Römische Sklaverei und christliche Nächstenliebe

 

von Christian Schaller

Vom Reibungspunkt zweier Weltbilder in der Spätantike

Nach dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss gab es „drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat.”  Er bezog sich dabei auf die Akropolis in Athen, die symbolische Wiege von Demokratie und Philosophie und damit von europäischer Kultur und Zivilisation insgesamt, aber auch auf das Kapitol in Rom und den Hügel Golgatha bei Jerusalem. Das Kapitol versinnbildlichte den Geist und das Wirken des römischen Weltreiches, der Kreuzigungsort von Jesus Christus dagegen den Ursprung des Christentums.

Mit der Ausweitung ihres Machtbereichs hellenisierten sich die Römer zusehends, sprich sie rezipierten die griechische Kultur.  In der Spätantike gewann schließlich das Christentum an Macht. Die altrömische Kultur mit ihren traditionellen Wertvorstellungen prallte damals auf das neue Ethos des Christentums. Die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Weltsichten und Philosophien führten letztendlich zum beispiellosen Aufstieg der römisch-katholischen Kirche im brüchig gewordenen Römischen Reich. In dieser Ära, die das Ende des Altertums begründen sollte, war ein neuer Zeitgeist entstanden. Dies bedeutete allerdings nicht das sofortige Ende der alten Ordnung.

Seit den ersten Hochkulturen war die Sklaverei ein wichtiger Faktor im sozialen und gesellschaftlichen Gefüge des Mittelmeerraums gewesen und im Römischen Reich machte sie sogar einen wesentlichen Pfeiler der Wirtschaft aus. Sklaverei bezeichnet allgemein den Zustand, in dem Menschen als Eigentum anderer behandelt werden. Sklaven galten nicht als Menschen. Unfreiheit war seit dem dritten Jahrtausend vor Christus im Alten Orient belegt. In den meisten antiken Kulturen des Mittelmeerraums etablierte sie sich als eine feste, gesetzlich verankerte Institution.

Ein Sklave war man in der Antike meist durch Kriegsgefangenschaft, Deportation und auch durch Geburt, also über mehrere Generationen hinweg. Eine Freilassung war möglich, auch eine anschließende Integration in die Gesellschaft war nicht ausgeschlossen. Sklaven konnten vielerlei Berufe ausführen, vom einfachen Diener über Lehrer und Handwerker bis zu Staats- und Tempelämtern.

Doch wie war die gepredigte Moralität der neuen, erstarkenden Glaubensrichtung Christentum in der Spätantike mit der typisch altrömischen Sklaverei vereinbar? Wie reagierte der neue Machtfaktor Kirche mit seiner Ideologie der Nächstenliebe auf jene alte, fest verankerte Institution? Dieser Beitrag widmet sich diesem deutlichen Reibungspunkt zwischen den beiden spätantiken Ideologien und versucht die Frage zu beantworten, wie das Verhältnis von Kirche und Unfreiheit in der Spätantike ausgesehen hat.

 

Vatikan, Rom; © clarencealford

Das Römische Reich und die Entwicklung der Sklaverei

Seit dem Sturz der Republik durch Caesar und der Zeit des ersten römischen Kaisers Augustus hatte das Römische Reich seinen Einfluss auf den Mittelmeerraum und die umgebenden Regionen konsequent ausgeweitet. Es war als Weltreich Träger eines Werteverständnisses, welches durch das Militär und den Handel in die Provinzen in Europa, im Nahen Osten und in Nordafrika gelangte. Doch nachdem Wirtschaft und Kultur in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christus florierten, sah sich Rom im dritten Jahrhundert mit zahlreichen Problemen konfrontiert.

Die Zeit der schnell wechselnden Soldatenkaiser begann. Äußere Feinde bedrohten fortwährend die Grenzen und bescherten dem Reich militärische Niederlagen.  Die Krise hatte auch weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft des Reiches. Es lassen sich deutliche Inflationen verzeichnen, es kam zu zahlreichen Geldeintreibungen und einer wachsenden Tendenz zur Landflucht. Tatsächlich war diese sogenannte Reichskrise des dritten Jahrhunderts ein komplexer, langwieriger Prozess. Erst Kaiser Diokletian konnte dem Reich gegen Ende des Jahrhunderts wieder eine gewisse Stabilität und Prosperität verleihen. Zudem veranlasste er die letzte große Christenverfolgung. Mit seiner Herrschaft konnte die Reichskrise allmählich als überwunden angesehen werden – die Zeit der Spätantike begann. Diokletians Nachfolger war Konstantin der Große, der erste römische Herrscher, der den Christen kaiserliche Unterstützung zukommen ließ. Auf den Aufstieg des Christentums im vierten Jahrhundert soll im übernächsten Kapitel noch näher eingegangen werden.

Zudem begann im vierten Jahrhundert die Zeit der Völkerwanderung und das Römische Reich wurde zur effektiveren Verwaltung im Jahr 395 in zwei Teile aufgespalten. Das Weströmische Reich fiel im Jahr 476 – was in der Forschung bisweilen als Ende der Antike und Beginn des Mittelalters angesehen wird.

In der frühen römischen Republik (ca. 750 bis 300 vor Christus) war Sklaverei noch nicht sehr verbreitet. Dies änderte sich infolge der Ausweitung des römischen Machtbereichs während der mittleren und späten Republik (ca. 300 bis 30 vor Christus). Neben einer gesteigerten Nachfrage an Dienstpersonal wurden Sklaven vor allem für die nun umstrukturierte Landwirtschaft Roms benötigt, die sich fortan auf extensive Viehwirtschaft sowie auf die Wein- und Olivenölproduktion konzentrierte. Unfreie wurden dadurch zu einem bedeutenden Faktor eines fast kapitalistischen Gewinnstrebens, zu bloßen Produktionsfaktoren.

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Große Sklavenaufstände waren selten, vor allem aufgrund der in Aussicht gestellten Freilassung und Aufnahme in den römischen Bürgerverband. Im Jahrhundert vor der Zeitenwende ersetzte die Kriegsgefangenschaft allmählich die traditionelle Schuldknechtschaft als häufigste Ursache für Unfreiheit in der römischen Gesellschaft. In der Kaiserzeit ab Augustus änderte sich dies erneut. Nach dem Ende der großen römischen Expansionen nahm nun stattdessen die Zahl der Hausgeburten stark zu. Häufigste Erwähnung fanden Sklaven in juristischen Texten, zum Beispiel in den zu Beginn erwähnten spätantiken Gesetzessammlungen.

Diese kompilierten die vorhandenen Gesetze und Beschlüsse und regelten somit auch die Institution der Sklaverei. Partiell erfolgte über die Jahrhunderte außerdem eine Humanisierung der antiken Unfreiheit, auch bedingt durch philosophischen und religiösen Diskurs – grundsätzlich infrage gestellt wurde sie jedoch so gut wie nie.

Zusammenfassend sah sich die römische Bevölkerung im Übergang zur späten Antike zahlreichen Problemen und Veränderungen gegenüber.

Forum Romanum; © vikgr

Die Reichskrise als prägendes Ereignis kann jedoch nicht nur als Zeichen des römischen Untergangs interpretiert werden. Vielmehr war die antike Welt im Begriff, sich grundlegend zu wandeln und somit auch die Brücke zum nahenden Mittelalter zu schlagen. Sklaven und Unfreiheit waren in der spätantik-römischen Welt immer noch wirtschaftlich bedeutsam. Staatliche Gesetze regelten die Sklaverei, machten sie mit der Zeit aber auch immer humaner. Gleichzeitig begann jedoch auch eine umfassende Transformation der Institution der Unfreiheit.

Das Christentum und die Entwicklung der frühen Kirche

Die Frühgeschichte des christlichen Glaubens in den ersten Jahrzehnten nach dem Tod des Jesus von Nazareth liegt größtenteils im Dunkeln und zeichnet sich durch Quellenarmut und nachträgliche Legendenbildung aus.  Die großen Missionierungsreisen des Theologen Paulus von Tarsus und anderer sogenannter „Hellenisten” hatten erfolgreiche Gemeindebildungen im gesamten Römischen Reich zur Folge. Paulus transformierte die bestehende jüdische Theologie, er sah in Jesus nicht nur einen Propheten, sondern den Sohn Gottes.

Die Kreuzigung und Auferstehung des jüdischen Wanderpredigers interpretierte er als Heilsereignis und baute seine Erlösungslehre darauf auf. Dieses paulinische Frühchristentum war hellenisiert.  Das heißt: Einerseits lassen sich heidnisches Gedankengut sowie Elemente aus anderen Religionen und Kulten im Christentum wiederfinden, andererseits trug die Hellenisierung auch zur Ausbreitung und letztendlich zum vielschichtigen Aufstieg zur Weltreligion bei. Bis zum dritten Jahrhundert konnte sich die Kirche fast ungestört entwickeln. Staatliche Christenverfolgungen fanden hauptsächlich in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts statt, die größte und letzte unter Kaiser Diokletian um 300 nach Christus. Die berüchtigte Verfolgung unter Kaiser Nero im Jahr 64 kann man fast schon als atypisch bezeichnen.

Zur Zeit des Kaisers Konstantin des Großen (reg. 306-337) machten Christen bereits über zehn Prozent der Reichsbevölkerung aus. Mitglieder waren vor allem in ärmeren Schichten zu finden.   Konstantin sicherte den Christen durch die Mailänder Vereinbarung 313 Religionsfreiheit zu und zog auch durch das Konzil von Nicäa 325 selbst Vorteile, da die wachsende Kirche einen effektiven integrierenden Faktor darstellte und der Kaiser die Einheit und Stabilität seines Reiches sichern wollte.

Konstantins allgemeine Religionspolitik, seine persönlichen Glaubensvorstellungen und insbesondere sein Verhältnis zum Christentum werden bis heute allerdings in der Forschung kontrovers diskutiert. Kaiser und Kirche schlossen nichtsdestotrotz praktisch eine Allianz. Das Christentum gewann an Einfluss und ersetzte allmählich die alten Kulte und Götter. Kaiser Theodosius erklärte das Christentum 380 de facto zur institutionalisierten Staatsreligion. Die Kirche hatte sich etabliert und konnte ein immer größeres Vermögen sowie Grundbesitz verbuchen. In der ausgehenden Antike begannen schließlich die Missionierung und Christianisierung weiter Teile Europas, die erst im hohen Mittelalter abgeschlossen sein sollte.

Zusammenfassend entwickelte sich die Kirche in der Spätantike von einer verfolgten Sekte zu einem bedeutsamen Machtfaktor. Als neue Staatsreligion konnte das Christentum fortan Einfluss auf Kaiser und Reich und damit – auch in Hinsicht auf den längerfristigen historischen Kontext – auf die Politik und Wirtschaft Europas nehmen.

Lateranbasilika, eine der fünf Papstbasiliken Roms; © Kosobu

Sklaverei versus Nächstenliebe

Die institutionalisierte Unfreiheit sah sich also in der späten Antike mit zahlreichen Komplikationen konfrontiert und die Demographie der Sklaven änderte sich seit der Kaiserzeit grundlegend. Es gab weniger Kriegsgefangene und dafür immer mehr Hausgeburten. Ab dem zweiten Jahrhundert wurden zahlreiche rechtliche Maßnahmen beschlossen, die Unfreiheit wurde schrittweise humanisiert und dadurch stabilisiert. Sklaven konnten Gehör finden, die Rechte der Herren wurden eingeschränkt, aber die Unfreiheit an sich wurde nie angezweifelt. Das Verständnis für die Sklaven wuchs, andererseits wurden sie auch immer noch stellenweise schlecht und menschenunwürdig behandelt. Dieses Verhalten war sowohl bei allen sogenannten Heiden, also bei Germanen ebenso wie bei nichtchristlichen Römern, als auch bei Christen verbreitet – bis hinauf in die Riege der Bischöfe.

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Das Verhältnis der jungen Kirche zur Unfreiheit in der Spätantike lässt sich geradezu als phlegmatisch beschreiben. Das Christentum blieb in der Sklavenfrage zunächst weitestgehend untätig. Theologisch wurde dies dadurch begründet, dass die Sklaverei zwar an sich schlecht sei, aber die Wiederkehr des Erlösers und das Ende der Welt sowieso kurz bevorstünden und eine Abschaffung der Sklaverei daher unnötiger Aufwand sei. Die Sklaverei galt als göttliche Schöpfungsordnung und war dadurch moralisch und theologisch gerechtfertigt.  Außerdem fand sie bereits in der Bibel Zustimmung.  Um dieses Denken mit der historischen Realität zu verbinden, muss man sich vor Augen führen, dass das prestigeträchtige „heilige und ewige“ Rom im Jahr 410 von den Westgoten erobert wurde. Man deutete das Erscheinen der Germanen als Anfang vom Ende der Welt.

Viele Sklaven begrüßten die Auswirkungen der beginnenden Völkerwanderung und flohen in dem Chaos vor ihren Herren. Die Kirche dagegen setzte sich für Sicherheit und Ordnung ein. Sie verteidigte ihrerseits die Sklaverei, um das Römische Reich zu erhalten. Die Kirche war selbst eine große Sklavenhälterin. Die barbarischen Germanen mit ihrem System der Feudalherrschaft galten ihr als Wirken des Teufels. Die Kirche identifizierte das Christentum mit Wahrheit, Ordnung und Zivilisation und setzte es damit in gewissen Teilen dem alten „Römertum“ gleich, sprich auch den römischen Ansichten von Herrenanspruch und Eigentumsbegriff. Sich symbolisch auf die Seite des alten Roms und damit zumindest indirekt auch der Sklaverei zu stellen, war eine rein politische Entscheidung der Kirche.

Die christlichen Bischöfe der späten Antike waren selbstverständlich karitativ tätig, das richtete sich allerdings oft nur an Arme. Sklaven, so arm diese auch waren, galten offiziell noch immer nicht ganz als Menschen und konnten darum keine Spenden von der Kirche empfangen.  Lediglich das Miteinander und das Verständnis für die Sklaven wurde gefördert. Die Bischöfe wollten das schlimme Los der Sklaven, die immer noch weitgehend rechtlos waren, lindern und beenden. Das Recht der Herren blieb aber trotzdem immer erhalten, auch die Kirche selbst besaß zahlreiche Sklaven. Es gab in der Westkirche nur wenige zufriedenstellende Verbesserungen und auch so gut wie keine klaren Worte gegen die Sklaverei.

Vatikan Rom; © valy270

Das Christentum konnte die spätantike Welt nicht in ihren Grundfesten ändern. Das Ende des römischen Reiches bedeutete nicht das sofortige Ende der Sklaverei.  Die traditionellen Standesgrenzen wurden weiterhin sehr gewahrt, auch von der Kirche. Die Kirche näherte sich dem Recht und dem Kaiserhof in Rom an und versuchte, die beiden Welten so einander anzunähern.

Kolonen und Kollegien – die „neue“ Unfreiheit in der Spätantike

Ab dem dritten Jahrhundert ging die Sklaverei zurück, was sich auch auf einen grundlegenden sozialen Wandel der römischen Gesellschaft zurückführen lässt. Das römische Bürgerrecht verlor zunehmend an Prestige und Wert, die Rechtsgemeinschaft entsolidarisierte sich und das Reich wurde mehr und mehr zum Zwangsstaat. Es entstanden neue Formen der Unfreiheit, die Kolonen und Kollegien.

Ursprünglich war der Kolone ein juristisch gleichberechtigter, wenn auch ökonomisch abhängiger Vertragspartner, der zwar Pachtzins an den Grundherrn entrichten musste, im Prinzip aber freier Eigentümer des Bodens war. Dieses Konzept hatte sich schon in der späten römischen Republik bewährt, in der immer mehr Latifundien, also große Gutshöfe, entstanden. Auch Sklaven wurden als sogenannte Quasi-Kolonen eingesetzt, oft eine Vorstufe der Freilassung. Daneben gab es auch bereits Freigelassene, die als Kolonen arbeiteten und sich dadurch in einem lebenslangen Treue- und Klientelverhältnis zu ihrem Patron befanden. Im dritten Jahrhundert hatte sich das Römische Reich nach den Reformen von Kaiser Diokletian und Kaiser Konstantin dem Großen wieder stabilisiert.

Rom näherte sich nun einer absoluten Militärmonarchie an, die Bürokratisierung und Militarisierung schritten immer weiter fort. Eine juristisch fixierte Bodenbindung der Kolonen war wünschenswert geworden, da der römische Staat damit agrarische Erträge sicherstellen konnte. Die Kolonenwirtschaft war unverzichtbar geworden und wurde vom Staat mittlerweile gegenüber der Sklaverei bevorzugt. Das konstantinische Edikt von 332 markierte einen wichtigen Schritt in der inneren Entwicklung von der Kolonenwirtschaft zum Kolonat. Es stellte die Flucht der Kolonen unter Strafe und sollte einen stetigen Steuerfluss sichern. Die Kolonen waren zwar keine Sklaven, aber sie waren nun an den Boden gebunden. Es gab eine unbeschränkte und vererbbare Bodenpacht statt der bisherigen Vertragspacht. Diese Entwicklung erfolgte wahrscheinlich aus rein finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen.

Die Kollegien in den Städten dagegen waren meist aus Eigeninitiative gegründete Berufsvereine in Handwerk und Handel, denen eine gewisse Eigenverantwortung zugesprochen wurde, um die Hauptregierung zu entlasten. Das Vereinswesen zeigte deutliche Parallelen in der inneren Struktur und auch der Ämterordnung zum jahrhundertealten Munizipialwesen, der römischen Gemeindeverwaltung. In der späteren Kaiserzeit wurden die Kollegien auch mit Rechten und Pflichten betraut, also Privilegien und öffentlichen Aufgaben.

Im Zuge der römischen Reichskrise kam es zu einer regelrechten Vereinsflucht. Es kam zu Unruhen und einem wirtschaftlichen Niedergang, zu einer zunehmenden Belastung der Ökonomie und damit verbunden zur schärferen Überwachung. Deshalb beschloss der Staat schlussendlich, genau wie bei den Kolonen, das Individuum mit seinem Vermögen an den Beruf zu binden. Im vierten Jahrhundert waren die Berufsvereine bereits staatliche Zwangseinrichtungen. Berufe waren vererbbar. Parallel dazu zwangsrekrutierte man neue Mitglieder in der bisher ungebundenen Bevölkerung.

Grundlegend kann man von einem Wandel der Unfreiheit zwischen dem dritten und sechsten Jahrhundert sprechen. Es entstand ein völlig neues System abgestufter Unfreiheit, in dem die nach wie vor existierenden und als knapper werdendes Wirtschaftsgut wahrgenommenen Sklaven nunmehr die unterste Stufe bildeten.  Die Fixierung des Individuums an seinem Platz sollte die grundsätzliche Krise der antiken Gesellschaftsordnung beenden.

Das sollte die alte Ordnung wahren, brachte mit dem Kolonat und den Kollegien allerdings auch eine neue Form der Unfreiheit hervor, die fortan neben der Sklaverei existierte. Der Untergang des Weströmischen Reiches und das Ende der Antike bedeuteten keinesfalls das Ende der Unfreiheit. Auch die Merowingerkönige im frühmittelalterlichen Frankenreich, die anderen germanischen Reiche sowie die byzantinischen Kaiser im Osten führten die Sklaverei noch fort. Die sich in der Spätantike herauskristallisierten Systeme mündeten schließlich in den mittelalterlichen Prinzipien der Leibeigenschaft und der Zünfte.

Notre-Dame de Paris; © SatyaPrem

Fazit

Das Römische Reich hatte im Übergang zur Spätantike zahlreiche Krisen und Veränderungen überstanden. Gleichzeitig erfolgte innerhalb der Gesellschaft eine umfassende Transformation, die auch die traditionelle Institution der Sklaverei nicht ausließ und die römische Bevölkerung in ein neues System der abgestuften Unfreiheit überführte. Die christliche Kirche war währenddessen zu einem bedeutsamen Machtfaktor aufgestiegen, der die Geschicke Roms und später großer Teile Europas maßgeblich prägen und lenken sollte.

So vertrat beispielsweise auch Augustinus von Hippo (354-430), Kirchenvater und Theologe, ein durch und durch patriarchalisches Grundmuster, welches er jedoch als praktizierte Nächstenliebe und soziale Solidarität interpretierte. Wer Sorge für den Nächsten trug, sollte auch bestimmen. Die Existenz der Sklaverei sah er als Teil von Gottes Wille und befürwortete sie innerhalb des irdischen Lebens sogar, solange die Fürsorge des Herren für seine Sklaven die negativ behaftete Untugend „Herrschsucht“ übertraf. Augustinus hielt in seinen Worten und Taten häufig eine gewisse Balance zwischen einem logischen Pragmatismus und einer idealistischen christlichen Haltung. Seine Werke waren sehr einflussreich und seine theologisch-philosophischen Ansichten beeinflussten die katholische Kirche das gesamte Mittelalter hindurch bis ins reformatorische Zeitalter.

Das mächtig gewordene Christentum integrierte sich in die spätantike Welt. Es handelte praktisch veranlagt und dem herrschenden Zeitgeist angemessen. Dies hatte allerdings auch zur Folge, dass es zu keiner Zeit wirkungsvoll gegen die Sklaverei zu Felde zog. Aus der spätantiken Unfreiheit, dem Kolonat und den Kollegien, konnten deshalb graduell und relativ ungehindert die Leibeigenschaft und das Zunftwesen hervorgehen. Sie sollten zu Charakteristika des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europas werden, welche die Gesellschaft bis zum Beginn der Moderne prägten.

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