Hesse – Gedichte

von Thomas Stiegler

Heute möchte ich ein wenig über das lyrische Werk Hesses sprechen.

Ich muß aber vorab gestehen, dass ich kein Liebhaber von Gedichten bin. Ich gehe zwar nicht so weit wie Ch. Bukowski, der einmal sagte: „Die meisten Bücher sagen zu wenig aus mit zu vielen Worten. Und die meisten Gedichte sagen zu viel aus mit zu wenigen Worten.“

Aber es stimmt, dass ich mit Poesie meist überfordert bin und mich dann schnell langweile. Es ist die gedrängte Sprache und die Dichte der Bilder und Gefühle, die sie transportieren, die mir als Liebhaber weitschweifiger Prosa das Gefühl geben, dass hier zu viel in zu kurze Zeit gedrängt wird.

Aber da ich Hermann Hesse liebe, und er sich ein Leben lang als Lyriker empfand, will ich heute einen kurzen Blick auf diesen Teil seines Schaffens werfen.

Denn einige seiner Gedichte berühren mich tief und ich würde sie gerne mit euch teilen.

Und ich kann euch nur ans Herz legen, eine Gesamtausgabe seiner Gedichte zu kaufen und immer wieder darin zu blättern. Zu blättern, bis ihr auf eines stoßt, das zu euch spricht. Dann bleibt stehen, verweilt ein wenig und lernt einen der reinsten Dichter des 20. Jahrhunderts kennen.

Wohl das bekannteste Gedicht Hesses ist „Im Nebel“

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Ein weiteres Gedich, das mich sehr berührt, ist „Ravenna“. Es entstand auf seiner ersten Fußreise durch Italien, dem Land, das er so sehr liebte.

Es war noch die Zeit der staubigen Landstraßen, ohne Massentourismus und allen Annehmlichkeiten, die wir heute zu brauchen scheinen. Dafür war sie um so vieles lebendiger als heute.

Die Menschen verbrachten ihre Zeit auf der Straße, im Gespräch mit Nachbarn oder Fremden, die durch ihr Dorf zogen. Schmutzige Kinder liefen lachend an der Seite wilder Hunde durch die Welt und ein ganzes Volk beschäftigte sich in erster Linie mit Singen, Lachen und ihren kleinen Liebschaften.

Italien war noch das Land wie Goethe es beschrieb, oder Stendhal und Casanova. Ein Land voller Musik, voll mit überschäumenden Menschen und Gefühlen und einer Lebendigkeit, die es heute nicht mehr gibt.

Mehr dazu gibt es in meinem Buch „Literaturgeschichten“.

Ein Buch, das einen alternativen Weg zur Literatur aufzeigt, einen Weg der direkten Berührung durch Texte und der sehr persönlichen Reaktion darauf.

Ein Buch voll mit Geschichten, die sie forttragen werden in eine andere Welt, die sie berühren werden, zum Nachdenken bringen, ihnen ein Leben abseits des Gewöhnlichen zeigen und dadurch ihr Leben bereichern.

Ravenna

Ich bin auch in Ravenna gewesen
Ist eine kleine tote Stadt;
Die Kirchen und viele Ruinen hat,
Man kann davon in den Büchern lesen.

Du gehst hindurch und schaust dich um,
Die Straßen sind so trüb und nass
Und sind so tausendjährig stumm
Und überall wächst Moos und Gras.

Das ist wie alte Lieder sind.
Man hört sie an und keiner lacht
Und jeder lauscht und jeder sinnt
Hernach daran bis in die Nacht.

Die Frauen von Ravenna tragen
Mit tiefem Blick und zarter Geste
In sich ein Wissen von den Tagen
Der alten Stadt und ihrer Feste.

Die Frauen von Ravenna weinen
Wie stille Kinder: tief und leise.
Und wenn sie lachen, will es scheinen
Zu trübem Text die helle Weise.

Die Frauen von Ravenna beten
Wie Kinder: sanft und voll Genügen.
Sie können Liebesworte reden
Und selbst nicht wissen, dass sie lügen.

Die Frauen von Ravenna küssen
Seltsam und tief und hingegeben.
Und ihnen allen ist vom Leben
Nichts kund, als dass wir sterben müssen.

Mich berühren die Zeilen: „Das ist wie alte Lieder sind, man hört sie an und keiner lacht, und jeder lauscht und jeder sinnt hernach daran bis in die Nacht.“

Kennt ihr das auch? Dieses elend lange nachdenken, dieses sinnieren und das Erlebte immer wieder durchkauen. Alleine. In der Nacht.

Diese fürchterliche Einsamkeit, die einem das Herz zerreißt.

Aber auch den Zauber und die Schönheit dieser Momente. Die ganze Welt ruht und nichts rührt sich, außer euer Blut. Ihr liegt alleine im Bett und durchlebt alles immer und immer wieder, nur intensiver und schöner als je zuvor, weil ihr euch nur an die Essenz des Erlebten erinnert.

Und auch, wenn es schmerzt, auch, wenn es weh tut und brennt, auf jeden Fall ist es Leben, das ihr spürt.

Oder, um es in Hesses Worten zu sagen, um so vieles schöner als ich es jemals könnte:

Kennst Du das auch?

Kennst Du das auch, daß manchesmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehn mußt?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt – Kennst du das auch?

Und noch eines seiner letzten Gedichte:

Knarren eines geknickten Astes

Splittrig geknickter Ast,
Hangend schon Jahr um Jahr,
Trocken knarrt er im Wind sein Lied,
Ohne Laub, ohne Rinde,
Kahl, fahl, zu langen Lebens,
Zu langen Sterbens müd.

Hart klingt und zäh sein Gesang,
Klingt trotzig, klingt heimlich bang,
Noch einen Sommer,
Noch einen Winter lang.

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