Fossa Carolina

 

von Elisabeth Schinagl

Ein mittelalterliches Großprojekt und ein nahezu unbekannter Heiliger

 

Schwalben sausen über die ruhige Wasserfläche eines aufgestauten Weihers, Libellen tanzen in der Luft. Im Schatten hoher Bäume wandern wir auf einem Damm und blicken hinunter auf die unbeweglich daliegende Wasserfläche eines alten Kanals. Ab und zu flattert ein Vogel auf und einmal meine ich, kurz den braunen Körper eines Tiers zu sehen, das für einen Moment aus dem Wasser auftaucht, um sich gleich im Ufergebüsch zu verstecken. Ein Biber?

Kaum vorstellbar, dass hier einst eine riesige Baustelle war

 

Es bedarf schon einiger Phantasie, um sich vorzustellen, dass hier, wo ich gemütlich in der Stille eines Sommertags vor mich hin schlendere, vor über tausend Jahren eine riesige Baustelle mit Hunderten, vielleicht Tausenden von Arbeitern war. Aber das Dorf Graben bei Treuchtlingen in Mittelfranken verdankt seinen Namen in der Tat einem frühmittelalterlichen Großprojekt, dessen Spuren immer noch deutlich sichtbar sind. Sie liegen mir buchstäblich zu Füßen. Und während wenige hundert Meter entfernt ein ICE seinem Ziel entgegen braust, reise ich in Gedanken zurück ins Jahr 793 und zu Karl d. Großen.

© Elisabeth Schinagl

Den Beinamen trug er damals freilich noch nicht, den hat ihm erst die Nachwelt verliehen. Im Jahr 793 ist Karl zwar bereits sehr mächtig, aber noch längst nicht am Ziel seiner Herrschaftspolitik angelangt. Noch gibt es Widersacher und Gegner, die seine Macht gefährden könnten. Im Herbst dieses Jahres reist der König des Frankenreichs von Regensburg an die Altmühl.  Bis vor wenigen Jahren war die Stadt noch Hauptstadt des Herzogtums Baiern, das nun, nach der Absetzung des letzten Herzogs Tasillo, Teil seines Imperiums ist.

Die vorangegangenen Monate dürften strapaziös und unerfreulich gewesen sein. In Regensburg hatte er eine Reichsversammlung und ein Konzil abgehalten und wieder einmal Kriegsvorbereitungen getroffen. Ein weiterer Kriegszug gegen die Awaren steht bevor. Die Tapferkeit und Gewandtheit ihrer Reiter sind weithin bekannt und gefürchtet. Ihr Herrschaftsgebiet ist riesig. Es umfasst das Gebiet des heutigen Ungarn, Österreichs, Tschechiens, der heutige Slowakei, Sloweniens sowie Teile von Polen, Rumänien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Bulgarien.

Altweibersommer

ein Buch der Leiermann-Autorinnen und -Autoren

Mit Texten zu einer besonderen Zeit.

 

Sommerfrische –

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Über 200 Jahre lang sind die Awaren damit der wichtigste Machtfaktor zwischen dem Fränkischen und dem Byzantinischen Reich. Mächtige, kriegserfahrene Gegner also und der Feldzug gegen sie ist auch für den kampferprobten und fast immer siegreichen Karl durchaus eine Herausforderung. Karls Biograph Einhard bezeichnet den Krieg gegen die Awaren abgesehen vom Sachsenkrieg tatsächlich als den größten, den Karl jemals führte. Er betont auch, dass in diesem Krieg eine bessere Ausrüstung als in den sonstigen Auseinandersetzungen eingesetzt wurde.

Aber nicht nur von den Awaren droht Gefahr. Auch die politischen Verhältnisse in Baiern sind wohl nicht so stabil, wie sich der Herrscher das wünschen würde. Fünf Jahre nach der Entmachtung Tassilos, des letzten bairischen Herzogs, den Karl ebenso wie alle seine Familienangehörigen ins Kloster verbannen ließ, gibt es wohl immer noch einige, die dem letzten Vertreter aus dem Geschlecht der Agilolfinger nachtrauern.

© Elisabeth Schinagl

Zu allem Überfluss kommt es auch noch zu einem innenpolitischen und innerfamiliären Konflikt: Karls unehelicher Sohn Pippin hat gemeinsam mit einigen fränkischen Edlen in Regensburg ein Attentat auf seinen Vater geplant. Die Verschwörung wird zwar aufgedeckt und die Rädelsführer bestraft, aber ganz auf die leichte Schulter dürfte Karl die Vorkommnisse sicher nicht genommen haben.

Ein gewagtes Projekt gerät zum Desaster

Nun, im Herbst 793, reist er also an die Altmühl, um eine Großbaustelle zu besichtigen, ein Prestigeprojekt, das in naher Zukunft eine höchst bedeutsame Infrastrukturmaßnahme darstellen soll: ein Verbindungskanal zwischen der fränkischen Rezat und der Altmühl. Mit diesem kurzen Kanalstück an der europäischen Wasserscheide – die beiden Flüsse nähern sich hier bis auf 1800 Meter an – würde es gelingen, eine durchgehende Wasserstraße zwischen Rhein und Donau zu schaffen. Bislang ist die Strecke zwischen den beiden kleinen Flüssen Rezat und Altmühl  eine Art Nadelöhr. Mühsam müssen hier die vom Main kommenden Lasten  auf Fuhrwerke umgeladen und auf dem wesentlich beschwerlicheren Landweg bis zur Altmühl transportiert werden.

Gleiches gilt natürlich umgekehrt auch für die Waren aus dem Donauraum.  Mit dem Kanalprojekt würde es aber nicht nur gelingen, die Handelsrouten effizienter zu gestalten, nein, man könnte damit auch die Truppenversorgung etwa im bevorstehenden Feldzug gegen die Awaren besser gewährleisten. Den ganzen Herbst über, so die Lorscher Annalen, lässt Karl auf die Arbeit verwenden. Man hat eine riesige Schar Arbeiter hier zusammengezogen. Wie viele genau, verraten die Quellen nicht.  Historiker vermuten, es könnten bis zu 6000 Mann gewesen sein. In Schwerstarbeit legen sie einen Graben von 2000 Schritt Länge und 300 Fuß Breite an. Das entspricht einer Länge von drei Kilometern und einer Breite von 450 Metern.

Zumindest mit den Vorarbeiten wie dem Fällen der Bäume für die Uferbefestigung hatte man bereits ein Jahr zuvor begonnen und auch die Grabungsarbeiten selbst dürften über das Frühjahr und den Sommer 793 bereits recht weit vorangekommen sein. Doch nun, im Herbst, gerät die Arbeit ins Stocken. Was tagsüber von den Arbeitern an Erdreich ausgegraben wurde, rutschte nachts infolge heftiger Regengüsse und weil das Erdreich sumpfig war, wieder zurück, heißt es in den Annalen. Was hier so lapidar berichtet wird, dürfte für den erfolgsverwöhnten Karl ein ziemliches Desaster gewesen sein.

© Elisabeth Schinagl

Eine folgenreiche Begegnung

Vielleicht ist das drohende Scheitern des ehrgeizigen Projekts zumindest mit ein Grund, weshalb sich der mächtige Mann während seines Aufenthalts an der Großbaustelle ein paar Kilometer altmühlabwärts auf den Weg in die kleine Handwerkersiedlung Husen macht, um dort einen Mann namens Sola aufzusuchen. Der, ein gebürtiger Angelsachse, war im Gefolge des Missionars Bonifatius nach Franken gekommen. Seine Priesterweihe hat Sola im Kloster Fulda erhalten, sich dann aber, wie in seiner Vita berichtet wird, in die „Einöde“, eben nach Husen an der Altmühl zurückgezogen, um dort seelsorgerisch tätig zu sein. Offenbar hat er dort auf den Ruinen einer älteren Kirche eine neue, größere angelegt.

Gut vierzig Jahre lebt Sola schon an diesem Ort, als ihn Karl dort aufsucht. Der macht ihn in Würdigung seiner Taten zum orator perpetuus, also zu seinem ständigen Priester, mit der Bedingung, für ihn, den Herrscher, zu beten.  Gleichzeitig schenkt Karl ihm das Land um die Kirche herum. Weder die Annalen noch  Einhard berichten von diesem Treffen. Es war wohl für beide zu unwichtig. Lediglich in der Heiligenvita Solas ist das Ereignis vermerkt. Erhoffte sich Karl durch seinen neu ernannten Orator auch göttlichen Beistand für das gewagte Kanalprojekt? Die Quellen sagen dazu nichts, aber ich halte es für durchaus denkbar. Lange kann Sola das neue Amt im Dienst des Herrschers allerdings nicht ausüben. Er stirbt bereits im Jahr darauf.

Als Karl stirbt, ist er Kaiser des Römischen Reichs und der mächtigste Mann Europas. Doch sein ehrgeiziges Kanalprojekt bleibt unvollendet und gerät für sehr lange Zeit in Vergessenheit. Tatsächlich realisiert wurde seine Vision einer Wasserstraße zwischen Main und Donau erst im 19. Jahrhundert mit dem sogenannten Ludwigskanal.

© Elisabeth Schinagl

Die Schenkung an Sola wirkt jedoch weiter. Der Mönch vermachte seinen Besitz testamentarisch dem Kloster Fulda und aus der einstigen  Eremitenklause entwickelt sich in der Folgezeit ein Kloster mit einer neuen, größeren und repräsentativeren Kirche. Sola wird heilig gesprochen, erlangt jedoch kaum überregionale Bekanntheit. Die einstige Siedlung Husen bewahrt aber ihm in der Änderung ihres Namens in „Solnhofen“ bis heute eine bleibende Erinnerung.

 

Elisabeth Schinagl ist hauptberuflich als Autorin tätig.

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Verwendete Literatur

Annales regni Francorum (MGH SS rer. Germ. 6)

Einhard, Vita Karoli Magni. Leben Karls d. Gr.

Ermanrici Sermo de vita Sualonis dicto Soli

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