Giovanni Domenico Barbieri
von Elisabeth Schinagl
Giovanni Domenico Barbieri
Graubündner Barockbaumeister – Gastarbeiter im Dienst der Schönheit
Roveredo, 14. Januar 1704. In dem kleinen Ort, der zum italienschsprachigen Teil Graubündens gehört, wird Giovanni Domenico als drittes von zehn Kindern der Eheleute Bartolomeo und Eufemia Barbieri geboren.
Wieder ein Esser mehr in der Familie. Der Vater ist als Kaufmann nicht sonderlich erfolgreich, er kann die Familie kaum ernähren. Schon früh müssen die Kinder zum kargen Broterwerb beitragen.
Der junge Domenico wird so bald wie möglich als Viehhirte eingespannt. Bis weit in den Oktober hinein ist er barfuß mit dem Vieh in den Bergen unterwegs und leidet wegen der großen Kälte häufig an heftigsten Bauchschmerzen. Die Schule bei den Kapuzinerpatres kann der intelligente Junge nur vom Spätherbst bis ins Frühjahr besuchen. Ein Glück nur, dass ihm der Großvater zusätzlich noch einiges beibringen kann.
Eigentlich wäre der Junge für eine höhere Schulbildung begabt, aber die finanziellen Umstände der Familie lassen es nicht zu. Der Vater benötigt seine Arbeitskraft. Schließlich bestimmt er, dass sein Sohn das Maurerhandwerk erlernen soll.
Eine folgenschwere Entscheidung, denn sie bedeutet für den Jungen, dass er seine Heimat verlassen muss.
Dem armen Graubündner Tal entstammten seit Generationen viele berühmte Baumeister und Architekten, die in der Fremde, in Bayern, in Österreich, ja sogar in Polen ihr Glück machen: Männer wie Giovanni Antonio Viscardi, der u. a. die Wallfahrtskirche Mariahilf im bayerischen Freystadt baute, oder Enrico Zuccalli, Vollender der Münchner Theatinerkirche und Erbauer von Schloss Nymphenburg, oder der in Wien, Ansbach und Eichstätt wirkende Gabriel de Gabrieli.

In Gruppen ziehen die Graubündner Bauleute über den San Bernardino dorthin, wo ihre Arbeitskraft und ihr Können gefragt sind.
Einige, darunter auch Barbieri, gelangen so ins kleine Fürstbistum Eichstätt. Zehn Tage dauert der Fußmarsch aus dem Misoxtal über den San Bernadino in die Stadt an der Altmühl, in die Fremde. Der 16-jährige Barbieri spricht kein Wort Deutsch, als er am 6. Februar 1720 dort ankommt. Auf seiner ersten Baustelle ist er der einzige der sogenannten welschen Bauleute. Er fühlt sich einsam und verzweifelt, oft plagt ihn Heimweh, doch eine Rückkehr in seine Heimat scheitert am Geld. Was immer er erübrigen kann, schickt er nach Hause, um die Familie so gut es geht zu unterstützen.
Trotz aller widriger Umstände lässt er sich nicht unterkriegen. Er begreift, dass er lernen muss, wenn er vorankommen will, und bringt sich selbst die fremde Sprache bei, indem er Wörter aus Büchern abschreibt.
Der junge Mann ist offenbar tüchtig und zuverlässig. Schon in seinem zweiten Lehrjahr vertraut man ihm deshalb die Aufsicht über einigeArbeiter an. Im Lauf der Jahre wird er schließlich der engste Vertraute des berühmten Hofbaumeisters Gabriel de Gabrieli und dessen „rechte Hand“.
Gabrielis Sohn Wilhelm, an der Ruhr erkrankt, stirbt in den Armen des jungen Barbieri, einige Jahre später – am 21. März 1747 – dann auch Gabrieli selbst. Barbieri kümmert sich um dessen Nachlass und die Ausführung seines Grabmonuments, das noch heute auf dem Eichstätter Friedhof zu sehen ist.
Auch wenn viele seiner Bauten Eichstätt und seine Umgebung heute noch optisch prägen, kann sich Barbieri mit der Berühmtheit vieler seiner Landsleute nicht messen, er gehört sicher nicht zu den ganz Großen der Architekturgeschichte.
Aber er hat den berühmten Meistern etwas voraus, was ihn für uns interessant macht: Barbieri hat eine Art Tagebuch hinterlassen, das uns sehr genaue Einblicke in sein Leben gewährt. Beginnend mit seiner Ankunft in Eichstätt lässt er uns somit über vier Jahrzehnte, von 1720 bis 1763, an seinem Leben teilhaben.

Seine Aufzeichnungen geben uns Auskunft darüber, wie ein Hofmaurermeister des 18. Jahrhunderts in einem kleinen Fürstbistum wie Eichstätt lebte, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hatte, über welches Einkommen er verfügte, wofür er Geld ausgab. Sie bieten damit in einer Zeit, in der der Adel gesellschaftlich tonangebend ist, einen äußerst selten Blick in das Leben eines einfachen Mannes.
Barbieris Leben ist geprägt vom Konkurrenzkampf zwischen den Bauleuten, von Hungersnot, Krankheiten und Kriegswirren.
Er heiratet zwar eine Frau aus seiner Graubündern Heimat, doch ist die Familie meist getrennt. Allenfalls in den Wintermonaten, wenn die Baustellen ruhen, kann er in die Heimat reisen. Kriegsbedingt kommt er zeitweise über viele Jahre nicht nach Hause, obwohl ihn ein Leben lang die Sehnsucht nach seiner Graubündner Heimat quält.
Nicht einmal seine letzte Ruhestätte ist ihm daheim vergönnt: Er stirbt 1764 im Alter von 60 Jahren in Eichstätt und ist auch dort beerdigt.
Sein Grabmal zeigt ein Bildnis der Baukunst, der Barbieri sein Leben lang gedient hat.