Robert Louis Stevenson

 

von Stefan Havlik

Der Herr der Insel
Zum 170. Geburtstag von Robert Louis Stevenson

3. Dezember 1894, Samoa in der Südsee: „Tusitala“ ist tot. Gerade hatte er sich noch auf seine Veranda gesetzt, hatte für einen Roman diktiert – und brach zusammen. Sie legen „Tusitala“, was „Geschichtenerzähler“ bedeutet in der Sprache der Eingeborenen, auf eine Liege. Die herbeigerufenen Ärzte konnten nicht mehr helfen, ein anglikanischer Missionar sprach Gebete. Im Alter von gerade 44 Jahren war Robert Louis Stevenson einer Hirnblutung erlegen, einer der bekanntesten Schriftsteller seiner Zeit war plötzlich aus dem Leben gerufen worden.

Viele tausend Seemeilen von Samoa entfernt war Stevenson 1850 in Edinburgh geboren worden. „…gemeinschaftlich über dem Ganzen liegt jener graue Nebelschleier, der den Zauber dieser nordischen Schönheitsstadt vollendet“ beschreibt Theodor Fontane seinen Besuch dieser schottischen Stadt. Er dürfte bei seinen Spaziergängen durch die besseren Stadtviertel auch am Haus des Thomas Stevenson vorbeigekommen sein, eines bekannten und erfolgreichen Leuchtturmingenieurs. Dass Fontane Jahrzehnte später über das Werk des Sohns der Familie Stevenson schreiben sollte, er sei davon „gefesselt und stark berührt“, ahnte er damals nicht – zum Zeitpunkt von Fontanes Spaziergängen durch Edinburgh war Robert Louis, der die literarische Welt auf seine ganz eigene Art prägen sollte, gerade einmal acht Jahre alt.

Vater Thomas Stevenson verantwortete bereits in dritter Generation Konstruktion und Bau von Leuchttürmen an Schottlands Küsten, das unterbrochene Blitzfeuer ging auf seine Erfindung zurück. Das einzige Kind, das aus seiner Ehe mit Margaret hervorgeht, wird kurz nach der Geburt von dessen Großvater Lewis Balfour, einem Pastor getauft: Robert Louis Stevenson, im Familienkreis bis weit ins Erwachsenenalter meist als „Lou“ gerufen.

Der Enkel eines Pastors wird schon sehr früh von den biblischen Geschichten geprägt, die er beim Gottesdienst hört. Lou hat davon „alles behalten“, vermerkt seine Mutter in ihr Tagebuch, besonders die alltestamentlichen Erzählungen faszinieren ihn. Zuhause ahmt er den Großvater nach, der als Geistlicher wirkt, baut einen kleinen Altar, verkündet und predigt. Zudem beginnt er schon bald, Geschichten zu erfinden und versucht sich mit Reimen. Das oft kränkelnde Kind, von der Mutter und der sehr glaubensstrengen Kinderfrau liebevoll umsorgt, diktiert schon Geschichten, bevor es in der Schule selbst das Schreiben lernen konnte: Die Menschen durch seine Fantasie zu faszinieren ist von Beginn an sein Ziel.

Im Gegensatz zu den meisten seiner Schulkameraden wächst Robert Louis Stevenson in einer Familie auf, die gerne reist und sich dies auch leisten kann. London, die französische Mittelmeerküste, Brüssel, Venedig, Rom – und der künftige Autor von Weltrang sammelt dabei begierig die Eindrücke, die ihm diese Orte bieten, versucht sich im Schreiben von Romanen, Versen, Zeitungsartikeln.

„The Writers Museum“, ©lowsun

Von Beginn an ist es typisch für Stevenson, dass er sich nicht mit einer Gattung der Literatur begnügt, sondern – so scheint es – jeweils die Möglichkeit des Niederschreibens wählt, die ihm passend erscheint. „Eine fast abgöttische Liebe zu Meer und Reisen, Abenteuer und Phantastik“ sei im Werk Stevensons zu erleben, wird Hermann Hesse 1924 schreiben.

Mit 17 Jahren beginnt Stevenson das Studium der Ingenieurwissenschaften – es ist der dringende Wunsch der Eltern, dass ihr einziges Kind beruflich in die Fußstapfen des Vaters treten und die Ingenieursdynastie fortsetzen möge. Auch wenn er als Student im liebevoll „Auld Reekie“ (wörtlich: „Die alte Qualmige“)  genannten Edinburgh den Luxus eines eigenen Hauses haben durfte – Vater Thomas hatte Swanston Cottage gepachtet und überließ das Anwesen weitgehend seinem Sohn -: Dass aus diesem Menschen, erfüllt von literarischer Schaffenskraft und Neugier auf die Welt in all ihrer Weite kein braver schottischer Ingenieur werden würde, schien vorgezeichnet.

1871 bricht er das Ingenieursstudium ab und lässt sich auf Druck einer Eltern darauf ein, Jurist zu werden, was ihm nach vier Jahren Studium auch gelingt. Spätestens als er auf seinen Reisen durch Europa die verheiratete Amerikanerin Fanny Osbourne kennenlernt, ist seine Entscheidung klar: Sein Leben wird das Reisen und Schreiben sein, begleitet von seiner Frau, die er nach ihrer erfolgten Scheidung alsbald heiratet. Nach zahlreichen Reiseberichten, die er in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, beginnt er 1881 mit seinem Roman „Die Schatzinsel“, die ihn 1883 schlagartig in Europa und den USA bekannt macht.

Es ist die Phase einer längeren Erkrankung, die Stevenson auf die Idee zu diesem Roman bringt – und seine Grundlage sind nicht etwa Notizen oder eine bestehende Legende, sondern die Karte einer Insel, die er selbst aus seiner Fantasie heraus zeichnet, ohne, dass er damit ein bestimmtes Ziel verfolgt.  „Die Gestalt dieser Insel befruchtete meine Phantasie außerordentlich. Da waren Hafenplätze, die mich entzückten wie Sonette, und im Bewußtsein einer Schicksalsbestimmung nannte ich mein Erzeugnis ‚Die Schatzinsel‘“ schreibt Stevenson später selbst über seine Inspiration.

Stevensons berühmter Roman wurde zu einem der ersten weltweiten Literatur-Erfolge im Bereich der Abenteuererzählungen: Der Sohn einer englischen Gastwirtsfamilie kommt in den Besitz einer Schatzkarte und reist zu einer unbekannten Insel, wo zwischen Piraten und anderen Besatzungsmitgliedern ein erbitterter Streit um den Schatz ausbricht – nur Wenige kehren mit einem Teil des Schatzes schließlich unter großen Gefahren nach England zurück.

Stevenson Denkmal, St. Giles Kathedrale Edinburgh, ©zhukowsky

Nachdem einige Romane und Essays nicht auf große Leserschaften treffen, gelingt dem immer wieder schwer Erkrankten erneut ein Stück Weltliteratur: „Der seltsame Fall des Doktor Jekyll und Mister Hyde“ thematisiert in dramatischer Weise die zwei gelebten Gesichter eines Menschen, eines hochgeschätzten und beliebten Arztes und eines Monsters, in das sich der Arzt nachts verwandelt.

Die Vielschichtigkeit des Wesens Mensch, die Fähigkeit zum Guten und Schönen, aber auch zum Brutalen und Grausamen war zweifellos auch eine Bilanz seines von vielen Reisen durch zahlreiche Länder und fremde Kulturen geprägten Lebens.

Nachdem er 1888 erstmals die Südsee erreicht hatte, erwirbt er auf der Insel Upolu (Samoa) ein Grundstück und gibt den Auftrag dort, am Rande des Dschungels, ein Farmhaus erbauen zu lassen, das er 1890 gemeinsam mit seiner Frau bezieht. Von Anfang an steht er nicht nur als Dienstherr einer großen Dienerschaft im guten Kontakt mit den Eingeborenen, die ihm zu Ehren an seinem 44. Geburtstag einen Weg benennen: Die „Straße des liebenden Herzens“.

So herrscht lange bevor die Nachricht vom plötzlichen Tod des bekannten Schriftstellers Europa erreicht bereits große Trauer auf Samoa. Wohl um seine instabile Gesundheit wissend, hatte er schriftlich nicht nur den Ort seines Grabes – der Gipfel des Vaea-Bergs inmitten des Dschungels der Insel – sondern auch den Text des noch heute dort zu findenden Epitaphen hinterlassen:

„Unter dem weiten von Sternen
übersäten Himmel
Schaufelt mein Grab
und bettet mich zur Ruh
Glücklich lebte ich und
glücklich starb ich
Und ich legte mich nieder
mit dem Wunsch
Dies sei der Vers,
den ihr für mich eingraviert:
Hier liegt er, wo er hingehört
Zurück ist der Seemann
von der See
Und der Jäger zurück vom Berg.“

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Die Zitate stammen aus folgenden Büchern:

Michael Reinbold: „Robert Louis Stevenson“ (Rowohlt)
John A. Steuart: „Robert Louis Stevenson, A critical Biography“ (Little, Brown and Company)
Elsie Noble Caldwell: „Last Witness for Robert Louis Stevenson“ (University of Oklahoma Press)

Bildrechte: ©depositphotos.com

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