Rosegger Weihnacht

von Thomas Stiegler

Seit beinah zwanzig Jahren lese ich an jedem Heiligabend dieselbe Geschichte von Peter Rosegger, und ein jedes Mal aufs Neue muss ich dabei weinen. Dabei weiß ich nicht, ob sie mich nur deshalb so berührt, weil ich als Österreicher seine Geschichten fast mit der Muttermilch aufgesogen habe, oder ob es allen Menschen so geht.

Bei uns in der Steiermark jedenfalls gehörte »Als ich Christagsfreude holen ging« zur Pflichtlektüre an allen Schulen, die jeden Advent hervorgeholt, immer wieder gelesen und meist auch noch nachgespielt wurde.

Als ich älter wurde und mich stärker mit Literatur zu beschäftigen begann, hatte ich von Peter Rosegger ein Bild, das geprägt war von persönlichen Erinnerungen und einer Handvoll Anekdoten. Aber ansonsten wusste ich fast nichts von ihm und sehr lange trieb mich die Frage um, wer eigentlich der Mensch und Künstler hinter all diesen Geschichten war.

War er ein naiver Bauerndichter? Ein Mensch, ewig gefangen im Glanz seiner Kindheit? Oder gar ein geschickter Reimeschmied, der genau wusste, an welcher Stelle er die Menschen kitzeln musste, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen?

Als ich mich jedoch in sein Gesamtwerk vertiefte, war ich erstaunt. Ich lernte einen feinfühligen Erzähler kennen, einen genauen Schilderer einer untergehenden Welt, zwar tief verwurzelt in der Geschichte seiner Vorfahren, in dessen Büchern es aber um mehr ging als um die Schilderung einer Idylle und der Flucht in die Welt seiner Kindheit.

Ich entdeckte einen Autor, der den Kampf des ursprünglichen Bauerntums gegen die drohende Industrialisierung beschrieb und damit Partei ergriff im Kampf des Individuums gegen den modernen Massenmenschen.

Aber je älter ich werde, desto stärker drängt sich meine Kindheit in den Vordergrund und so wird Peter Rosegger für mich, trotz allen späteren Erfahrungen, immer der Heimatdichter bleiben. Der Verfechter des Urtümlichen, der Künder einer verlorenen Welt, der alten Feste, Traditionen und Bräuche.

Und damit auch des Weihnachtsfestes.

Deshalb will ich euch für den nächsten Heiligabend zwei Geschichten empfehlen: »Als ich Christtagsfreude holen ging« und »Der erste Christbaum in der Waldheimat«.

In der ersten, seiner wohl bekanntesten Geschichte, beschreibt er ein Erlebnis aus seiner Kindheit. Wie er sich, ein kleiner Knabe noch, am letzten Tag vor Weihnachten durch meterhohen Schnee ins Dorf kämpfen musste, um dort all die Sachen zu kaufen, die man für das heilige Fest brauchte.

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Es ist eine sehr schöne Geschichte, sehr warm erzählt und auch für Kinder interessant. Denn durch dieses empathische Eintauchen lernen sie eine andere Welt kennen, die ihnen so gar nicht fremd sein wird, vor allem nicht zur Weihnachtszeit.

Die zweite Geschichte jedoch ist diejenige, mit der ich an Heiligabend jeden plage und die mich immer wieder zu Tränen rührt.

Es ist eine Geschichte über das Heimkommen, eine Geschichte über die Rückkehr an einen Ort, zu dem man gehört, von dem man träumt, wenn man wach liegt und der einem zu eigen ist. Vielleicht berührt sie mich deshalb so sehr. Weil es für Rosegger noch einen Flecken Erde gab, an dem er verwurzelt war und zu dem es ihn zeit seines Lebens hinzog.

Wir Heutigen kennen dieses Gefühl kaum noch. Wie Nomaden treiben wir durch unser Leben, eingeklemmt in enge Wohnsilos, tagaus, tagein in fremden Welten des Internets verloren und mittlerweile unfähig, uns an einen Ort zu binden.

Denn wer von uns kennt noch seine Welt? Wer kennt die Menschen, die ihn umgeben? Die Häuser, Bäume und Hügel seiner Stadt? Wer kennt all die Erzählungen, Geheimnisse und Geschichten, die jeden Tag an uns vorbeiziehen und aus einem fremden Ort so etwas wie eine Heimat machen?

Ich jedenfalls nicht.

Deshalb finde ich Roseggers Heimkehr so berührend.

Es ist eine ganz einfache Geschichte, die auf leisen Sohlen daherkommt, ohne Pathos und Spannung, und genauso einfach wie diese Geschichte ist auch sein Heimkommen.

Denn als Student setzt er sich einfach in einen Zug, fährt in die Berge und steht in der Küche seiner Mutter.

»Bist doch noch kommen! Wir haben schon gemeint, ´s Wetter! Na, weil d´ nur da bist. Was magst denn gleich? Ein Eierspeis? Einen Kaffee?«

Kennt ihr sie? Kennt ihr sie nicht? Das ist ja die Stimme der Mutter.

Es ist keine große Erzählung, es ist keine dramatische Geschichte, und das Willkommen in der Heimat ist in unseren Augen unspektakulär und trivial. Denn es genügt allein die Stimme seiner Mutter, die ihm Wärme schenkt, und das Glück des nach Hause Kommens an sich.

Auch ihr Weihnachtsfest unterscheidet sich von unserem. Sie brauchten keine tausend Geschenke, kein Festessen oder übertriebene Liebesbezeigungen unter grünem Tann. Denn sie hatten das, was zählt.

Sie waren aufgehoben in ihrer Familie, in ihrem Glauben und ihrer Verbundenheit zueinander, und sie standen fest auf dem Mittelpunkt der Erde, ihrer Heimat.

Aber ihr müsst die Geschichte selber lesen um zu merken, wie sehr Rosegger einen berührt. Und wenn ihr das einmal spürt, dann werdet ihr ihn nicht mehr missen wollen.

Denn er ist weit mehr als der ewige Waldbauernbub. Er ist ein Schriftsteller, der uns eine Sehnsucht ins Herz pflanzt, nach einem Zuhause, einer Familie und einem einfachen, natürlichen Leben.

Und das ist sehr viel in der Welt der Literatur.

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Verwendete Literatur

Peter Rosegger, Waldheimat, Buchgemeinschaft Donauland
1996

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