Die schwedische Nachtigall

von Anja Weinberger

Jenny Lind (1820-1887)

»Jenny ist mit dem Trollhätta, mit dem Niagara und allen frischen, unmittelbaren Naturmächten verwandt, und die Wirkung, welche sie hervorbringt, ist ungefähr dieselbe, wie die Wirkung dieser Naturmächte.«[1]

Über die Sängerin Jenny Lind berichteten viele ihrer Zeitgenossen. Während der Jahre ihrer Karriere gab es nicht wenige Primadonnen auf den Bühnen der Welt, viele gute Stimmen, außergewöhnliche Künstlerinnen. Aber ihr, so scheint es, muss etwas ganz Besonderes angehaftet haben: »Es ist kaum möglich, einen reinern, weichern, gesündern, feinern Ton zu haben als sie, und es ist auch kaum möglich, mit mehr Korrektheit zu singen als sie.«[2]

Wer war diese Sängerin, die ihre Zuhörer zu solch schriftlichen Lobeshymnen inspirierte? Johanna Maria Lind kam 1820 in Stockholm als uneheliches Kind zur Welt – ihre ersten Lebensjahre wurden beherrscht von Streitigkeiten, Prozessen und unterschiedlichen Unterbringungen. Die Mutter unterrichtete privat Französisch, Religion, Geschichte, Geographie, Rechnen, Malen, erteilte Klavierunterricht und nahm junge Damen in Pension. Zwischen Tochter und Mutter bestand keine herzliche Beziehung. Aber die Mutter muss bemerkt haben, dass künstlerische Begabungen in dem kleinen Mädchen schlummerten, denn ab 1830 erhielt Jenny Gesangs- und Schauspielunterricht am Königlichen Theater. Böse Stimmen berichten jedoch, dass auch das Stipendium der Tochter und die damit verbundenen Geldzuwendungen ein Grund für das Interesse der Mutter am Theater gewesen sein könnten.

Jenny machte schnell Fortschritte und konnte bald kleine Rollen übernehmen. Anfangs waren das häufig Sprechrollen, denn die unreife, kindliche Sopranstimme ermöglichte zunächst nur wenig Klangvolumen. Sie fiel bereits da durch ihre große Natürlichkeit und charmante Ausstrahlung auf – sie liebte die Bühne, und die Bühne liebte sie.

1841 ging sie nach Paris zu dem Stargesangslehrer der damaligen Zeit: Manuel García d. J.[3] Er schaffte es dann auch, den nach wie vor recht ungeschliffenen Diamanten zum Erstrahlen zu bringen.

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Zurück in Stockholm wurde Jenny schnell zur Primadonna assoluta und machte schon kurz darauf eine große Auslandstournee durch Skandinavien. Kaum von dieser zurückgekehrt, holte Meyerbeer sie nach Berlin, wo sie endgültig zur international gefeierten Primadonna wurde.

Hier hörte sie auch Clara Schumann: »Nie habe ich in der Weise spielen gesehen als von ihr, es liegt ein eigner Zauber in all ihren Bewegungen, eine Grazie, Naivität, und ihr Gesicht – jeder einzelne Teil betrachtet – nicht schön zu nennen, ist doch von einer Anmut, ihr Auge so poetisch, daß man unwillkürlich ergriffen wird«[4]

1849 zog sich Jenny Lind überraschend von den Opernbühnen zurück, da war sie noch keine 30 Jahre alt.

»Merkwürdige Primadonna! Es gibt keine Skandale von ihr zu berichten…«[5]

 

Eduard Magnus: Jenny Lind, © Alte Nationalgalerie Berlin

Natürlich, einfach, fromm – so beschreibt der bekannte Musikwissenschaftler und Kritiker Kurt Honolka die Sängerin, und er drückt mit diesen drei prägnanten Worten genau das aus, was Jenny Lind von den meisten ihrer Kolleginnen unterschieden hat. Im 19. Jahrhundert wurden Bühnenstars wegen ihrer Stimme in den Himmel gehoben und gleichzeitig wegen ihres Lebenswandels in der Klatschpresse verrissen. Viele Künstlerinnen lebten in ungewöhnlichen, der bürgerlichen Schicht zweifelhaft erscheinenden Beziehungen. Und das Geschehen hinter den Bühnenvorhängen war dem Volk vor dem Vorhang sowieso nicht geheuer.

Aber Jenny Lind passte so gar nicht in diese Klischees. Sie lebte quasi das Frauenideal des Biedermeiers. Und sie verließ die Bretter, die die Welt bedeuten, bereits mit knapp 30 Jahren. Danach trat sie nicht mehr als Opernsängerin, sondern nur noch als Konzert- und Oratoriensängerin auf.

Bei einer groß angelegten Tournee von 1850 bis 1852 lagen ihr die USA zu Füßen. Ihre Gagen waren enorm hoch, und Jenny spendete große Teile davon für wohltätige Zwecke. Der Rummel um ihre Person muss ungeahnte Ausmaße angenommen haben, zeitgenössische Illustrationen zeigen ein Publikum an der Schwelle zur Hysterie.

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Und nachdem sie bisher noch keinen der sie anschmachtenden Herren erhört hatte – Hans Christian Andersen, Mendelssohn und Chopin gehörten zu den unglücklich Verliebten  –, heiratete sie 1852 in Boston den deutschen Komponisten und Dirigenten Otto Goldschmidt, der sie am Klavier begleitete. Gemeinsam mit ihm ging sie nach der Rückkehr aus der Neuen Welt immer wieder auf Europatourneen, auch nachdem in den Folgejahren drei Kinder geboren wurden, und im Jahr 1858 übersiedelte die Familie schließlich nach England. Jennys Repertoire wurde immer religiöser, und sie sang sehr gerne Oratorien. Man liest, dass Der Messias von Georg Friedrich Händel, Die Schöpfung von Joseph Haydn und Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy ihr nun besonders am Herzen lagen.

Das Phänomen Jenny Lind hat deutlich mehr Facetten zu bieten als nur die der Künstlerin Jenny Lind. Ihre Wohltätigkeit zeigt sich bis heute im Jenny-Lind-Preis, den sie 1862 stiftete; und sie spendete während ihrer ganzen Karriere und danach große Teile ihres Vermögens an soziale Einrichtungen. Das blieb im Volk nicht unbemerkt, und man liebte sie dafür. Ihre unprätentiöse Erscheinung, ihre Natürlichkeit und fehlende Eitelkeit in der Zusammenschau mit ihrem beschaulichen Familienleben auf dem Lande in England formten zusätzlich die Erinnerung an einen Weltstar mit Charakter. Jenny Lind ist bis heute eine der bekanntesten Persönlichkeiten in Schweden.

Nachdem sich die Sängerin ab den 1860er-Jahren immer mehr aus dem Konzertleben zurückgezogen hatte und von 1883 bis 1886 am ›Royal College of Music‹ unterrichtet  hatte, starb sie im November 1887 nach einem Schlaganfall, der ihr die Stimme nahm.

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Fußnoten

[1] Bremer, Fredrika: Die Heimath in der neuen Welt. Ein Tagebuch in Briefen, geschrieben auf zweijährigen Reisen in Nordamerika und auf Cuba, Bd. 3, Stuttgart, 1854.

[2] Carus, Carl Gustav: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. Deutsche Autobiographien, S. 16717.  http://www.digitale-bibliothek.de/band102.htm.

[3] Bruder von Pauline Viardot-Garcia und Maria Malibran, s. a. »Wissenswertes«.

[4] Clara Schumann über Jenny Linds Darbietung von Donizettis Regimentstochter (Berthold Litzmann: Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen, Bd. 2, Leipzig, 1905).

[5] Honolka, Kurt: Die großen Primadonnen. Ergänzte und verbesserte Neuausgabe. Wilhelmshaven, 1961

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