Schlösser in Spanien
von Thomas Stiegler
Federico Moreno Torroba erinnert mich immer ein wenig an Richard Strauß. Beide waren sie keine musikalischen Neuerer, beide konzentrierten sich auf die Komposition symphonischer Musik und beide sahen in einem soliden Handwerk das beste Mittel, um vollwertige Kunstwerke zu erschaffen.
Und noch eine Gemeinsamkeit verbindet sie: Beide waren fest verwurzelt in die musikalische Tradition ihrer Heimat.
Doch während es bei R. Strauß die deutsche symphonische Musik war, die er konsequent weiterentwickelte, war es bei Moreno Torroba die traditionelle spanische Musik, in deren Idiom er dachte und in deren Gefolge er seine Meisterwerke schrieb.
Damit war er übrigens nicht allein, denn viele seiner Zeitgenossen waren ebenfalls bestrebt, eine typisch spanische Musik zu erschaffen, so etwa M. de Falla oder J. Rodrigo. Und so komponierten sie alle neben sinfonischen Werken und Opern auch zahlreiche Werke für die Gitarre, denn ihnen war bewusst, welche Bedeutung dieses Instrument für die nationale Musiktradition Spaniens hatte.
Dabei zeigen die Werke Moreno Torrobas einen besonderen Reichtum an Melodien, Farben und lebendigen Rhythmen, die nur ihnen zu eigen sind und die Torroba zu Recht als einen der wichtigsten Gitarrenkomponisten des 20. Jhdt. ausweisen.
Für seinen Zugang zur spanischen Kunst und Kultur gibt es sogar ein eigenes Wort: Castizo.
In der Musik bezeichnet dieser Begriff die Vereinigung folkloristischer, auf den iberischen Traditionen beruhender Elemente mit einem impressionistischen Habitus, um bestimmten Orten zu huldigen oder verschiedene Stimmungen darzustellen.
Erkennbar ist das schon an Titeln wie „Puertos de Madrid“ oder „Aires de la Mancha“, aber auch an einzelnen Satzbezeichnungen wie: „Einen Bauern-Fandango tanzend – Stauwasser – Ernte – Fest im Dorf – Tagesanbruch – Hochzeit – Mühlenweg – Kindliche Spiele.“ (Moreno-Torroba, „Estampas“)
Auch in den sieben Stücken, die Torroba in seinem Werk „Schlösser aus Spanien“ zusammenfasste, ist dieses Kompositionsprinzip klar erkennbar.
Denn sie sind nicht nur eine Huldigung an die Burgen und Wehranlagen seiner Heimat, sondern sie gemahnen auch an die ruhmreiche Vergangenheit Spaniens und sprechen auf engstem Raum von Stolz und Sehnsucht der Romanen, von ihren Leidenschaften und dem Weltschmerz, der in Portugal als Saudade bekannt ist.
Turegano
Wenn wir heute an die katholische Kirche denken, dann verbinden wir mit ihr meist Dinge wie Ernsthaftigkeit, Würde oder Langeweile.
Doch früher war das anders. Es gab eine weitaus größere Bandbreite an Möglichkeiten den Glauben auszuleben, vom strenggläubigen Asketen der einsam in seiner Klause lebte bis hin zum prachtliebenden, weltliche Politik betreibenden Kirchenfürsten, der den lieben Gott einen guten Mann sein ließ und sich ansonsten um das Wohl seiner Seele recht wenig kümmerte.
Vielleicht hat Turegano, der befestigte Bischofssitz in der Provinz Segovia, Torroba an diese Tatsache gemahnt, denn seine Rondo-Fantasie strahlt eine noble Fröhlichkeit aus, ein beherztes Ja zum Leben, ohne je ins Vulgäre abzugleiten, wie wir es aus dem Leben der bedeutendsten Kirchenfürsten kennen.
Manzanares el Real
Bin ich der Einzige, der bei diesem Stück an Don Quixote denkt? Und an seinen treuen Freund Sancho Panza?
Vielleicht ist es auch nur die Geschichte hinter der Komposition, die mir dieses Bild eingibt. Der Ritter von der traurigen Gestalt, der voller Freude und Mut auf eine Burg zustürmt, ohne die geringste Hoffnung, sie jemals zu erstürmen.
Denn diese Burg war eine der mächtigsten und imposantesten Bauwerke, die das spanische Reich je gesehen hat.
Im Machtgefüge der spanischen Könige hatte sie eine herausragende Bedeutung, denn sie war das letzte Bollwerk Madrids gegen Angriffen aus dem Norden. Dabei genügte meist schon das imposante Aussehen der Anlage, um Feinde einzuschüchtern und zum Rückzug zu veranlassen.
In der Musik hören wir eine kurze akkordische Einleitung, die von fern an Fanfaren erinnert. Dann erklingt ein graziles Thema, das mich an den Trab eines ritterlichen Rosses gemahnt.
Vielleicht ein einsamer Ritter, der von ferne auf das Schloss blickt? Träumend von ruhmreichen Taten, in seinem geflickten Wams, eine gebrochene Lanze in der Hand und an seiner Seite seine edle Stute Rosinante.
Alcaniz
Einer der wichtigsten Stützpunkte des Ordens von Calatrava war das um 1200 erbaute Castillo de Alcañiz. Da seine Mitglieder nicht nur einfache Ritter, sondern auch Mönche und Gelehrte waren, wurde die Burg mit einem Kreuzgang und einer Kirche ausgestattet.
Im 14. Jahrhundert, die Burg war inzwischen Sitz des Großmeisters von Aragón, wurde über der Vorhalle der Kirche der große Wohnturm und im 18. Jahrhundert der barocke Palacio de los Comendadores (Palast der Ordensmeister) mit seiner von zwei quadratischen Ecktürmen flankierten Fassade gebaut.
Vielleicht sollten wir uns die Mitglieder dieses Ordens nicht als bärbeißige Haudegen vorstellen. Auch nicht als verbitterte Stubenhocker, die nur allzu gern das Schwert gegen die Feder tauschten.
Torrobas Komposition zeigt uns ein vollkommen anderes Bild von ihnen. Sein Tanz im Dreiachteltakt ist in einer Stimmung altehrwürdiger Lebendigkeit geschrieben, die viel eher an frohe Feste in geselliger Runde denken lässt als an Krieg und Leid.
Und vielleicht ist es so, wie ein weiser Mann mir einmal sagte: Nur altgediente Krieger können die Tage des Friedens bis zu ihrer Neige auskosten.
„Die Gitarre ist ein kleines Orchester.“
(A. Segovia)
Sigüenza
Im Dom von Sigüenza liegt das Grab des Don Martín Vásquez de Arce, eines der wunderbarsten Grabdenkmäler Spaniens. Es ist jenem „El Doncel“ (Der Junker) gewidmet, der 1486 in der Schlacht um Granada getötet wurde und dessen Eltern vor Trauer dieses Bauwerk errichten ließen.
Schon der Philosoph und Essayist José Ortega y Gasset bezeichnete es als „die schönste Trauerstatue Spaniens.“
Ich weiß nicht, ob Torroba das Grabmal des „El Doncel“ gekannt hat. Glaubhaft erscheint es mir, denn dieses zarte, von eleganten Harmonien getragene Wiegenlied passt vortrefflich zur Stimmung dieser Stätte.
Und auch der Untertitel, „die schlafende Prinzessin“, spricht dafür. Denn in den Glauben des Volkes ist die Statue durch ihren weichen Züge und den lieblichen Ausdruck als Jungfrau eingegangen.
Alba de Tormes
Der Herzogssitz Alba de Tormes bei Salamanca ist die Begräbnisstätte der Heiligen Teresa de Avila, die in der katholischen Kirche sowohl als Heilige als auch als Kirchenlehrerin verehrt wird.
Ihr gesamtes Leben lang, auch in ihren schlimmsten Momenten, sucht sie in Demut eine intensive Freundschaft zu Gott zu pflegen.
Wahrscheinlich im Gedenken an sie schrieb Moreno Torroba eines seiner freundlichsten Werke. Der Diskant antwortet in Akkorden auf eine Basslinie, wodurch ein Dialog entsteht, der sich wie in einer Improvisation auf delikate Weise von der Grundtonart entfernt und wieder sanft dorthin zurückkehrt.
Torija
Ein Stück über die Hoffnung. Ein Stück, das vielleicht zeigt, wie aus Untergang und Leid wieder etwas Neues entstehen kann.
Ein Stück über die Geschichte der Burg von Torija.
Im 11. Jahrhundert von den Tempelrittern erbaut und in zahlreichen Kriegen zu einer ihrer wichtigen Festungen aufgestiegen wurde sie im 19. Jhdt. von den Franzosen besetzt und vollständig zerstört. Nur um dann, nach Abzug der Armeen des großen Korsen, schöner und größer wieder aufgebaut zu werden.
Daran knüpft auch die Musik an.
Wir hören eine Melodie, die uns zum Träumen bringt. Dann erleben wir wie von ferne die Unruhe, die die Geschichte über diesen Ort gebracht hat, nur um dann wieder in die Schönheit des Beginns einzutauchen.
Die Wiederholung ist dann nur noch wie ein zarter Traum.
Montemayor
Montemayor, südlich von Córdoba gelegen, blickt auf die weiten Ebenen, auf denen sich einst die Armeen des Julius Caesar und des Pompeius gegenüberstanden.
Nach seinem Sieg in der Schlacht kehrte Caesar ruhmreich zurück nach Rom, um fortan als alleiniger Herrscher zu regieren. Wenn auch nur für ein Jahr, denn die Verschwörer standen schon bereit und trachteten ihm nach dem Leben.
Doch auch dieser Mord änderte nichts an der Tatsache, dass die römische Republik zu Grabe getragen war, durch das Wirken eines einzelnen Menschen.
Torrobas Tongedicht spricht voll Trauer von diesem Geschehen.
Von Trauer nicht nur über den Untergang der alten Republik und der Niedertracht der Menschen, sondern vor allem über die vielen sinnlosen Toten, die immer wieder den Blutzoll für das Spiel der Mächtigen entrichten müssen und an deren leere Gräber nur noch der kalte Wind denkt.