Weihnachtliche Kulturgeschichten
von Thomas Stiegler
Weih-nachtliche Kultur-geschichten
von Thomas Stiegler
Vorwort aus dem Buch: Weihnachtliche Kulturgeschichten – Ein Streifzug durch Europa
Weihnachten – Es war immer mein schönstes Fest.
(Theodor Fontane)
Noch ein Buch zu Weihnachten, braucht man das wirklich? Würde das nicht nur weiter unsere Regale füllen, um dann unbeachtet dort zu verstauben? Außerdem – was soll uns so aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts ein Buch bedeuten, das vom Glanz der Weihnachtszeit erzählt und vom Zauber dieser besonderen Nacht? Sind wir denn nicht zu abgeklärt und vielleicht auch zu müde, um immer wieder den gleichen alten Geschichten zu lauschen und uns in Träume zu verlieren?
Doch diese Fragen zeigen nur, dass ein solches Buch vielleicht doch seine Berechtigung hat, aber einen etwas anderen, bewusst nicht romantisch verklärten Zugang braucht. Und ich glaube, diesen haben wir in unseren Büchern gefunden. Denn mit unseren Bänden rund um die Weihnachtszeit wollen wir zeigen, dass Weihnachten viel mehr sein kann als ein Fest des Schenkens, der leuchtenden Kinderaugen und der jährlich wiederkehrenden Familienfeiern. Dazu begeben wir uns auf eine Reise durch unsere Geschichte und versuchen, die Wurzeln der verschiedensten Bräuche und Traditionen hervorzuholen, um dieses Brauchtum damit wieder mit Leben zu füllen. Und wie ich durch zahlreiche Zuschriften erfahren durfte, scheint uns das schon mit unserem ersten Band zur Weihnachtszeit in Österreich und Deutschland gelungen zu sein! Daher haben wir uns entschlossen, unseren Blick etwas zu erweitern und zu sehen, was es in Europa zu diesem Thema noch alles zu entdecken gibt.
Aber zuerst müssen wir kurz innehalten und uns fragen, was eigentlich dieses »Europa« ausmacht. Denn man spricht es so leicht dahin und meint, schon alles gesagt zu haben, wenn man einfach das Wort in den Raum wirft. Dabei gibt es unzählige Arten, Europa zu beschreiben, und eine jede von ihnen zeigt uns nicht nur einen anderen Aspekt dieses wundervollen Kontinents, sondern eröffnet uns auch einen anderen Zugang und eine andere Art von Weihnachtsgeschichten! Daher haben wir einen Ansatz gewählt, der es uns ermöglicht, auch die kleinsten Dörfer mit ihren Traditionen und Bräuchen in die »große« Geschichte Europas einzubinden. Doch dazu muss ich etwas ausholen.
Kulturgeschichtlich gibt es zwei Wege, Europa zu beschreiben: Da wäre einmal das Europa, dessen Geschichte seit Jahrhunderten tradiert wird – sowohl als eine nimmermüde Abfolge an Konflikten um die Vorherrschaft über den Kontinent als auch als ein friedvolles Neben- und Miteinander länderübergreifender Gedankengebäude und Kunstepochen. Es ist dies eine Erzählung von Europa als einem überregionalen Konstrukt gemeinsamer Werte, Vorstellungen, Überzeugungen und Moden, die nicht an den Landesgrenzen halt machen. Wir können zwar sehen, wie genau an diesen Grenzen Konflikte ausbrechen, die Länder einander mit Krieg und Leid überziehen und sich dadurch die Zentren der politischen Macht verschieben, aber trotzdem bleibt hinter all diesen Kämpfen und Konflikten ein gemeinsamer Kanon an Werten und Überzeugungen, der Europa ausmacht.
Denn wenn man den Blick von der sogenannten »großen« Politik abwendet und sich den zugrundeliegenden Gedanken und Strömungen der jeweiligen Zeit widmet, wie sie uns etwa in der Kunst und Philosophie entgegentreten, dann wird deutlich, wie sehr die einzelnen Länder über ihre engen Grenzen hinaus Teil eines großen Ganzen sind. Beispiele dafür gibt es zur Genüge, und ich erinnere nur an die franko-flämische Schule, die die Entwicklung der Musik in ganz Europa beeinflusste, an die Enzyklopädisten, die nicht nur für Frankreich Epochenmachendes schufen, oder an die Impressionisten, die an verschiedensten europäischen Orten begannen, einen vollständig neuen Blick auf die Welt zu werfen.
Und so sehen wir auch, dass das Weihnachtsfest über alle Grenzen hinweg nicht nur einen gemeinsamen christlichen Kern hat, sondern dass sich auch die Traditionen und Bräuche (bei allen landestypischen Eigenheiten) im Grunde ähnlich sind. Schaut man dann etwas genauer hin, wird man überrascht sein.
Denn es gibt noch ein zweites, unbekanntes Europa, das lange Zeit kaum von Historikern und Literaten beachtet wurde, das aber noch weit vielfältiger, lebendiger und bunter ist das erstgenannte. Es ist ein Europa, das so alltäglich erscheint, dass man es kaum wahrnimmt, das aber den Menschen weit näher und meist auch wichtiger war als der große, alles umspannende Kulturraum, den wir gemeinhin »Europa« nennen. Es ist dies das Europa der Regionen, das Europa der Menschen und ihrer Traditionen, Bräuche und Lebensgewohnheiten, das den Einzelnen meist stärker prägte als die Entscheidungen ferner Herrscher und Moden und in dem uns der Nachbar im nächsten Tal oder Dorf seit jeher weit näher war als die jeweiligen Zentren der Macht.
Und so kann man auch sehen, dass jedes Land, jede Region, ja fast jedes Dorf, seine je eigenen Bräuche, Traditionen und Gewohnheiten hat, wie es das Weihnachtsfest begeht. Manche davon wurden weithin bekannt, da sie einzelne Menschen mit in die Metropolen brachten und sie so zur »Mode« wurden.
Dabei bleibt es doch interessant, dass sich alle Persönlichkeiten unserer Geschichte, egal ob Politiker und Herrscher oder Künstler, Philosophen und Händler, immer als Teil ihrer engeren Region und Heimat verstanden; man kann sogar sagen, dass das Europa der Regionen, bei aller Verschwommenheit seiner Spuren in der Geschichte, mit seiner urtümlichen Kraft das bestimmendere Element der Geschichte war, denn die Stuben der Kanzleien, die Ateliers der Künstler, Literaten und Philosophen konnten sich nur durch den Pool an talentierten jungen Menschen füllen, die aus der Peripherie ins Zentrum strebten – und dabei auch ihre Weihnachtsbräuche mitbrachten!
Andere Traditionen wiederum blieben im Laufe der Geschichte, meist nur durch Zufall oder weil sich niemand fand, der sie »mit in die Hauptstadt nahm«, nur lokal verankert und sind heute fast vergessen. Doch auch und gerade diese gilt es, wieder ans Licht zu holen!
Und so haben sich die Autorinnen und Autoren unseres Verlages auf die Suche gemacht, um bekannte und unbekannte Geschichten aus allen Ecken und Enden Europas zusammenzutragen und uns etwa von Weihnachtsbräuchen in England, von der »Befana« in Norditalien oder den griechischen Weihnachtsbooten zu erzählen. Andere wiederum nehmen uns mit auf eine Reise ins Baskenland, nach Polen oder in die Provence und zeigen uns, wie man dort Weihnachten begeht. Und natürlich dürfen auch die Weihnachtsbäckereien nicht fehlen, und so gibt es Geschichten und Rezepte etwa zum Spekulatius, zum Lebkuchen oder zum Husarenkrapferl!
Zum Schluss bleibt mir als Herausgeber nur noch der Wunsch, dass wir mit diesen Geschichten ein wenig den Zauber dieser Zeit einfangen konnten und Ihnen damit die Möglichkeit geben, Weihnachten vielleicht ein Stück weit »neu« kennen und lieben zu lernen. Und ganz in diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!