Tulpenfieber!
von Dagmar Leibach
„Money, Money, Money…
…must be funny in the rich man’s world.”
Mit Tulpen in den 1. Börsenkrach der Geschichte
„Money, Money, Money…
…must be funny in the rich man’s world.”
Mit Tulpen in den 1. Börsenkrach der Geschichte
Allmählich freuen wir uns auf warme Temperaturen, Sonnenschein und laue Frühlingsbrisen. Es dauert auch nicht mehr lange und die ersten Narzissen, Hyazinthen und Tulpen zeigen ihre bunten Kelche auf festen Stilen, gesäumt von langen grünen Blättern.
Wenn ich die ersten knallbunten Blüten sehe, erinnere ich mich an einen Ausflug nach Holland im März zur Tulpenblüte – diese Bilder und diese Frühlingsstimmung vergesse ich nie. Ein schier unendliches Meer an Blütenfeldern leuchtete bis zum Horizont; Blumen über Blumen so weit das Auge sehen kann.
Und jeder weiß doch, dass Tulpen aus Amsterdam sind. Aber diese Mär sollten wir aufklären.
Die zahlreichen, unterschiedlichsten Sorten dieser Frühlingsboten wurden um 1600 von Persien über das Osmanische Reich auch nach Holland importiert. Die Perserin heißt eigentlich »lalé«, so wird die Tulpe auch immer noch in der Türkei genannt, wo sie teuer gehandelt und kostbar verehrt wurde.
So fand sie auch einen Platz im Wappen der türkischen Sultane und floral als wesentliches ornamentales Gestaltungselement des osmanischen Reiches.
Die hiesige Bezeichnung hat sich sprachwissenschaftlich von Tülbend und dem botanischen Tulipa zwar zur Tulpe entwickelt und eingebürgert, aber der Name ist im Grunde ein Missverständnis. Tülbend ist der Turban, den nicht nur die Türken damals kunstvoll aus einer roten Stoffbahn um den Kopf zu einer Spitze gewickelt trugen.
Sieht man sich die übereinandergelegten Blütenblätter einer roten Tulpenknospe an, vermag ein Vergleich zu dieser Neubezeichnung geführt haben.
Dass vor gar nicht so langer Zeit im deutschen Sprachgebrauch auch ein sonderbarer Mensch despektierlich als Tulpe betitelt wurde, zeigt weitgreifende Zusammenhänge aus der Vergangenheit.
Viele Dinge, die exotisch und fremd waren, wurden im europäischen Kulturkreis attraktiv und begehrenswert, so auch Pflanzen. Derartige Sammelleidenschaften an den fürstlichen Höfen und in der Folge auch bei dem wohlhabenden Bürgertum waren auch ansteckend. Ansteckend wie manche unbekannte Krankheit.
Wahrscheinlich spricht man deshalb auch von der Tulpenmanie oder dem Tulpenfieber in jenem Zeitalter der weltgrößten Wirtschaftsmacht, den Niederlanden in seiner goldenen Epoche.
Große Gärten und kleine Beete mit solchen ursprünglich exotischen Liliengewächsen, gehörten zum Prestige Zahlungskräftiger und Vermögender. Was dazu führte, dass Händler dieses nur von kurzer Blühdauer und ebenso empfindliche Gut aus dem asiatischen Raum nach Europa brachten und mehr und mehr zum Kauf anboten.
Nun, es entstand ein klassischer Marktmechanismus mit Angebot und Nachfrage und den Preisen als Referenz im 17. Jahrhundert zu Zwiebeln. Nicht Gemüsezwiebeln zum Verzehr, bei denen die Augen unwillkürlich und sogleich tränen, wenn sie geschält werden, sondern Blumenzwiebeln.

Semper Augustus
Holtzbecker Hans Simon, um 1650, Moller Florilegium Blatt 66
Bildarchiv: prometheus.uni-koeln.de
Herkömmliche und ausgefallene Tulpensorten wurden nachgefragt und die Tulpenzwiebeln wurden nicht nur auf den Blumenmärkten, sondern dann auch in Form von Zertifikaten, also verbrieften Rechten gehandelt.
Möglicherweise hat dieses epochale Interesse auch Gartenräuber gelockt, sich unredlich zu nachtschlafender Zeit an diesem leicht aus der Gartenerde zu hebenden Handelsgut zu bereichern.
Im Laufe von mehreren Jahrzehnten entwickelten sich aus den ehemaligen Blumenliebhabern und solche die es sein wollten Spekulanten um Zertifikate über den Besitz von speziellen Tulpen.
Die Preise stiegen teilweise ins unermessliche.
Damit das Luxusgut auch entsprechend reizend und speziell definiert angeboten werden konnte sind erlesene Bezeichnungen und Namen für die unterschiedlichen Blumen ein unbedingter Anspruch gewesen.
Eine spezielle Sorte die Tulpenzwiebel »Semper Augustus« die Erhabene, deren Blüte von reinem weiß mit blutroten Sprengeln gewesen sein soll, außergewöhnlich und rar und begehrenswert erzählt eine drastische Geschichte.
Von ihr gab es wohl nur ein Dutzend Zwiebeln und vermutlich hat der jeweilige Zertifikatsbesitzer diese Schönheit nie in seiner vollen Blütenpracht zu Gesicht bekommen.
Aber durch das manische, fiebrige Handeln um Gewinne wurde schließlich das verbriefte Recht nur einer dieser erhabenen Zwiebel für den Preis von einem großen Wohnhaus an der Gracht bewertet und tatsächlich gekauft.
Unvorstellbar, aber das ist kein Märchen aus Tausend und einer Nacht.
Dieses Beispiel zeigt, wie sich durch Angebot und Nachfrage der Preis für das Recht, den Besitz einer Blumenzwiebel immer größer aufbläst.
Und die Folge einer immer größer werdenden Seifenblase, natürlich – irgendwann platzt sie!

Floras Mallewagen
Karikatur zum Tulpenhandel von 1637
Crispijn van de Passe, 1637, Amsterdam Rijksmuseum
Bildarchiv: prometheus.uni-koeln.de
Am 5. Februar 1637 wurde das Spekulationsgeschäft, in das viele Privatleute und Unternehmen verkettet waren zum Seifenblasenspiel.
Die Nachfrage setzte aus und die Preise stürzten ab, eine typische Kettenreaktion wurde ausgelöst.
Leider hat sich das Geschäft um Tulpenrechte bereits weiter verwickelt, z. B. haben viele der Investoren ihre Häuser und Vermögen verpfändet, um an Geld für den Tulpenhandel zu kommen, dass aufgrund der abrupt abgestürzten Preise ihrer Briefrechte der plötzliche Bankrott eintrat.
Das sich auf den Höhepunkt gesteigerte Tulpenfieber führte viele Familien und Unternehmen schließlich zum wirtschaftlichen Tod und diese Umstände zogen wiederum weitere Kreise.
Die Gläubiger der säumigen Zahler konnten ebenso nicht mehr ihren Zahlungsverpflichtungen nachgehen.
So wird die Tulpenmanie als erster Börsencrash der Geschichte bezeichnet.
Ein Aspekt zur Regulierung des wirtschaftlichen Desasters war der Eingriff des Staates unter anderem durch die Preisfestsetzung des Tulpenhandels.
Natürlich gab es nicht nur Verlierer.
Denn jene die vor dem Crash aus dem Tulpenfieber profitiert haben und sich anderen Geschäften zugewendet haben oder andere die aufgrund der Besetzung von städtischen Ämtern, allgemeine rechtliche Bedingungen festlegten und persönlich Einfluss auf den weiteren Verlauf auch für sich privat-geschäftlich nehmen konnten, zählen zu den Gewinnern.
So ging die goldene Epoche der Niederlande mit dem 1. geschichtlichen Börsenkrach nicht zeitgleich zu Ende.
Der goldene Glanz hat sich nur für einzelne Investoren durch diese persönliche Erfahrung einer Hysterie oder um in der Metapher der Seifenblase zu bleiben, eines Schaumschlagens abgerieben und mattiert.
Erwähnenswert sei noch, dass in der Kunstwelt der Stillleben und mythologischen Gemälden Spuren hinterlassen sind.
Rembrandts Flora aus dem Jahr 1634 trägt im Haarschmuck auch als Zeichen und Beweis die zeitgenössische Kostbarkeit, eine exotische farblich gebrochene Tulpe.
Eine Gebrochene war, ja so wie die Semper Augustus, eine weise Tulpe mit roten Einfärbungen.
Man könnte vermuten, dass die Züchtung schon so spezialisiert war, dass diese Farbkombination automatisch und gewollt passierte, mit Nichten.
Die roten Einsprengungen sind zufällig passiert.
Erst viel später konnte die Forschung diese exklusive Farbkombination auf ein Virus, der von Blattläusen übertragen wurde, erklären und darauf zurückführen.

Flora, Rembrandt Harmensz van Rijn, 1634,
Sankt Petersburg Eremitage
Bildarchiv: prometheus.uni-koeln.de
Das mysteriöse, außergewöhnliche Farbwunder war im Grunde ein Krankheitssymptom der Pflanze.
Unerklärliches will der Mensch verstehen, es lockt und reizt ihn.
Ich kann mir gut vorstellen, wie ein Tulpenhändler eines morgens beim Gießen seiner zarten noch geschlossenen Knospen aufgeregt und fasziniert war, wenn eine seiner weißen Sorte unerklärlich und wunderbar rote Farbe mitträgt.
Aufregend wie ein Lotteriespiel; das Spielglück ist eben auch Zufall und wird zwar mathematisch berechnend, aber das Ergebnis dieser Rechnung zügelt die Leidenschaft des Spieles mit dem Zufall nicht unbedingt.
Leider und so war es ja auch mit der majestätisch erhabenen Semper Augustus, der krankhafte Befall führte zum Verkümmern und zum Aussterben dieser attraktiven Sorten.
Dass sich diese Blume dann auch zum Vanitas-Symbol in der bildenden Kunst entwickelt hat, ist möglicherweise der Erfahrung aus dem niederländischen Tulpenwahn geschuldet.
Vanitas steht für Vergänglichkeit und dem leeren Schein; weitergedacht auch ein Hinweis auf den Tod und dem Hinführen zum hier und jetzt.
Letztlich bleibt damit die Erkenntnis: Das Leben besteht im natürlichen Entstehen und Vergehen.
Ich freue mich auf die erste Tulpe, die ich bald in ihrer realen und eigentlichen wertvollen Schönheit in der Natur bei Sonnenschein ansehen darf.

Altweibersommer –
ein Buch der Leiermann-Autorinnen und -Autoren
Mit Texten zu einer besonderen Zeit.

Sommerfrische –
ein Buch der Leiermann-Autorinnen und -Autoren
Texte über den Sommer, wie er in vergangenen Zeiten verbracht wurde.
Literatur
Dash, Mike: Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte., München, Deutschland: Classen Verlag, 1999.
Goldgar, Anne: Kunst und Natur: Sammellust und Tulpenhandel in den Niederlanden. In: André van der Goes (Hrsg.): Tulpomanie. Die Tulpe in der Kunst des 16. Und 17. Jahrhunderts. Niederlanden: Zwolle, 2004.
Goldgar, Anne: Tulipmania, Money, Honor, and Knowledge in the Dutch Golden Age, USA: The University of Chicago Press, 2007.
Heilmeyer, Marina: Die Sprache der Blumen. Planzen und ihre symbolische Bedeutung, München, Deutschland: Bassermann Verlag, 2013.
Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/tulpe>, abgerufen am 20.2.2023.
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