Ein kleiner Prinz und seine Rose
von Andrea Strobl
Bücher bergen mitunter wunderbare Geschichten – nicht nur aus dem Leben der Autoren, sondern auch aus dem Leben der Leser. So ergeht es mir mit einem der wohl bekanntesten Bücher des 20. Jahrhunderts: Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry.
Meine Lesereise mit dem kleinen Prinzen beginnt irgendwann Ende der 60er-Jahre mit einer »Hör-Reise«: Unter den Schallplatten meiner Mutter fand ich die Hörfassung des Buches, eingelesen vom großartigen französischen Schauspieler Gérard Philippe (1922–1959). Ich hörte mir diese Schallplatte an – wie schön war doch diese Stimme (noch konnte ich kein Wort Französisch, aber meine Liebe zu dieser Sprache wurde bestimmt durch diese Schallplatte geweckt!). Natürlich wollte ich wissen, worum es in dem Buch geht, und so gab mir meine Mutter das Buch auf Deutsch zu lesen:
»Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. […] Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich …«[1] So spricht der Fuchs zum kleinen Prinzen. Über das Leben seines Autors und das Buch ist unendlich viel geschrieben worden, und so will ich hier lieber von der Frau erzählen, der in der Figur der Rose auf dem Planeten des kleinen Prinzen ein Denkmal gesetzt ist: Consuelo de Saint-Exupéry.
In einem kleinen Ort in San Salvador kommt im April 1901 Consuelo Suncin zur Welt. Sie genießt eine ausgezeichnete Ausbildung, u. a. an der Schule der Schönen Künste in San Francisco und an der Juristischen Fakultät der Universität von Mexiko. Die Jurisprudenz scheint sie nicht recht interessiert zu haben, denn nach dem Studium arbeitet sie zunächst als Journalistin, taucht ein in die Künstlerkreise um Diego Rivera und beschließt, selbst künstlerisch tätig zu werden. Einer von den Eltern eingefädelten (und wohl auch eingeforderten) ersten Ehe entkommt sie schnell. Sie lässt sich scheiden, geht zu Studienzwecken nach Paris und lernt dort den guatemalischen Schriftsteller Goméz Carillo, kennen.
Die beiden heiraten, aber bereits ein Jahr später, im Jahre 1927, stirbt Carillo. Er hinterlässt Consuelo ein beträchtliches Vermögen, das es der jungen Witwe erlauben wird, ein mondänes Leben innerhalb der Künstlerkreise im damals so aufregenden Paris zu führen. 1930 reist sie mit einer Gruppe von Schriftstellern nach Buenos Aires und lernt dort Saint-Exupéry kennen. Er ist sofort beeindruckt von ihrer etwas spröden Schönheit und starken Ausstrahlung, umwirbt sie beharrlich, und schon ein Jahr später heiraten die beiden in Nizza, nicht unbedingt zur Freude der sehr konservativen Familie von Antoine, die mit der selbständigen und unkonventionellen Consuelo wohl so ihre Schwierigkeiten hatte. (Wenn der kleine Prinz später im Buch sagen wird »Du weißt … meine Blume […] Und sie ist so schwach! Und sie ist so kindlich. Sie hat vier Dornen, die nicht taugen, sie gegen die Welt zu schützen …«, so ist dies wohl der dort erzählten Geschichte geschuldet und eher nicht der selbstbewussten Consuelo im realen Leben.)
Die 30er-Jahre verbringt das Paar in Paris. Consuelo freundet sich mit den Surrealisten an: Marcel Duchamp, Max Ernst, André Breton, Man Ray (der auch Fotos von ihr macht) und Salvador Dalí, um nur einige zu nennen. Sie beginnt zu malen und zu schreiben. Es war wohl eine etwas stürmische Ehe, begleitet von Seitensprüngen auf beiden Seiten, aber Weggefährten berichten über Antoine: »Die einzige Rose, so sagte er uns, sei seine Frau. Er sei für sie verantwortlich und habe nur sie.«[2] Diese Gefühle wird er im Buch fast wortwörtlich wiedergeben, und es besteht kein Zweifel, dass es sich bei der Rose des kleinen Prinzen um Consuelo handelt. Sie ist es auch, die Antoine während ihrer Zeit in Amerika dazu ermuntern wird, das Buch zu schreiben.

Das Ehepaar Saint-Exupéry, Foto: http://www.natemaas.com/2012/10/antoine-de-saint-exupery_14.html
Bereits 1940, nach der Auflösung der französischen Streitmächte, war Saint-Exupéry nach New York gereist, hielt es in der Stadt aber nicht lang aus. Er findet schließlich ein Haus auf Long Island, wohin ihm Consuelo Ende 1941 folgt. Das Haus wird zum Stelldichein für viele der damals exilierten Künstler: Jean Gabin, Charles Boyer, Jean Renoir, Greta Garbo, Marlene Dietrich u. v. a., aber vor allem wird Bevin House »das Haus des kleinen Prinzen«, wie Consuelo Jahre später in einem Interview sagen wird.[3] Am 31. Juli 1944 wird Antoine, mittlerweile als Pilot der französischen Luftwaffe wieder in die Wirren des Zweiten Weltkrieges verwickelt, bei einem Aufklärungsflug über dem Mittelmeer abstürzen. Consuelo erfährt erst 10 Tage später davon – aus der amerikanischen Presse …
Da Antoine kein Testament hinterlassen hatte und ihr ehemals ererbtes Vermögen wohl beträchtlich geschrumpft ist, muss sie nun unbedingt Geld verdienen. Dalí vermittelt ihr über Bekannte eine Stelle als Schaufensterdekorateurin im Warenhaus »Bloomingdale’s«. In dieser Zeit stellt sie ihren Roman Oppède fertig, der 1945 in New York erscheint. 1946 kehrt sie schließlich nach Frankreich zurück und beginnt ihr eigenes künstlerisches Leben als Malerin und Bildhauerin – mit beträchtlichem Erfolg übrigens. Sie bewegt sich wieder in den künstlerischen Kreisen jener Zeit und erlebt zahlreiche Ausstellungen ihrer eigenen Werke. Daneben widmet sie sich jedoch auch unermüdlich dem Nachlass und dem Werk von Saint-Exupéry.

1979 erliegt sie einem Asthma-Anfall. Ihre letzte Ruhestatt findet sie auf dem Friedhof Père-Lachaise, neben ihrem zweiten Mann. In ihrem Nachlass entdeckte man in einem alten Koffer ihre Memoiren aus der Zeit mit Saint-Exupéry, auf einfaches Durchschlagpapier getippt. Sie erschienen im Jahre 2000 unter dem Titel Mémoires de la Rose – just im Jahr, in dem auch Überreste von Antoines Flugzeug gefunden wurden, darunter auch ein Armband, auf dem die Namen Consuelo und Antoine eingraviert waren[4].
Hier endet die Geschichte von Consuelo, Antoine und dem kleinen Prinzen, aber noch nicht meine persönliche, denn fast 50 Jahre nach meinen ersten »Reisen« mit dem kleinen Prinzen lernte ich auf dem deutschen Bücherbasar in Athen eine 80-jährige Dame kennen. Wir sprachen über dies und das, aber vor allem über Bücher, die wir als Kinder gern gelesen haben.
Ich erzählte ihr auch von »meinem« kleinen Prinzen, der in meiner Erinnerung noch immer mit der Stimme von Gérard Philippe verbunden ist. Einige Zeit später trafen wir uns wieder, und sie überraschte mich mit einer Schallplatte: Le petit Prince – raconté par Gérard Philipe! Es war genau die Schallplattenversion, die sich auch im Plattenschrank meiner Eltern befunden hatte und von der ich ihr erzählt hatte … Leider besitze ich keinen Plattenspieler mehr, aber auch das war kein Problem, denn die reizende Dame lud mich ein, sie zu besuchen, um uns gemeinsam bei einem Glas Wein in Ruhe diesen ganz besonderen »kleinen Prinzen« anzuhören …
(Dank der modernen Technik kann man sich diese Lesung mittlerweile auch hier https://www.youtube.com/watch?v=YkKzCygZsT0 anhören.)

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