Julie Manet
von Anja Weinberger
Ein Leben voller Kunst
Ein Kind des Impressionismus war sie, die Malerei ihrer Wiege nie fern. Liest man Julie Manets Tagebücher, so wird schnell klar, dass ihre Kindheit und frühe Jugend von Farbe, Malerei, Lyrik, guten Freundschaften und aufmerksamen Eltern geprägt waren.
Mit 16 Jahren wird sie Vollwaise, als ihre Mutter Berthe Morisot stirbt. Den Vater Eugène Manet, Bruder des großen Malers Eduard, hatte man schon einige Jahre zuvor zu Grabe tragen müssen.
In den sechs Jahren zwischen des Vaters Tod und ihrer Verlobung mit Ernest Rouart zeigen uns die Tagebuchaufzeichnungen Julies, wie das Leben einer jungen Pariserin in den 1890ern sein konnte, wenn man hineingeboren war in eine gutsituierte Familie mit großem Freundes-, Kollegen- und Bekanntenkreis. So werden wir sehen, dass Julie viele der Künstler kannte, die die Jahre der ›Belle Époque‹ zu dem machten, was wir heute wahrnehmen.

Julie Manet, gezeichnet von ihrer Mutter Berthe Morisot, Rijksmuseum Amsredam, http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.436756
Hier ein kleiner Einblick, welche Menschen wichtige Rollen in Julies Leben spielten:
Die Mutter Berthe Morisot war eine von drei Schwestern, die alle der Kunst und dem intellektuellen Leben verfallen waren. Als junge Frau lernte Berthe die Maler Corot, Degas und Manet kennen, denen sie ihr Leben lang eng verbunden blieb. Seit dem Tag ihrer Geburt im Jahre 1878 war Julie das Lieblingsmodell ihrer Mutter, die sie bald überschwänglich liebte und grenzenlos bewunderte. Nach Berthes Tod setzte sich die Tochter energisch für deren Kunst ein.
Julies Papa Eugène Manet war ebenfalls Maler, ab dem Zeitpunkt seiner Hochzeit mit der hochbegabten Berthe hatte er sich jedoch mehr und mehr auf deren Unterstützung und weniger auf seine eigene Kunst konzentriert. Eugène war ein aufmerksamer, liebevoller Vater, und Berthe Morisot hat das Vater-Tochter-Paar häufig gemalt. Julie ist also in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Mann und Frau so gleichwertig behandelt wurden, wie das zur damaligen Zeit nur möglich war.
Eng befreundet war die Familie Morisot-Manet mit den Malern Renoir, Monet, Degas, Caillebotte und mit dem Dichter Stéphane Mallarmé, der auch Julies liebevoller Vormund wurde, als ab dem Jahr 1895 beide Elternteile nicht mehr lebten.
Julie hatte zwei Cousinen, Paule und Jeannie Gobillard, deren Mutter, eine Schwester Berthes, ebenfalls kürzlich verstorben war. Die drei jungen Frauen, nun Waisen, lebten ab diesem Zeitpunkt gemeinsam in einer großen Wohnung. Mallarmé suchte, bemüht wie er war, eine gute Gouvernante, die ein Auge auf die Schar hatte.
Mallarmé war Julie ein wirklicher – väterlicher – Freund. Er lud sie in Konzerte ein, schickte immer wieder lustige Vierzeiler und war ihr stets ein interessierter und anregender Gesprächspartner. Als auch er 1898 überraschend starb, war dies für die noch sehr junge Frau der dritte schlimme Verlust innerhalb kurzer Zeit.
Die Familie Renoir lud Julie häufig zu sich ein – zum Abendessen, aber auch, um sie in der Ferienzeit mit an die bretonische Küste zu nehmen. In diesem Zusammenhang lernten sich Julie und Jeanne Baudot kennen, ebenfalls eine junge, aufstrebende Malerin und Patin des Renoir-Sohnes Jean. Jeanne und Julie sollten ihr Leben lang Freundinnen bleiben.
Auch bei Monet in Giverny war Julie gern gesehen und lernte dort eine weitere Handvoll interessanter Leute kennen. Rodin, Singer-Sargant, Clemenceau und Misia Sert mit ihrem ersten Ehemann waren hier anzutreffen; Julie plauderte mit ihnen u. a. über das ausgezeichnete Essen, die ungewöhnliche, moderne Küche in Monets Haus und über den herrlichen Garten. Selbstverständlich war auch die Dreyfus-Affäre ein immer wiederkehrendes Gesprächsthema, das Julies Jugendzeit überschattete, denn der Freundeskreis war durchaus nicht einer Meinung.
Bei Degas, der Julie gerne zum Tee einlud, traf sie erstmals auf ihren späteren Ehemann Ernest Rouart, der aus einer großen Industriellen- , Sammler- , Künstler- und Intellektuellenfamilie stammte. Bald entschied man sich für eine Doppelhochzeit: Julie gab Ernest das Jawort, und ›im gleichen Aufwasch‹ heiratete Julies Cousine Jeannie den Dichter Paul Valéry. Das Fest danach soll sehr fröhlich gewesen sein, und die Paare lebten bis zum Tode nah beieinander, auch die Ferienzeit verbrachte man zusammen und zog die Kinder gemeinsam groß.

Kalendergeschichten – das neuste und bisher größte Projekt der Leiermann-Autorinnen und -Autoren.
Eine Kulturgeschichte für jeden Tag des Jahres – hier kann man unsere Kalendergeschichten vorbestellen und dem kleinen, unabhängigen Verlag Sicherheit geben.
Geldsorgen hatten Julie und Ernest nicht, und so widmeten sich die beiden der Malerei – nicht nur der eigenen, sondern auch der ihrer Freunde. Julie und Ernest wurden zu den wichtigsten Sammlern, Unterstützern und Fürsprechern der großen Gruppe der Impressionisten. Sie organisierten Ausstellungen und verschenkten heute weltberühmte Werke an große Museen.
Vor allem Julie, die 1966 starb, ist es zu verdanken, dass das Werk ihrer Mutter Berthe Morisot nie wirklich in Vergessenheit geraten ist. In einer Zeit, in der Frauen normalerweise übergangen wurden, ist Berthe Morisots Name unübersehbar und nachhaltig in der Kunstgeschichte verankert worden. Allein mit ihrem Talent und aufgrund der Tatsache, dass ihr Werk zu Lebzeiten äußerst anerkannt war, lässt sich das nicht erklären. Durch Julies unnachgiebige Einflussnahme auf den Kunstbetrieb und durch ihre ständige Werbung für die Malerei ihrer Mutter jedoch ist die Kunst Berthe Morisots nie wirklich in Vergessenheit geraten.
(Dieser Text stammt aus dem Buch Frauengeschichten – Kulturgeschichten aus Kunst und Musik, das 2023 im Leiermann-Verlag erschienen ist.)
Anja Weinberger im Leiermann-Verlag
Drei Bücher zu Musik und Kunst, voller Geschichte und Geschichten. Lesen Sie mehr über Coco Chanel, Marc Chagall, Friedrich den Großen, Misia Sert und so manch andere.



Wollen Sie immer über das Neuste beim Leiermann informiert werden?
Unterstützen Sie uns!
Dieses Kulturprojekt wird vollständig privat getragen. Daher sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen, um noch mehr Beiträge zur Kunst und Kultur Europas teilen zu können.