieser, Anna Amalia von Preußen, gibt es in unserem Notenschrank eine sehr schöne und anspruchsvolle Sonate ganz im Sinne Carl Philipp Emanuel Bachs.

In Mannheim und Schwetzingen

am Hofe Karl Theodors von der Pfalz komponierten Johann Stamitz und seine Kollegen ebenfalls eine große Anzahl Flötenkonzerte, Sonaten und Kammermusikwerke.

Dort bildete sich auch das neue Genre „Bläserquintett“ (Flöte/Oboe/Klarinette/Horn/Fagott) heraus. Von Anton Reicha und Franz Danzi wurde diese Besetzung zum ersten Mal mit Musik versorgt, und viele dieser Werke werden bis heute häufig und gerne gespielt.

Auch das Flötenquartett in seiner Besetzung mit 4 Flöten ist unterdessen entstanden. Wieder ist Anton Reicha zu erwähnen, denn sein spielfreudiges und kurzweiliges D-Dur-Quartett Sinfonico kennt wirklich jeder Flötist. Bis in unser 21. Jahrhundert hinein wurde diese Besetzung von vielen Komponisten entdeckt. Sie ist auch deshalb so interessant, weil in neuerer Zeit sehr gerne und zur Begeisterung des Publikums die Nebeninstrumente Piccolo, Alt- und Bassflöte benützt werden können. Besonders schöne Quartette schrieben Friedrich Kuhlau, Florent Schmitt, Eugène Bozza, Marc Berthomieu, Jaques Castérède, Mari Miura und ganz aktuell Tina Ternes.

Genauso beliebt ist die andere Besetzung des Flötenquartetts: nämlich Flöte/Violine/Viola/Violoncello. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Abwandlung des Streichquartettes, in dem eine der Violinen durch eine Flöte ersetzt wird – auch mit Oboen und Klarinetten hat man das gegen Ende des 18. Jahrhunderts und bis heute gerne getan. Die berühmtesten Quartette dieser Art stammen vermutlich von Mozart, aber auch  Cannabich, Danzi, Devienne, Reicha, Rossini und viele andere werden in der Folgezeit für diese schöne und ausgewogene Besetzung komponieren.

 

Unterdessen ist unser Notenschrank wirklich gut gefüllt.

Somit sind wir in der Klassik angekommen. Die heute v.a. berühmten Klassiker Beethoven (1770-1827),  Mozart und Haydn schrieben alle drei Kammermusik, bei der auch die Flöte beteiligt ist. Jedoch war Mozart der Einzige unter ihnen, der zwei Solokonzerte für Flöte komponierte und eines sogar für die einmalige (auch im wahrsten Sinne des Wortes) Besetzung Flöte und Harfe. Von den in ihrer Zeit mindestens genauso bekannten Komponisten Stamitz, Cannabich, Toeschi, Danzi, Hoffmeister, Pleyel und Boccherini gibt es einige Flötenkonzerte; und eine große Fülle lieferten uns komponierende Flötisten wie Francois Devienne, August Eberhard Müller und Johann Baptist Wendling. Vermutlich das bekannteste und schönste unter den vielen Devienne-Konzert ist das Konzert Nr.7 in e-moll.

Komponierende Instrumentalisten finden wir bis in unsere Zeit hinein, und je komplizierter das Instrument, desto häufiger kommen sie vor. In der Gitarren- und Harfenmusik ist der Anteil dieser Komponisten deshalb besonders groß. Die bekanntesten Vertreter im Falle dieser beiden Instrumente sind vermutlich Fernando Sor, Mauro Giuliani, Ferdinando Carulli, Manuel de Falla, Joaquin Rodrigo, Robert Nicolas Charles Bochsa, Francois-Adrien Boieldieu, Elias Parish-Alvars und, für viele bestimmt überraschend, Niccolò Paganini, der genauso gut Gitarre wie Geige spielte und sehr viel Gitarrenmusik komponiert hat.

Ein Einschub:

Wieso bloß sagt man Solokonzert und Solosonate? Ja, wirklich verwirrend. Denn nur eine Solosonate stellt das dar, was man auf den ersten Blick vermutet: Ein Instrument spielt ohne jegliche Begleitung, also solo.

Ein Solokonzert ist jedoch im Grunde das genaue Gegenteil. Denn dabei handelt es sich um die Besetzung Orchester plus Einzelinstrument. Der einzelne Geiger oder Flötist oder Pianist steht oder sitzt vor dem Orchester und musiziert mit ihm im Dialog. Und weil dieses Instrument eben eines ist und dem großen Orchester aus vielen Instrumenten gegenüber steht, hat sich für diese Form der Name Solokonzert oder einfach nur Konzert für Klavier (oder Violine oder Flöte) eingebürgert. Nicht alles, was sich im Sprachgebrauch durchsetzt, ist auch logisch.

Interessantes passiert auch auf dem Gebiet der Kammermusik.

Die schlichteste Version neben der Solosonate ist da das Duo. Sehr häufig finden sich jeweils ein Melodieinstrument und ein Harmonieinstrument zusammen, und so entstehen die Besetzungen Flöte und Klavier, oder Flöte und Harfe, oder Flöte und Gitarre. Immer noch sind die Flötisten dieser Zeit durch mangelnde Technik und Intonation der Flöten vor der böhmschen Revolution im Vergleich zu Streichern deutlich im Nachteil. Trotzdem schrieben auch damals schon einige Komponisten für uns Flötisten.

Vor allem ist da Friedrich Kuhlau zu nennen. Er erschuf wie kein anderer im anbrechenden 19. Jahrhundert sehr viel und zugleich hochwertige Musik. Sowohl für Flöte allein, als auch für Flöte und Klavier hat er Fantasien komponiert voll recht kühner harmonischer Verläufe, interessantem Aufbau und freier Tempogestaltung. Und obwohl Kuhlau selbst kein Flötist war, muss er das Instrument ausgezeichnet gekannt haben. Seine Musik lässt sich gut spielen und ist für uns Flötisten ein echter Dauerbrenner. Neben den oben genannten Werken hat er ein Quartett für 4 Flöten, neun Trios für 3 Flöten, unzählige Duos für 2 Flöten und drei Quintette für Flöte, Violine, 2 Violen und Violoncello hinterlassen. Dabei handelt es sich keinesfalls um Liebhabermusik, sondern um musikalisch und v.a. auch technisch sehr anspruchsvolle Werke.

Hier geht es zum Flöten-Blog auf der Kulturplattform „Der Leiermann“

Zu finden sind Komponisten-Biografien, Werkbeschreibungen und andere interessante Dinge, die das Flötistinnen- und Flötistenherz höher schlagen lassen.

Da Kuhlau außerhalb der Flötenwelt eher unbekannt ist – wie schade – hier ein kleiner Exkurs:

Friedrich Kuhlau lebte von 1786 bis 1832. Er wurde in der niedersächsischen Hansestadt Uelzen geboren, die alle zwei Jahre den internationalen Kuhlau-Wettbewerb für Nachwuchsflötisten ausrichtet. Als Kind verlor er bei einem Unfall das rechte Auge. 1802 zog die Familie nach Hamburg und 1810 floh der 24-jährige Friedrich vor Napoleons Truppen nach Kopenhagen. Dort fühlte er sich so wohl, dass er den Rest seines Lebens bleiben wird.

Kuhlau war Zeitgenosse von Beethoven, Weber, Schubert, Rossini, Caspar David Friedrich, Corot, Schinkel, Christian Daniel Rauch, Goya, Canova, Schiller und Goethe. Seine Musik bewegt sich zwischen Klassik und Romantik. In der Literatur wird er gerne als „Beethoven der Flöte“ bezeichnet, um die Bedeutung seiner Kompositionen für dieses Instrument hervorzuheben. Seine Werke für Flöte waren sehr erfolgreich und die gut verkäufliche Musik wurde bei mehreren Verlegern veröffentlicht. Selbst spielte Kuhlau hauptsächlich Klavier und komponierte auch viel für dieses Instrument. Theobald Böhm (s.u.) wählte 1832 übrigens eine Solofantasie Kuhlaus, um seine neue Flöte vorzustellen.

In Dänemark erlangte Kuhlau v.a. mit seinen Opern Ruhm, vom König wird er mit dem Professorentitel geehrt und verfasst mit dem Singspiel Elfenhügel die erste dänische Nationalmusik, die den Komponisten in unserem Nachbarland unsterblich gemacht hat. Dieses Werk zählt noch heute mit mehr als 1000 Aufführungen zu den erfolgreichsten Stücken des königlichen Theaters in Kopenhagen.

Nun entwickelte sich die neue Form des „Thème varié“:

Bekannte Melodien aus Lied- und Opernrepertoire wurden von vielen Komponisten mit virtuosem Glanz und Klavier-, Harfen- oder Gitarrenbegleitung sozusagen „wiederverwendet“. Doppler, Fürstenau, Toulu, Drouet, Walckiers, Diabelli, Carulli, Giuliani und der große englische Flötist Charles Nicholson, der Theobald Böhm mit seinem großen Ton und seiner verblüffenden Technik zum Nachdenken und „Erfinden“ brachte, waren Meister des Genres. Diese neue Form der Literatur bot sich an, um alle Möglichkeiten des Instrumentes auszuloten und gleichzeitig die Virtuosität des Spielers ins rechte Licht zu rücken. Häufig waren jene Komponisten selbst Flötisten und wussten deshalb genau um die fingertechnischen Möglichkeiten. Das Publikum mochte diese leicht verständliche Art des Musizierens.

Zu dieser Zeit stand jedoch für die „Großen“ unter den Komponisten immer noch das „Problem Querflöte“ im Vordergrund. Die Intonation der damaligen Instrumente war äußerst problematisch und mehr als eine mittlere Lautstärke konnte nach wie vor nicht erzeugt werden. Außerdem, und das ist mindestens genauso wichtig, war der Tonumfang recht bescheiden; und eine uneingeschränkte Modulation durch alle Tonarten war auf Grund der spieltechnischen Ungleichberechtigung mancher Töne auch nicht möglich.

Beethoven hat eine Serenade komponiert für Flöte, Violine und Viola,

Haydn die Londoner Trios für 2 Flöten und Violoncello; die Flötisten-Komponisten Gabrielski und Kummer schrieben Konzerte und Kammermusik, Louis Spohr hinterließ das einzigartige Nonett op.31 und weitere Kammermusik für Flöte und Harfe. Außerdem komponierten Carl Maria von Weber das Trio in g-moll op.63 (mit dem besonders schönen langsamen Satz „Schäfers Klage“) und Felix Mendelssohn-Bartholdy im weiteren Verlauf sein Trio d-moll op.49 für Flöte, Violoncello und Klavier. Ist für andere Instrumentalisten, v.a. für Streicher, die Zeit der Klassik ein wahres Literaturparadies, so sieht das für Flötisten ganz anders aus – unsere Liste ist eher kurz zu nennen.

Auf ein Werk allerdings, das alle Raster und Schubladen sprengt, muss unbedingt hingewiesen werden: Franz Schubert (1797-1828) hat 1824 über das Lied Trockene Blumen aus seinem eigenen Liederzyklus Die schöne Müllerin Variationen für Flöte und Klavier geschrieben. Dieses Werk ist für seine Zeit äußerst ungewöhnlich. Es stellt echte Duo-Literatur dar, denn das Klavier beschränkt sich nicht auf die Begleitfunktion, wie das sonst so oft der Fall ist. Eine Kaskade an Tönen und Gefühlen durchbricht das eigentlich noch klassische Gefüge und wendet sich entschieden der Frühromantik zu – in dieser Zeit für uns ein Einzelfall, leider.

Doch dann, dann kam Theobald Böhm.

Er erfand endlich das, was die Flötenmusik befreien wird. Alle Töne können nun – fast – gleichermaßen gut gegriffen werden, die Lautstärke ist wesentlich verändert, der Klang voller und alle Töne vom c 1 bis mindestens zum g 3 gut spielbar. Zuerst gehörten vor allem französische Flötisten zu den Vorreitern, und dementsprechend waren auch Komponisten in Frankreich die ersten, die für die neue Flöte, die Böhmflöte, komponiert haben. Nun füllt sich unser Notenschrank in einem noch nie dagewesenen Tempo. Und der Großteil der Flötenliteratur ist kaum mehr von Laien zu bewältigen, so sehr hat sich der technische Anspruch an den Spieler gewandelt.

Einerseits entstehen zunächst kammermusikalische Werke und andererseits ist die Flöte plötzlich auch häufig Hauptdarsteller im Orchester. Eindeutig sind wir längst in der Romantik angekommen. Berlioz, Fauré, Taffanel, Debussy, Bonis, Chaminade, etwas später Pierné, d’Indy, Roussel, Ravel – in Deutschland Brahms, Schumann, Reinecke, Blumer, Juon und Rheinsberger – komponieren Klangvolles, Klangschönes, Volltöniges, ja wirklich Flötistisches in Orchester – und Sololiteratur. Einzig die Gattung „Flöte allein“ hat (noch) nichts Neues zu bieten. Im Grunde verwundert das jedoch nicht, denn diese Epoche des Überschwanges, des Ausprobierens, ja des Überflusses und des Fortschrittes favorisierte immer größere Besetzungen, immer neue, vollere und üppige Klänge. Aber auch das wird sich bald ändern.

Aus welchen Gründen auch immer

stellt sich die Flöte nämlich nach Beginn des 20. Jahrhunderts als ideales Instrument zum Erobern neuer Klänge, auch Tonerzeugungen und Strukturen heraus. Nachdem die Besetzung „Flöte allein“ wie oben erwähnt sehr lange stiefmütterlich behandelt wurde, beginnt nun ein ungeahnter Siegeszug. Aus der Taufe hebt Claude Debussy (1862-1918) die Gattung erneut im Jahre 1913 mit seinem höchst impressionistischen Werk Syrinx. In dieser „vollkommenen Schöpfung allerkleinster Dimension“ (Gustav Scheck) wurde eine der bekanntesten und am häufigsten dargestellten Metamorphosen der Antike vertont – die Nymphe Syrinx verwandelt sich auf der Flucht vor dem Hirtengott Pan aus Angst in ein Schilfrohr. Jener Pan setzt aus diesem Schilf eine Flöte zusammen und entlockt dem so neu entstandenen Instrument sehnsuchtsvolle Töne.

Und plötzlich sind die Komponisten nicht mehr aufzuhalten, überall entsteht Musik für eine Flöte allein. In ganz Frankreich wenden sich Ibert, Bozza, Jolivet, Kœchlin, Ferroud, Rivier und Varèse der Flöte zu. In Deutschland setzt Karg-Elert den expressionistischen Gegenpol zu Syrinx mit seiner Sonata appassionata, und Paul Hindemith komponiert etwas später 8 Stücke; in der Schweiz schreiben Arthur Honegger den Danse de la chêvre und Willy Burkhard die Suite op.98. Alles ist möglich, die Grenzen der Tonalität werden ausgelotet, das Ausdrucksspektrum erweitert, und die Vortragszeichen häufen sich, um den Spieler in der Agogik zu unterstützen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Tradition des quasi-mehrstimmigen Solostückes seit der frühen Barockzeit durch dieses Genre

und wird nun bis zur Höchstschwierigkeit getrieben. Verstärkt erscheint die Flöte auch wieder in ihrer natürlich nun überhöhten, ursprünglichen Form des volkstümlichen Instrumentes der Hirten und Schäfer. Mit Literatur für Soloflöte könnten wir Flötisten viele Konzertabende füllen ohne uns zu wiederholen.

Vor allem anfangs des 20. Jahrhunderts greifen Komponisten gerne wieder auf die schon ganz zu Beginn genannte religiös-mystische Seite der Flöte und auf die zu dieser Zeit große Begeisterung für das Exotische und Fremdländische zurück. De Lorenzo, Roussel, Delaney, Hahn, Ganne, Glass, Enescu, Jolivet, Nielsen, Dohnányi, Mouquet, Bartok, Gál, Fukushima und noch viele andere komponieren und komponieren.

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Mit Debussy ist für uns Flötisten nicht nur durch Syrinx eine neue Welt entstanden.

Seine große Sonate für Flöte, Viola und Harfe hat eine ganze Generation Komponisten inspiriert, für diese bis dahin unbekannte, so wunderbare Besetzung zu schreiben. Vermutlich war es der beinahe schon orchestral zu nennende Klang, der das zustande brachte.

Noch begeisterter wurde die Quintett-Besetzung Flöte/Streichtrio/Harfe mit Literatur bedacht. Jean Cras, André Jolivet, Alber Roussel, Leo Smit, Charles Kœchlin, Vincent d’Indy, Florent Schmitt, Manuel de Falla, Alexandre Tansman, Arthur Honegger, Jaques Ibert, Jean-Yves Daniel-Lesur; sie alle haben für das 1922 gegründete Quintette instrumental de Paris komponiert, ihre Musik wurde begeistert aufgenommen und war häufig zu hören. Wie schade, dass man diese große Anzahl herrlicher Werke nur noch so selten auf die Bühne bringt. Warum eigentlich? Leider ist das leicht zu erklären. Der Aufwand ist zu groß, vielleicht auch die Gage zu hoch für fünf Kammermusiker statt für zwei oder drei.

Nach Debussy

entstand dann sehr unterschiedliche Musik für Flöte; die dabei am häufigsten anzutreffende Besetzung ist vermutlich das Klavierduo, also Flöte und Klavier. In Frankreich selbst komponierten Milhaud, Gaubert, Dutilleux, Ibert, Françaix, Lili Boulanger und allen voran Poulenc Werke von großer Klarheit und schwebender Leichtigkeit. Poulencs Sonate gehört mit zum Schönsten, was jemals für Flöte komponiert wurde.

Und die hochimpressionistische französische Flötenmusik, die immer wieder wie die „Muttersprache“ unseres Instrumentes erscheint, wird bereichert durch großartige Duomusik der Komponisten anderer Länder, darunter Hindemith, Reger, Juon, Genzmer, Schulhoff, Martin, Nielsen, Martinů und Prokofjev. Ganz deutlich ist zu bemerken, dass das „neue“ Instrument Theobald Böhms enorme Kräfte freigesetzt hat – bei Komponisten und Musikern. Die großen Flötensonaten stehen nun in einer Reihe mit denen anderer Instrumente. Eine kleine Kuriosität am Rande: Prokofjevs herrliche, weitausgreifende Flötensonate op.94 wurde vom Komponisten selbst auf Wunsch David Oistrachs für Violine und Klavier bearbeitet. In den vergangenen Jahrhunderten ist der Weg immer umgekehrt gewesen.

 

Die „großen“ Sonaten für Flöte und Klavier nach 1800, von wem stammen sie?

So eine Aufzählung kann natürlich nur subjektiv sein. Aber meine Liste ist diese:

Friedrich Kuhlau: Sonaten e-moll und a-moll (1826/27)

Carl Reinecke: Undine – Sonate op.167 (1882)

Mel Bonis: Sonate cis-moll op. 64 (1904)

Charles Kœchlin: Sonata (1911/1913)

Philippe Gaubert: 1. Sonate für Flöte und Klavier (1917)

Sigfrid Karg-Elert: Sonate B-Dur op.121 (1918)

Paul Hindemith: Sonate (1936)

Bohuslav Martinů: Sonate für Flöte und Klavier (1937)

Heinrich Caspar Schmid: Sonate (1939)

Sergej Prokofjev: Sonate op.94 (1943)

Henri Dutilleux: Sonatine für Flöte und Klavier (1943)

Leo Smit: Sonate voor fluit en klavier (1943)

Claude Arrieu: Sonatine (1946)

Pierre Boulez: Sonatine op.1 (1946)

Francis Poulenc: Sonate (1957)

Salvador Brotons: Sonate op.21 (1979)

Lowell Liebermann: Sonate für Flöte und Klavier op.23 (1987)

Daniel Dorff: Sonata (Three Lakes) (2014)

Natürlich ist diese Form und auch die Besetzung willkürlich gewählt

und vernachlässigt somit wunderbares Standardrepertoire jenseits der Sonaten wie Faurés Fantasie, Karg-Elerts Sinfonische Kanzone und Martins Ballade für dieselbe Besetzung; oder eben die außerordentliche Sonate von Debussy für Flöte, Viola und Harfe, Piazzollas Histoire du Tango für Flöte und Gitarre, Martinůs Klaviertrios in unterschiedlichen Besetzungen oder Regers Serenaden für Flöte, Violine und Viola. Die Anzahl großartiger Literatur für Flöte ist in diesem Jahrhundert dermaßen gewachsen, dass eine Auswahl schwer fällt und subjektiv sein muss, auch wenn die erwähnten Werke herausragen.

Hier möchte ich meinen Spaziergang durch die Welt der Musik beenden,

längst sind wir in der Moderne angekommen. Zu unübersichtlich, zu weitläufig, zu unterschiedlich ist die Musik seit den 1950er-Jahren, um sie noch in wenigen Sätzen beschreiben und in eine Beziehung zueinander setzen zu können. Neue Spieltechniken wurden entwickelt und auch im Flötenbau tut sich nach wie vor einiges. Vor allen anderen ist da die Niederländerin Eva Kingma zu nennen. Sie versucht es u.a. möglich zu machen, auf der Flöte Vierteltöne zu spielen.

Und selbstverständlich wird für unser Instrument weiter komponiert. Dabei werden auch neue, spannende Kombinationen ausprobiert, z. B. entsteht Musik für Flöte und Akkordeon, oder Flöte und Schlagwerk. Stockhausen, Bernstein, Berio, Yun, Gubaidulina, Fukushima – alle haben sie gerne Flötenmusik geschrieben. Und auch die heute jungen Komponisten komponieren für uns.

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Verwendete Literatur:

Fabian, Sarah-Denise: Faszination Hofmusik, Schwetzingen 2019
Glüxam, Dagmar: Artikel „Mannheimer Schule“ im Österreichischen Musiklexikon, oeml 2020
Holmes Schaefle, Melody: Flute pedagogy of the eightteenth and nineteenth centuries, San José 1989
Pelker, Bärbel: Die kurpfälzische Hofmusik in Mannheim und Schwetzingen, Schwetzingen, 2012
Pešek, Ursula und Željko: Flötenmusik aus drei Jahrhunderten, Kassel 1990
Ragge, Peter W.: Mozarts Mannheimer Tage, Mannheim 2016
Schick, Hartmut: Hat Franz-Xaver Richter das Streichquartett erfunden?, Stuttgart 2009
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