Homenaje de Debussy

von Thomas Stiegler

Ein Werk, so vielschichtig, dass der englische Komponist Benjamin Britten einmal sagen sollte: »Das Stück ist nur sieben Minuten lang, aber es stecken zwanzig Minuten Musik darin.« [1] – wobei eine Aufführung des Stückes nur knapp drei Minuten dauert (was diese Aussage noch bemerkenswerter erscheinen lässt). Bekannt geworden als »melodisch eher unbedeutendes Werkchen« [2] hat sich dieses Urteil im Laufe der Zeit vollständig gewandelt, und heute sehen wir das Werk als einen Meilenstein in der Geschichte der modernen Gitarrenliteratur an.

Die Entstehung der Homenaje geht zurück auf Henri Prunières, einen französischen Musikwissenschaftler und Herausgeber der Musikzeitschrift »La Revue Musicale«, der im Jahr 1920 verschiedene Komponisten einlud (neben de Falla auch Igor Strawinsky, Béla Bartók und Erik Satie), für eine neue Ausgabe seiner Zeitschrift ein Werk auf den Tod des großen impressionistischen Komponisten Claude Debussy zu schreiben. Für de Falla war das ein glücklicher Zufall, denn etwa zur gleichen Zeit hatte ihn schon der berühmte Gitarrist Miguel Llobet um ein Werk gebeten, und er entschloss sich daher, hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

In diesem Werk nun, in dem es laut dem Gitarristen José Rey de la Torre »nichts Überflüssiges« [3] gibt und jede Note seine Bedeutung hat, gelang de Falla das Kunststück, in ihrem Wesenskern vollkommen unterschiedliche Musikstile nicht nur zu verbinden und in einen Rahmen zu pressen, sondern daraus ein Werk von seltener Schönheit und Intensität zu erschaffen. Denn die Homenaje ist eigentlich ein Tombeau, also ein Klagelied auf den Tod eines geliebten Menschen, das allerdings mit allen Konventionen bricht und im lasziven Wiegeschritt einer Habanera [4] daherkommt.

Außerdem schenkt uns de Falla hier eine kunstvolle Hommage an die Welt des französischen Impressionismus (er zitiert sogar aus Debussys eigenem Werk), ohne je seine eigene Sprache zu verleugnen. So atmet das Werk in jeder Note den Geist Spaniens und seiner Musik und klingt doch so ganz anders, als wir es von einer Adaption des Flamencos aus der Hand eines modernen Komponisten erwarten würden.

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Manuel de Falla und Claude Debussy hatten, obwohl beide musikalisch aus völlig unterschiedlichen Welten stammten, mehr gemeinsam, als eine oberflächliche Betrachtung ihrer Werke vermuten lässt. Denn man erkennt nicht nur in den Farben von de Fallas Orchesterwerken oder in seiner Verwendung auch ungewöhnlich klingender Harmonien den starken Einfluss der impressionistischen Musik, deren glänzendster Vertreter Claude Debussy war, sondern auch Debussy ließ sich zeit seines Lebens stark von der spanischen Musiksprache beeinflussen, was sich in vielen seiner Werke zeigte – nicht nur in den offensichtlich spanisch beeinflussten.

Manuel de Falla kannte anscheinend das Werk von Debussy sehr gut und ging sogar so weit, sein »La Soirée dans Grenade« [5] als das getreueste musikalisch-pianistische Abbild Spaniens zu bezeichnen, das er je gehört hatte; so sagte er darüber: »Hier steht Andalusien vor uns, Wahrheit ohne Authentizität, könnte man sagen, da kein Takt darin vorkommt, der der spanischen Folklore unmittelbar entlehnt ist, und dennoch das Stück bis in seine geringsten Einzelheiten Spanien empfinden lässt.« [6] Das ist umso erstaunlicher, als Debussy Spanien nur einmal für wenige Stunden betreten hatte und daher das Land nur durch die Sprache seiner Musik kennenlernen konnte.

Noch beeindruckender wird diese Aussage dadurch, dass de Falla zu seiner Zeit einer der besten Kenner der spanischen Volksmusik war und sich nicht nur oberflächlich mit dieser Musik beschäftigte, sondern einen tiefen Einblick in alle Arten des Flamencos hatte. Deshalb erkannte er auch, dass Debussy, etwa im Unterschied zu einem Albéniz oder Granados, die immer den klassischen Form- und Kompositionsprinzipien verhaftet blieben, näher an den Wurzeln des »echten« Flamencos war. Diese als »cante jondo« bezeichnete Form führte auch dazu, dass Debussys Musik, obwohl sie fest in der Tradition der französischen Musik stand, weit roher und natürlicher klingt und näher an der ursprünglichen spanischen Volksmusik ist als die von de Fallas romantischen Zeitgenossen.

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Manuel de Falla nun gibt uns in seiner »Homenaje de Debussy« eine gelungene Synthese all dieser Einflüsse. Durch seinen direkten und urtümlichen Bezug auf die spanische Nationalmusik nimmt dieses Werk innerhalb der klassischen Musik für die Gitarre eine Sonderrolle ein, die man am besten mit der Wirkung der Musik Strawinskys aus dessen »russischer Phase« vergleichen kann. Direkt aus dem Bereich des »cante jondo« scheint nicht nur die grundlegende Stimmung des Werkes zu kommen, sondern auch vor allem solche Details wie etwa der begrenzte Tonumfang der Melodien, der selten über eine Sexte hinausgeht, oder die stringente Wiederholung der immer selben Note.

Die Verbindung zu Debussy, dessen Geist diese Musik atmet, kommt nicht zuletzt daher, dass de Falla Zitate sowohl aus dem schon erwähnten »La Soirée dans Grenade« als auch aus »La Puerta del Vino« (aus Debussys Préludes) verwendete. Beide Werke haben einen direkten Bezug zu Granada (das erste Werk trägt den Namen »Der Abend in Granada«, das zweite bezieht seine Inspiration aus einer Postkarte, die de Falla an Debussy sandte und die das »Weintor (Puerta del Vino)« der Festung Alhambra zeigt) und beide verwenden den Rhythmus einer Habanera.

Manuel de Falla spielt von Beginn an mit der Musik dieses Tanzes, was auch auf seine große Erfahrung als Komponist hinweist. Denn der typische Habanera-Rhythmus ist eine punktierte Achtelnote, gefolgt von einer Sechzehntelnote und zwei Achteln als Ausklang. Manuel de Falla selbst stellt diesem rhythmischen Motiv nun zwei Sechzehntelnoten als Auftakt zur Seite, was dazu führt, dass dieser Teil weit besser zur Schwermut des Tombeaus passt als der ursprüngliche Tanz vermuten lässt. Natürlich macht es dieser Kontrast zwischen der Klage eines Tombeau und dem lasziven Rhythmus einer Habanera schwer, die genaue Stimmung des Werkes zu treffen, doch genau das macht für uns Zuhörer mit den Reiz dieser Komposition aus.

Nach einer kurzen Einleitung von sieben Takten darf die Gitarre endlich ihr Lied singen und schenkt uns hier eine der prägnantesten und schönsten Melodien der klassischen Gitarrenliteratur, in der man ganz deutlich die schon erwähnten Anklänge an den ursprünglichen Flamenco erkennt.

Dann scheint wieder die Habanera des Anfangs durch, doch die anschließenden Harmonien transportieren eine hoffnungsvollere Stimmung und die Überleitung führt hin zu einem auffällig dissonanten Akkord, der fast unbemerkt vorüberhuscht (für Puristen: De Falla stapelt hier eine Quinte, eine Quarte und eine übermäßige Quarte und erinnert gleichzeitig mit den beiden tiefen Noten des Akkordes an den Beginn des Stückes). Ein kleiner Lauf führt uns in einen völlig neuen Abschnitt des Werkes, die Harmonien scheinen direkt Debussys Werk entnommen zu sein und ihre Instabilität und fast impressionistische Unschärfe treiben das Stück immer weiter voran.

Einige Takte fassen noch einmal alles bisher Gehörte zusammen, bevor uns de Falla mit »Più calmo« auf den Schluss des Werkes vorbereitet. Interessant ist, dass vier Takte vor dem Ende ein direktes Zitat aus Debussys »La Soirée dans Grenade« erscheint, bevor das Werk dann »perdendosi« überschrieben ausklingt.

Julian Gray sollte einmal über diesen wunderbar traurigen Schluss des Werkes sagen: »[…] Falla [schafft] hier wirklich einen Moment, wie wenn Hamlet über den Tod sagt, er sei ›das unentdeckte Land, aus dem kein Reisender zurückkehrt‹.« [1]

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Verwendete Literatur
1 … Reflections on Manuel de Falla’s Homenaje, Benjamin Verdery; benjaminverdery.com

2 … Homenaje (An Analysis of Manuel de Falla´s »Le Tombeau de Claude Debussy«), Dušan Bogdanović; www.academia.edu

3 … José Rey de la Torre, in »Rey de la Torre discusses Manuel de Falla’s Homage to Debussy«, www.guitarist.com

4 … Ein kubanischer Tanz, der sich im 19. Jahrhundert in der gesamten westlichen Welt verbreitete und sowohl die amerikanische Jazzmusik als auch den argentinischen Tango beeinflusste.

5 … Aus seinen »Estampes«, komponiert 1903.

6 … Manuel de Falla, zitiert nach: »La Soirée dans Grenade« auf jochenscheytt.de

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