Hilma af Klint – frühe Abstraktion

von Anja Weinberger

Auf die Künstlerin Hilma af Klint bin ich 2019 erstmals durch eine großartige Ausstellung im Lenbachhaus aufmerksam geworden.

»Weltempfänger« titelte das Münchner Museum und stellte neben den Werken Hilma af Klints Kunst von Georgiana Houghton und Emma Kunz aus. Diese drei Frauen verband eine ungewöhnliche, innovative und doch jeweils selbstständige Bildsprache: die abstrakte Kunst. Abgesehen von der nicht mehr gegenständlichen Malerei war den dreien das Interesse am Übersinnlichen, Geistigen und Verborgenen gemeinsam.

 

Foto: privat

»Gewöhnlich beginnt die Meistererzählung der abstrakten Kunst mit dem Triumvirat Kandinsky, Malewitsch und Mondrian. In Zukunft wird man sie um drei weibliche Namen ergänzen müssen. Georgiana Houghton, Hilma af Klint und Emma Kunz heißen die drei Künstlerinnen, deren aufsehenerregende Werke in der Ausstellung ›Weltempfänger‹ im Münchner Lenbachhaus zu sehen sind.« Dorothea Zwirner, Der Tagesspiegel

 

Hilma af Klint verfügte, dass ihr großes und eindringliches Werk frühestens 20 Jahre nach ihrem Tod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Sie starb 1944 in ihrem Heimatland Schweden und so wurden ihre Bilder erst in den frühen 1980er-Jahren bekannt.

 

Hilma wurde 1862 auf Schloss Karlberg in der Nähe von Stockholm geboren. Die Familie war wohlhabend, der Vater Offizier bei der schwedischen Marine. Schon ab 1857 (und damit früher als in Deutschland, Italien und Frankreich) wurden an der Kunsthochschule in Stockholm auch Frauen aufgenommen und so konnte Hilma von 1880 bis 1887 dort und an der Akademie der freien Künste in Stockholm lernen.

Bald hatte die junge Künstlerin ihr eigenes Atelier und schuf zunächst die üblichen, konventionellen Bilder, mit denen sie erfolgreich war und sich ihren Lebensunterhalt ermalen konnte. Sie reist viel, hält Vorträge, interessiert sich für Frauenrechte – und für Séancen. Häufig fungiert sie selbst als Medium und macht erste Erfahrungen mit dem automatischen Zeichnen und Schreiben[1].

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Zu Hilmas Lebzeiten im 19. Jahrhundert wurde durch die vorangetriebene Industrialisierung auch ein Fortschritt in der Bildgebung gemacht. Elektromagnetische Felder, Röntgenstrahlen und die daraus resultierenden neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten mancher »unsichtbaren« Kräfte ließen viele Künstler «Über das Geistige in der Kunst«[2] nachdenken. Hilma af Klint erforschte durch ihre Malerei diese unsichtbaren Kräfte.

Bereits 1906 stellte sie eine erste Serie abstrakter, kleinformatiger Bilder her. Organische Strukturen sind zu erkennen, weiche Farbübergänge und Formen. Inspiriert durch Zusammenkünfte mit dem Anthroposophen Rudolf Steiner entwickelte sie in den 1920er-Jahren schließlich einen neuen Stil, der geometrischer erscheint, klarer und zentrierter, aber auch plakativer.

 

Hilmas nun großformatige Bilder basieren auf spirituellen Erfahrungen in einer anderen, höheren Welt. Sie verstand sich als Medium, durch das der Pinsel geführt wurde – als Mittlerin zwischen dem Diesseits und einer verborgenen Welt – eben als »Weltempfängerin«.

Noch 2012 zeigte das Museum of Modern Art in New York die Ausstellung »Inventing Abstraction. 1910–1925«. Hilma af Klint war nicht dabei. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass die Geschichte der abstrakten Kunst in den Köpfen der Betrachter längst fertig erzählt war, die Hauptrollen waren längst verteilt. Hilma af Klint ist also eine Herausforderung für die Kunstgeschichtsschreibung, denn einige Jahre vor Kandinsky, Mondrian und Malewitsch, wie wir nun wissen seit 1906, malte sie abstrakt auf allerhöchstem Niveau. Auch durch das Zurückhalten ihrer Bilder nach ihrem Tod im Jahre 1944 kam es zu diesem Dilemma; jedoch war die Malerin der Ansicht, die Zeit wäre noch nicht reif für ihre Kunst.

 

 »Abstraktion gab’s lange vor Kandinsky und Co. Im Lenbachhaus sind drei außergewöhnliche Künstlerinnen zu erleben, die sich als Medien verstanden haben und ihrer Zeit weit voraus waren. […] mit dem Abstand von über hundert Jahren wirkt manches wie die hellsichtige Vorausschau real existierender Phänomene. […] af Klint vereint Mikro-und Makrokosmos.« Roberta De Righi, Abendzeitung

 

 »Mir wurde gesagt, ich sei ein Pionier, aber habe mich einer noch unverständlichen Arbeitsweise verschrieben.« Hilma af Klint

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2018 findet endlich im New Yorker Guggenheim eine Einzelausstellung mit Werken Hilma af Klints statt, die mit weit über einer halben Million Besuchern zur bestbesuchtesten Ausstellung in der Geschichte des Museums wurde. Hilma af Klint ist angekommen.

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Fußnoten

[1] In den 1920er-Jahren praktizierten das die Surrealisten. Hilma af Klint war ihnen zwei Jahrzehnte voraus.

 

[2] Ein Klassiker der Theorie von Wassily Kandinsky, erschienen 1911

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