Verspieltes Wien
von Katharina Mölk
Ver-spieltes Wien
von Katharina Mölk
Gesellschaftsspiele sind etwas Feines.
Das empfanden sogar die Habsburger Herrscher, vor allem Maria Theresia.
Doch Wien wäre nicht Wien, wenn sich nicht auch beim vergnüglichen Spielen einige Tücken verbergen würden. In diesem Kapitel sehen wir uns anhand von drei Beispielen an, welchen Spielen die WienerInnen in der Vergangenheit frönten und womit dieses lustige Treiben in Verbindung gebracht werden kann: Spielschulden, Kerker, Religionskonflikten und dem Rotlichtmilieu.
Wo die Kuh am Brett spielt
In der Wiener Innenstadt wurden 1980 anlässlich einer Renovierung an einer Hauswand in der Bäckerstraße 12 Reste eines Freskos entdeckt. Diese Malerei aus dem 17. Jahrhundert wurde restauriert und »Wo die Kuh am Brett spielt « genannt.
Man sieht eine Kuh mit Brille und einen Wolf, die miteinander ein Brettspiel (Backgammon) spielen. Man deutet das Fresko als Satire auf die Glaubenskonflikte zwischen Katholiken und Protestanten.
Da die Regenten der Donaumonarchie, die Habsburger, streng römisch-katholisch waren, folgte auch der Großteil der Bevölkerung diesem Glaubensbekenntnis. Aber nicht alle. Wien war immer schon ein Schmelztiegel der Völker und Kulturen. Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Juden und Muslime lebten im Habsburgerreich. So war es für das Herrscherhaus wichtig, immer wieder die Vorzüge des Katholizismus zu zeigen. Ein Beispiel hierfür ist die Pestsäule am Graben, die veranschaulichen soll, dass derjenige, der den rechten Glauben (den Katholizismus) hat, mit Gottes Hilfe auch die Pest überstehen würde.
Aber wie sah die Bevölkerung die Religionsdebatte?
Als der Protestantismus aufkam, neigten sich viele Menschen dieser neuen, attraktiven Konfession zu; zeitweise lebten 40% Protestanten in Wien. Doch mit der Gegenreformation kehrten auch viele wieder zum katholischen Glauben zurück.
Es schien auch einige Leute zu geben, die den Kampf zwischen Protestanten und Katholiken lustig fanden. Dies spiegelt sich in jenem Fassadenfresko wider:
Die Kuh wird als gutmütiger, leichtgläubiger und behäbiger Katholik interpretiert, wohingegen der »böse« Wolf den Protestanten widerspiegelt. Über dem Spielbrett fliegt außerdem eine Fliege. Das könnte der Adel sein, der beobachtet, wer das Spiel wohl gewinnt und wem er seine Gunst schlussendlich zuneigen wird.
Aber es gibt auch noch eine Wiener Legende, die den Namen des Hauses »Wo die Kuh am Brett spielt« erklärt:
Das Haus gehörte nämlich im 14. Jahrhundert dem Bürgermeister Konrad Vorlauf und später anderen namhaften Wiener Bürgern. Auch der Stadtrichter Hieronymus Kuh soll hier im Mittelalter gelebt haben. Dieser hatte eine schöne Tochter, in die sich ein Rat des Herzogs beim Brettspielen verliebte. Er hielt um ihre Hand an, und schon bald wurde Verlobung gefeiert. Der neue Schwiegersohn veranlasste zur Feier des Tages die Neubemalung des Hauses der Richterfamilie. Auf den Namen des Richters anspielend wurde eine Kuh gemalt, die am Brett spielte, wodurch ja die Verlobung entstanden war. Die Bürger Wiens fanden dies so lustig, dass sie das Haus nicht »Das Haus zum Brettspiel« nannten, wie eigentlich gedacht, sondern »Wo die Kuh am Brett spielt«.
Dieses Brettspiel, das wir heute Backgammon nennen, hatte damals allerdings einen ganz anderen Namen, nämlich »Langer Puff«. Dies hatte zwei Gründe:
Erstens ging es um den Laut, den die Spielsteine machen, wenn sie auf das harte Spielbrett knallen. Zweitens spielt der Name auf die Lokalität an, in der man Glücksspielen nachging, denn eigentlich war dies verboten. So war es üblich, dass man in Bordellen (im Puff) dieses und andere Brett- und Kartenspiele um Geld spielte.
Aber der »Lange Puff« wurde nicht nur im Bordell gespielt. Das beste Beispiel ist ein Prunkbrettspiel aus dem Besitz der Habsburger, das sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet.
Das Spiel wurde 1537 in der Werkstatt von Hans Kels gestaltet und gelangte in den Besitz von Kaiser Ferdinand I. Es ist über und über mit Symbolen der Macht und der langen Herrschertradition der Habsburger geschmückt. Auf dem Spielbrett sind Wappen und Darstellungen von Ferdinands Ahnen, aber auch Vorbilder der Habsburger wie römische Kaiser und sonstige berühmte Herrscher zu sehen, z. B. Alexander der Große und Romulus, der Gründer der Stadt Rom.
Auch die Spielsteine selbst sind geschmückt, und zwar mit literarischen Szenen.
Wahrscheinlich wurde dieses Spielbrett nie zum tatsächlichen Spielen verwendet, weil es zu kostbar war. Hierbei handelt es sich um ein Kunstobjekt, ein Prestigewerk, das den Glanz und die Macht der Familie Habsburg zeigen soll.
Doch Spiele sind eigentlich dazu gemacht, um gespielt zu werden. So lassen wir nun Kunstobjekte und Wandmalereien hinter uns und begeben uns zurück zur Welt der Bürgerlichen und der Welt des Theaters.
Aus Spaß wird Ernst: Nestroy und Whist
Im beginnenden 19. Jahrhundert lebte in Wien Johann Nestroy (1801-1862). Er war Schauspieler, Drehbuchautor und Theaterdirektor, der hauptsächlich in Wien lebte und wirkte. Seine Stücke waren volkstümlich und lustig, mit Musik gefüllt, aber auch tagesaktuell und politisierend.
Nestroy lebte allerdings in der Zeit des Polizeistaats Metternichs. Nach der französischen Revolution und den napoleonischen Wirren war es dem Kaiser ein Anliegen, sein Volk stets unter Kontrolle zu haben. So gestaltete Staatskanzler Metternich einen »Spitzelstaat«: Alles und jeder wurde überwacht. Deshalb zogen sich die Bürger vermehrt ins häusliche Leben zurück, und die Periode des Biedermeier beginnt.
Zensur war ein wichtiges Thema in dieser Zeit und darunter fielen auch Theaterstücke. Man musste die Texte der Zensurkommission vorlegen und wenn diese genehmigt wurden, musste man den Text genau so rezitieren. Man durfte unter keinen Umständen improvisieren, denn dies war nicht von der Zensurkommission abgesegnet.
Doch Johann Nestroy liebte es, zu improvisieren und das Tagesgeschehen in das Stück einzubauen. So betrat er während der 1848er Revolution die Bühne mit Semmeln anstatt mit Hemdknöpfen, weil die Semmeln zu der Zeit sehr klein waren, aber immer noch gleich viel kosteten wie eh und je. Wegen Verhöhnung des Berufsstandes der Bäcker musste Nestroy eine Nacht in Haft verbringen und sich öffentlich dafür entschuldigen. Dies ging als »Semmelanekdote« in die Geschichte ein. [1]
Frontispiz zu: Johann Nepomuk Nestroy: Der Unbedeutende. Posse mit Gesang in drei Akten, Wien 1849; Kupferstich nach einem Aquarell von Johann Christian Schoeller; © Public Domain, https://bassenge.com/
Doch das sollte nicht die einzige Improvisation bleiben, für die Nestroy einige Zeit im Arrest verbringen musste. Eine geht auf ein Spiel namens »Whist« zurück:
Whist ist ein Kartenspiel, das Ende des 17. bzw. zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England erfunden wurde. Die Namensherkunft ist nicht gewiss, aber vielleicht kommt es daher, dass das Spiel besondere Konzentration erforderte und man deshalb still sein musste (engl. whist = dt. sei still/schweig).
Ursprünglich war Whist ein Spiel der Unterschicht, doch ab Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte es sich zum bevorzugten Spiel englischer Gentlemen und im 19. Jahrhundert verbreitete sich Whist weltweit. Dies war eine Folge des britischen Kolonialismus und der Verbreitung britischer gehobener Lebenskultur.
Das Spiel wird von insgesamt 4 Personen in Zweierteams gespielt. Man benutzt 52 französische Karten. Jeder Spieler erhält 13 Karten und versucht in mehreren Runden (Partien und Robbern) die Karten der anderen zu stechen.
Es gibt verschiedene Varianten von Whist. Die erfolgreichste war Bridge, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts Whist fast vollständig verdrängte.
Whist war nun also auch im Wien des 19. Jahrhunderts geläufig und wurde in einer Szene von Johann Nestroys »Zu ebener Erde und erster Stock« auf der Bühne gespielt. Vor einer Vorstellung bekam Nestroy mit, dass einer seiner Kritiker, Franz Wiest, im Publikum saß. Deshalb improvisierte er an diesem Abend, in dem er in seiner Rolle als Johann sagte:
»Auf dem Tisch wird Whist gespielt – ’s ist merkwürdig, dass das geistreichste in England erfundene Spiel den gleichen Namen mit dem dümmsten Menschen von Wien hat.« [2]
Das Publikum reagierte gemischt: Einerseits gab es begeisterten Applaus, andererseits Kritik. Und schon wieder musste Nestroy in den Arrest. Diesmal sogar für fünf Tage.
Hoch gestiegen, tief gefallen: Mozart und seine Spielschulden
Noch immer wird über den berühmten Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart erzählt, dass er ein verkanntes Genie war, in Armut lebte und schließlich in ein Massengrab hineingeworfen wurde.
Doch so dramatisch hat sich die Sache nicht verhalten.
Der junge Mozart entschied sich im Jahr 1781, von Salzburg nach Wien zu ziehen, um dort als freier Künstler zu arbeiten. Schließlich lebte in Wien die kaiserliche Familie, die viel Geld für Kunst und Musik ausgab.
Doch der 25jährige Mozart musste bald feststellen, dass es unter Kaiser Joseph II. für Musiker nicht mehr so viel Möglichkeiten am Wiener Hof gab, wie noch unter seiner Mutter Maria Theresia (sie war im Jahr vor Mozarts Ankunft in Wien verstorben). Der sparsame Kaiser grenzte die Zahl der Bälle und Feste stark ein und so gelang es Mozart erst im Jahr 1787 eine Stellung als k. u. k. Hof-Musik-Compositor zu erhalten. Doch diese Arbeit füllte ihn nicht aus, da er vorwiegend »langweilige« Musik für Maskenbälle komponieren sollte. Für diese Arbeit erhielt er 800 Gulden (ca. 18.400 €) im Jahr, was »zu viel für das, was ich leiste, und zu wenig für das, was ich leisten könnte“ [3] war. Aber zum Vergleich: Mozarts Vorgänger Christoph Willibald Gluck hatte für die Stellung als Hof-Musik-Compositor 2000 Gulden jährlich bekommen.
Als freier Künstler konnte Mozart jedoch auch anderweitig Geld einnehmen: So unterrichtete er, gab Konzerte, schrieb kleinere Musikstücke für mechanische Uhren und komponierte für die vielen Adligen, die in Wien lebten. Bei den Fürsten und Grafen kam Mozarts neuartige Musik viel besser an als am traditionellen Wiener Hof. Mozart wurde von den Adligen und Großbürgern verehrt und gefördert. So konnte er eine Menge Geld verdienen, wie auch aus Korrespondenzen und Briefen ersichtlich ist. So bekam er beispielsweise für die Aufführungen seiner Oper »Don Giovanni« pro Aufführung 225 Gulden, was ca. 5.175 € entspricht.
Johann Georg Edlinger, Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Ident.Nr.: 2097; © Foto: Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin; Fotograf/in: Volker-H. Schneider; CC BY-NC-SA 4.0; Link: https://recherche.smb.museum/detail/863491
Aber wie das nun einmal so ist bei selbstständiger Arbeit, schwankten seine Einnahmen monatlich [4]. Außerdem war Mozart kein sparsamer Mensch, im Gegenteil, er gab das Geld mit vollen Händen aus: »Ich möchte alles haben was gut, ächt [sic!] und schön ist!«, schrieb er in einem Brief im Jahr 1782 an Baronin von Waldstätten.
Mozart war ein Lebemensch, der es genoss, sich in gehobenen bürgerlichen Verhältnissen zu bewegen. So verprasste er regelmäßig sein Gehalt für Bälle, Theater- und Kaffeehausbesuche, schicke Kleidung, gutes Essen, exklusive Wohnungen und beim Glücksspiel.
Es ist nicht eindeutig belegt, wie viele von Mozarts Schulden auf Spielschulden zurückzuführen sind, doch aus seinen schriftlichen Äußerungen kann man bei den Wörtern »Affairen«, »Ungelegenheiten«, »bewußten Sachen« etc. darauf schließen, da Glücksspiel eine Mode der Zeit war. Da Mozart sich häufig in adligen Kreisen bewegte, wollte er sicher auch bei den hohen Wetteinsetzen mithalten können.
Belegt ist, dass Mozart ein begeisterter Billardspieler war. In seiner Sterbewohnung in der Rauhensteingasse stand sogar ein Billardtisch. Wenn man keinen in der Wohnung hatte, konnte man auch ins Kaffeehaus gehen, um dort zu spielen. Beim Billard, aber auch bei zeitgenössischen Brett- und Kartenspielen, wurde viel Geld verwettet. Der Kapellmeister Destouches schreibt über Mozart, er sei »ein leidenschaftlicher Billardspieler Lind spielte schlecht. Wann ein berühmter Billardspieler in Wien ankam, hat’s ihn mehr interessiert als ein berühmter Musiker. Er spielte hoch, ganze Nächte hindurch, er war sehr leichtsinnig«. [5]
Schon im Jahr 1783 (zwei Jahre nach seiner Ankunft in Wien) bat er bereits seine Freundin Baronin Waldstätten um finanzielle Hilfe, da ihm eine Klage bevorstand, sollte er die Spielschulden nicht sofort begleichen. Spielschulden waren Ehrenschulden, die auf der Stelle beglichen werden sollten.
Die Summen sind uns beispielsweise aus Bittbriefen bekannt, die Mozart an seinen Logenbruder, den Textilunternehmer Michael Puchberg schrieb. Darin bittet er insgesamt um 4.000 Gulden (ca. 92.000 €). Puchberg gewährte ihm in 4 Jahren 1.515 Gulden. Für diese Summe hätte er mehrere Jahre im Camesina-Haus in der Domgasse Nr. 5 leben können. Diese war die teuerste Wohnung, die die Familie Mozart je bezogen hatte: 100 m2 groß, in der Nobeletage, im Stadtzentrum neben dem Stephansdom und für 450 Gulden im Jahr zu mieten. [6]
So kam es, dass Mozart, als er mit nur 35 plötzlich an einer Krankheit verstarb, seiner Frau Constanze 60 Gulden (ca. 1.380 €) Bargeld, aber 918 Gulden und 60 Kreuzer (ca. 21.120 €) Schulden hinterließ. Nun dürfte verständlich sein, warum seine Witwe ihm kein großes Begräbnis ermöglichen konnte. Das Geld reichte nicht einmal für einen Grabstein oder einen eigenen Grabschacht.
Gemäß der Begräbnisreformen von Kaiser Joseph II. erhielt Wolfgang Amadeus Mozart also ein Begräbnis dritter Klasse, was bedeutete, dass man sich einen Grabschacht mit bis zu vier weiteren Personen teilen musste.
Wir können dementsprechend nicht von einem Massen- oder Armengrab reden, in das Mozart »achtlos hineingeworfen« wurde, sondern von einem normalen bürgerlichen Begräbnis in der Zeit von Kaiser Joseph II. Mozart war kein Adliger, sondern ein einfacher Bürger. Diese mussten sich viel Geld ansparen, um sich ein besseres Begräbnis leisten zu können, so wie beispielsweise Mozarts Musikerkollege Joseph Haydn. Dieser sparte sein Leben lang, um sich schließlich ein Begräbnis erster Klasse finanzieren zu können.
Fußnoten
1 … G. Pfeisinger, Die Revolution von 48 in Graz, 1986.
2 … Ahrens: Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht: S. 176.
3 … Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 42-43.
4 … Die Versuche Mozarts gesamte Einnahmen in den 10 Wiener Jahren bis zu seinem Tod 1791 zu errechnen, ergaben jährliche Einnahmen zwischen 962 Gulden (ca. 22.126€) und 3216 Gulden (ca. 73.968€). Quelle: Mensch Mozart!, Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg (Hg.), Salzburg-München, 2005: S.80
5 … https://www.spiegel.de/kultur/billard-bei-nacht-a-deb512d1-0002-0001-0000-000040992654
6 … Mehr über Mozarts Wohnung erfahren Sie hier im Leiermann-Blog: https://www.blog.der-leiermann.com/mozart-in-wien/