Tina Modotti – Fotografie und Rebellion

von Anja Weinberger

Als junges Mädchen und auch noch als junge Frau habe ich Lesestoff verschlungen, und dabei vertiefte ich mich eine Zeit lang ausschließlich in Biografien. Ich war mit Katherine Hepburn bei Dreharbeiten, ließ mich von Simone de Beauvoir begeistern, hing am gespitzten Bleistift von Doris Lessing und war wirklich schwer beeindruckt von Vaclav Nijinsky. Diese vier waren eindeutig meine Spitzenreiter – und dann kam Tina Modotti. Sie war diejenige, die meinen rosa Vorhang zerrissen hat.

Danach las ich Isabel Allende, Mario Vargas Llosa, aber auch Javier Marías und Pablo Neruda. Rückblickend war das mein Schritt ins wirkliche Erwachsenenleben. Natürlich möchte ich auf diesem Wege keinesfalls die Schicksale der zuerst Genannten herabwürdigen, aber dennoch hatte ich ab diesem Moment einen anderen Blick auf die Welt; und das ist natürlich unumkehrbar.

Assunta Adelaide Luigia Modotti Mondini wurde 1896 in Undine geboren, der schönen Stadt im Friaul. Ob sie von dieser Schönheit etwas wahrnehmen konnte ist ungewiss. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen und obwohl die kleine Assunta eine gute Schülerin war, musste sie schon zwölfjährig als Näherin arbeiten, um zum Familieneinkommen beizutragen. Tina, wie sie in der Verkürzung der Koseform ihres Vornamens Assunta genannt wurde, fand trotz der vielen Arbeit Zeit, dem Onkel im Fotostudio zu helfen und erlernte dabei die Grundlagen der Fotografie. Der Vater hatte sich schon viele Jahre in die Arbeiterbewegung eingebracht und war bereits einige Zeit zuvor nach Amerika übersiedelt. Bis zum Jahre 1913 folgten ihm erst die ältere Mercedes und dann die jüngere, 17-jährige Schwester Tina.

In der Neuen Welt angekommen, genauer gesagt in San Francisco, arbeitet sie zunächst als Näherin, dann als Stummfilm-Schauspielerin, heiratet 1917 den kanadischen Maler und Dichter Roubaix del‘ Abrie Richey, zieht mit ihm nach Los Angeles, wird dort Modell und Geliebte des erfolgreichen Fotografen Edward Weston. Der Ehemann, unterdessen in Mexiko, beschreibt in seinen Briefen die unvergleichlichen, ja magischen Landschaften, Tina reist ihm nach, er stirbt kurz vor ihrer Ankunft an den Pocken. Mexiko ergreift Besitz von der jungen Frau, das Licht, aber auch die Menschen, die Kunst, die allgemeine postrevolutionäre Aufbruchsstimmung faszinieren sie. Für kurze Zeit kehrt sie nach San Francisco zurück, veröffentlicht dort Werke ihres Mannes und muss ihren Vater beerdigen.

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1923 ist sie zurück in dem lateinamerikanischen Land, an ihrer Seite Edward Weston und einer seiner Söhne. Folgende Vereinbarung wird getroffen: Tina kümmert sich um Westons Studio und seinen Haushalt, dafür kann sie tiefer ins Fotografenhandwerk eintauchen. Man läßt sich in Mexiko-Stadt nieder, lernt viele Künstlerinnen und Künstler der Bohème kennen und wird überwältigt von der Fülle fotografischer Motive. Bei einer gemeinsamen Ausstellung der beiden ist sofort zu erkennen, dass Tina Modotti ihren Blick auf die Motive vor der Linse gefunden hat; Weston war ein guter Lehrer, und bei Modotti lief er mit seinen modernen Vorstellungen anscheinend offene Türen ein.

In den kommenden Jahren entstehen also die Fotos, für die sie berühmt wurde und die bei Auktionen bis heute Höchstpreise erzielen. Klar, elegant in der Formatfüllung; manche sozial engagiert, ohne künstliches Pathos, manche einfach nur schön.

1926 trennt sie sich von Weston und tritt kurze Zeit später in die kommunistische Partei ein. Ihren Unterhalt verdient sie mit Porträtfotografie und einigen journalistischen Arbeiten. Ab 1928 hat sie einen neuen Lebensgefährten, den etwas jüngeren, kubanischen Revolutionär Julio Antonio Mella; dieser wird im Januar 1929 auf offener Straße an ihrer Seite erschossen. Im Juni ergeht ein Verbot der kommunistischen Partei und eine Ausstellung Tinas im Dezember entwickelt sich zur politischen Demonstration. Als schließlich im Februar 1930 ein Mordanschlag auf den mexikanischen Präsidenten verübt wird, nützten die Herrschenden dies als Vorwand, um Tina zu verhaften und sie schließlich, wie viele linksorientierte Ausländer, des Landes zu verweisen.

In Europa, ja auch nicht frei von innen- und außenpolitischen Krisen, arbeitete sie erneut als Fotografin und engagierte sich im spanischen Bürgerkrieg; schließlich geht sie nach Moskau – hier endet ihre Karriere als Künstlerin abrupt.

Tina Modotti: Frau aus Tehuantepec, ca. 1929

und Julio Antonio Mella, 1928

Alles weitere ist Spekulation. War Tina Modotti eine russische Spionin? Und war ihr überraschender Tod 1942 mit gerade 45 Jahren Mord?

Was bleibt ist die Erinnerung an diese rätselhafte, scheinbar unstete, kluge, schöne, engagierte Frau mit dem Blick für das perfekte Foto. Viele Männer suchten ihre Nähe und auch viele Frauen schätzten sie sehr. Zur großen Schar ihrer Freunde und Arbeitskollegen zählen Dorothea Lange, Anita Brenner, Frida Kahlo, Diego Rivera, Alfaro Siqueiros, Lola und Manuel Álvarez Bravo, Matilde Landa, Vittorio Vidali, Dolores del Rio, Lotte Jacobi, Egon Erwin Kisch, Ernest Hemingway, Anna Seghers und Pablo Neruda. Dessen Worte zieren auch Tina Modottis Grabstein auf dem Friedhof Panteón Civil de Dolores in Mexiko-Stadt.

 

»Tina Modotti, Schwester, du schläfst nicht, nein, du schläfst nicht: Vielleicht hört dein Herz die gestrige Rose wachsen, die letzte gestrige Rose, die neue Rose, Ruhe sanft, Schwester. Die neue Rose gehört dir, die neue Erde gehört dir: du hast dir ein neues Kleid angelegt aus tiefem Samen und dein sanftes Schweigen füllt sich mit Wurzeln. Du wirst nicht vergebens schlafen, Schwester.«    (aus: Pablo Neruda, Tina Modotti ist tot. Übersetzung: E. Weinert)

 

Dieser Text stammt aus dem Buch Frauengeschichten – Kulturgeschichten aus Kunst und Musik, das beim Leiermann erschienen ist.

Anja Weinberger im Leiermann-Verlag

Drei Bücher zu Musik und Kunst, voller Geschichte und Geschichten. Lesen Sie mehr über Coco Chanel, Marc Chagall, Friedrich den Großen, Misia Sert und so manch andere.

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